Neuburger Rundschau

„Ich schäme mich dafür“

Fünf Frauen glaubten, ihren Enkelinnen zu helfen, und übergaben einem Unbekannte­n Geld, Gold und Schmuck. Jetzt steht der mutmaßlich­e Betrüger „Herr Adam“in Ingolstadt vor Gericht.

- Von Luzia Grasser

Die Frau hat sich herausgepu­tzt für den Prozess. Sie hat sich geschminkt und ihre Pumps angezogen für den Termin in Ingolstadt. Ihre Enkelin hat die 89-Jährige von München aus hierhergef­ahren und in den Saal 100 des Landgerich­ts begleitet. Dabei sollte die junge Frau eigentlich im Gefängnis sein, weil sie bei einem Unfall den Tod einer Schwangere­n verursacht hat.

Das jedenfalls hatte man ihrer Oma erzählt, als vor eineinhalb Jahren bei ihr zu Hause in München das Telefon geklingelt hat. „Oma, Oma, du musst zahlen“, schluchzte die vermeintli­che Enkeltocht­er. „Mach, was die Polizei dir sagt.“Und die meldete sich auch sogleich am Telefon und forderte 50.000 oder 60.000 Euro, so genau erinnerte sich die Frau nicht mehr. Alles, damit ihre Enkelin nicht 16 Jahre lang ins Gefängnis muss. Am Ende suchte die Seniorin alles zusammen, was sie zu Hause finden konnte. Geld, Schmuck, Erbstücke, an die 20.000 Euro dürfte es wert gewesen sein. Wenig später stand schon ein junger Mann, nach Aussage der Anruferin ein „Herr Adam“, an der Haustür und packte den Beutel ein. Genau dieser 27-Jähriger muss sich seit Dienstag am Landgerich­t Ingolstadt wegen bandenmäßi­gen Betrugs verantwort­en. Er hat bereits gestanden, an fünf Taten in München, Augsburg und Ingolstadt beteiligt gewesen zu sein.

Der Angeklagte dürfte das letzte Glied in einer großen Betrugsmas­chinerie gewesen sein. Denn der Enkeltrick­betrug ist hierarchis­ch aufgebaut, erklärte ein Polizist am Gericht. Die Täter agieren länderüber­greifend und versuchen immer mit derselben Masche ihr Glück. Sogenannte Keiler, die in Callcenter­n im Ausland sitzen, suchen aus den Telefonbüc­hern mögliche Opfer heraus. Sie rufen an und erzählen hanebüchen­e Geschichte­n von Unfällen, in die nahe Verwandte verstrickt seien. Damit diese einer möglichen Haftstrafe entkommen, gibt es nur eine Lösung: Die Angehörige­n müssen viel Geld zahlen. Und zwar sofort. Ohne noch jemanden zu kontaktier­en oder gar die örtliche Polizei anzurufen. Über einen Logistiker werden die Anrufe koordinier­t, er ist es auch, der die Abholer an die entspreche­nden Örtlichkei­ten schickt.

So war es auch beim Angeklagte­n. Morgens bekam der Münchner von einer unbekannte­n Anruferin gesagt, in welche Stadt es gehen sollte. Dort wurde er mit dem Taxi zu den Adressen der fünf Seniorinne­n

– alle geboren zwischen 1934 und 1947 – geschickt, stellte sich gelegentli­ch als „Herr Adam“vor und packte jedes Mal die Taschen samt Beute ein. Mal übergab er sie in Berlin einem Unbekannte­n, mal in München. Zehn Prozent der Beute sollten seine Entlohnung sein, berichtete er. Gesehen hat er das Geld allerdings nie. Denn er hatte Schulden bei einem Bekannten

und sollte sie auf diese Weise abarbeiten. Genau diese finanziell­en Nöte waren auch der Grund, weshalb er sich für den Enkeltrick­betrug anheuern ließ, erklärte er. Damals war er erst 25 Jahre alt, hatte aber schon eine lange Drogenverg­angenheit hinter sich. Zehn Jahre vorher war er mit Cannabis und Marihuana in Berührung gekommen, das steigerte sich immer weiter bis hin zu Heroin. Einen Hauptschul­abschluss hat er zwar geschafft, doch ein geregeltes Berufslebe­n bekam er nicht mehr auf die Reihe. Er war teilweise obdachlos, prostituie­rte sich zwischenze­itlich, verbrachte schon mehr als drei Jahre in Haft. Vor allem wegen Drogendeli­kten und Diebstähle­n. 20 Vorstrafen finden sich in seiner Biografie.

Der gerichtlic­he Gutachter befürworte­te dann auch eine Drogenther­apie für den Angeklagte­n. Er betonte aber gleichzeit­ig, dass dem Mann ein steiniger Weg in ein geregeltes Leben bevorstünd­e. Seine Freunde stammten alle aus der Szene, zur Mutter gibt es überhaupt keinen Kontakt mehr. „Er muss sich alles erarbeiten“, sagte der Gutachter. „Da wartet niemand auf ihn.“Gleichzeit­ig bescheinig­te er ihm aber auch ein freundlich­es Wesen und „keine schlechte intelligen­te Ausstattun­g“.

Seinen Opfern gegenüber entschuldi­gte sich der gebürtige Pfaffenhof­ener wortreich „Ich hoffe, dass Sie zu Ihrem alten Leben zurückfind­en“, sagte er zu einer der Frauen. Zu einer anderen sagte er: „Ich schäme mich dafür.“

Die Münchnerin, die 20.000 Euro verloren hatte, zeigte sich gerührt angesichts dieser Worte: „Das ist aber schön, dass sie das jetzt sagen.“

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Foto: Luzia Grasser Ein 27-Jähriger war in einen Enkeltrick­betrug verwickelt. Fünfmal hat er bei Seniorinne­n Geld, Münzen und Schmuck abgeholt. Jetzt muss er sich am Landgerich­t Ingolstadt verantwort­en.

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