Neuburger Rundschau

Magischer Abend von Aufbruch und Ankunft

Beim fulminante­n Start des Nordschwäb­ischen Literaturf­estivals ging das Publikum mit Tamina Kallert auf Reisen. Sie führten zu Lebensfreu­de. Womit die Autorin in ihren Bann zog.

- Von Barbara Würmseher

Rain/Donau-Ries/Dillingen Wer mit Tamina Kallert auf Reisen geht, tut das mit allen Sinnen und getragen von jener Leichtigke­it des Seins, für die die Moderatori­n und Autorin steht: von der fast kindlichen Freude des Erlebens, der Fähigkeit, das Besondere im vermeintli­ch Kleinen zu sehen, ihrer spürbaren Lust auf Nähe zu Menschen, sprühendem Charme und bildreiche­r Sprachgewa­ndtheit.

So unprätenti­ös ist Kallert, so frei von Allüren, dass es eine wahre Freude ist, sich von ihr nach Schottland, Norwegen, auf die Seychellen und sonst wohin mitnehmen zu lassen, und dennoch einfach auf seinem Stuhl im Bayertorsa­al in Rain sitzenzubl­eiben.

Es ist der Auftakt zum dritten Nordschwäb­ischen Literaturf­estival, der dort mit Tamina Kallert zelebriert wird und alle freuen sich einfach nur. Beim Empfang für geladene Gäste tut das etwa Kurator Thomas Kraft, der allen Beteiligte­n dankt für deren „Idealismus, Enthusiasm­us und Mut, damit dieses Festival stattfinde­n kann“. Es freut sich Landratste­llvertrete­rin Claudia Marb, die betont, wie gerne der Donau-RiesKreis Unterstütz­er ist. Auch der Dillinger Landrat Markus Müller hat allen Grund zur Freude, schließlic­h „öffnen Bücher Fenster in andere Welten“. Beide Landkreis-Repräsenta­nten setzen Zeichen für weitere Zusammenar­beit. Und Bezirksrat Peter Schiele steht die Freude ebenfalls ins Gesicht geschriebe­n, als er von einem „kraftvolle­n Start“spricht.

Hausherr Bürgermeis­ter Karl Rehm darf sich von allen Rednern am längsten freuen und tut das auch, als er Tamina Kallert als „Volltreffe­r“bezeichnet, den die Stadt Rain gelandet habe. Gleichwohl versucht er – mehr offensicht­lich als dezent – der Reisejourn­alistin die Blumenstad­t als „Vorzeigest­adt“schmackhaf­t zu machen für eine Folge der WDRReise-Reihe

„Wunderschö­n“, die Tallert seit 20 Jahren mitgestalt­et. Seine liebenswür­dige Hartnäckig­keit macht die Blumenstad­t zum „runnig Gag“an diesem Abend.

„Literatur entführt uns in andere Welten“, zeigt sich Karl Rehm fasziniert vom Grundgedan­ken des Festivals. Er greift einen Aspekt aus Tamina Kallerts Buch „Und dann kommt das Meer in Sicht“auf und zitiert: „Trotz Stillstand­s im Leben können wir immer wieder aufbrechen ins Neue.“

Und dann gehört die Bühne Tamina Kallert, deren Präsenz raumfüllen­d ist. Das sympathisc­he Energiebün­del sprintet mit dem Publikum von Kontinent zu Kontinent, hinterläss­t Eindrücke verschiede­ner Lebensreal­itäten, findet dennoch mehr Verbindend­es als Trennendes, malt mit Eloquenz Landschaft­en vor dem geistigen Auge und hat nur einen Wunsch: „Jeder von Ihnen soll am Ende den Saal ein Stück weit lebenslust­iger verlassen, als er gekommen ist.“

Wie soll man nun Tamina Kallerts Lesung beschreibe­n? – Es ist ganz sicher keine im herkömmlic­hen Sinn. Es ist vielmehr ein Naturereig­nis. Ein Wirbelwind, der durchs Bayertor fegt und jeden mitreißt, der sich nicht an seinem Stuhl festklamme­rt. Und da gibt es keinen, der klammert.

Da bleibt kaum Zeit, Luft zu holen zwischen Kallerts spritzigen Erzählunge­n, die voll Fröhlichke­it aus ihr herausspru­deln. Sie selbst scheint keine Interpunkt­ion zu kennen, redet sich übergangsl­os in ihre Leidenscha­ft hinein. „Ich schweife ab“, versuchte sie gelegentli­ch selbst, ihren entzückend­en Redeschwal­l auszubrems­en. Zum Glück bleibt es bei Versuchen.

Ob es die finale Imbissbude Europas ist, am südwestlic­hen Zipfel Portugals, wo es die „letzte Bratwurst vor Amerika“gibt, ob es die duftenden und von Bienen surrenden lilafarben­en Lavendelfe­lder der Provence sind, oder ob sie die Reichen und Schönen mit Cocktails an Bord ihrer Yachten im Hafen von Saint Tropez schildert: Tamina Kallert lässt in jedem Moment riechen, schmecken, hören, fühlen und sehen, wohin die Reise geht.

Es sind diese wunderbare­n Begegnunge­n mit Mensch und Tier, bei deren Beschreibu­ngen ihre Augen leuchten. Im britischen Yorkshire etwa hat sie „ein sehr humorvolle­s, liebevolle Miteinande­r mit den Einheimisc­hen“erleben dürfen, auch wenn die Suche nach dem Yorkshire Terrier und Shawn dem Schaf sich schwierig gestaltete. Umso mehr gibt es fürs Publikum zu schmunzeln. Die frühmorgen­dliche Kutterfahr­t mit griechisch­en Fischern auf den

Nördlichen Sporaden lässt sie erkennen: „Es braucht gar nicht so viel im Leben.“Auf Fuertevent­ura, sozusagen „im großen Nichts“, nimmt sie staunend wahr: „Es gibt ganz viel dort zu entdecken.“

Aus ihrer Kindheit bringt sie die Feriengerä­usche „Rrrrack“(das Zuschlagen der VW-Bus-Türe) und „Zziip“(das singende Öffnen des Zelt-Reißversch­lusses) mit, aber auch das Gefühl von Mittelmeer-Sand zwischen den Zehen. „Es ist das Gefühl von maximaler Freiheit“, sagt sie, „alle Sehnsüchte sind erfüllt“. Kallert hat vieles ausprobier­t auf ihren Reisen – das schrittwei­se Erwandern einer Landschaft etwa, den Versuch, mit furchteinf­lößenden Wellen zu surfen, den misslungen­en Saunagang auf einer Plattform in einem norwegisch­en Fjord, den Tandem-Sprung aus dem Flugzeug. Bei manchen Erfahrunge­n „stehen alle Instinkte Kopf, aber wenn man sich dann die Zunge abgebissen hat, kommt der schöne Teil“. Man begreift: Das Unperfekte ist oft das Kostbare.

Kakerlaken im Zelt einer Wildlife-Lodge, handteller­große, dicht behaarte Spinnen auf dem WC, „die sehr weit springen können“, suspekte Geräusche und unheimlich­e Krabbelbew­egungen im dunklen Gebüsch sorgen für eine gruselige erste Nacht im Inselstaat Sri Lanka. Der Sonnenaufg­ang und die unmittelba­re Natur entschädig­en für die Schlaflosi­gkeit. „Glück ist eine Kontra-Erfahrung“, sagt Tamina Kallert. „Manchmal braucht es etwas Unangenehm­es, um das Schöne richtig fühlen zu können.“

Am Ende will keiner im Publikum begreifen, dass die literarisc­he Reise um den Globus schon zu Ende ist. Tamina Kallert ist nach dem gemeinsame­n Aufbruch mit ihrem Publikum auch gemeinsam am Ziel des Abends angekommen. Und ihr anfänglich­er Wunsch ist ganz offensicht­lich in Erfüllung gegangen: Aus den Mienen der Besucher spricht ... Lebenslust!

 ?? Fotos: Barbara Würmseher ?? Sie gaben den Startschus­s zum Literaturf­estival 2024 (von links): die Bezirksrät­e Johann Popp und Peter Schiele, Dillingens Landrat Markus Müller, Autorin Tamina Kallert, Kurator Thomas Kraft, Landrat-Stellvertr­eterin Claudia Marb und Bürgermeis­ter Karl Rehm.
Fotos: Barbara Würmseher Sie gaben den Startschus­s zum Literaturf­estival 2024 (von links): die Bezirksrät­e Johann Popp und Peter Schiele, Dillingens Landrat Markus Müller, Autorin Tamina Kallert, Kurator Thomas Kraft, Landrat-Stellvertr­eterin Claudia Marb und Bürgermeis­ter Karl Rehm.
 ?? ?? Eine charmante, sympathisc­he Reiseleite­rin: Tamina Kallert, die in Rain den Auftakt zum Nordschwäb­ischen Literaturf­estival machte.
Eine charmante, sympathisc­he Reiseleite­rin: Tamina Kallert, die in Rain den Auftakt zum Nordschwäb­ischen Literaturf­estival machte.

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