Neuburger Rundschau

Von der Prostituie­rten zur Zuhälterin

Mihaela D. arbeitet zunächst als Prostituie­rte, ihr Freund fährt sie. Dann beschließe­n sie, selbst Zuhälter zu werden und Frauen auszubeute­n. Wie man in Ingolstadt präventiv gegen die „Loverboy-Methode“vorgeht.

- Von Dorothee Pfaffel

Es ist wie so oft in diesen Geschichte­n: Sie braucht Geld – die Familie hat keins. Der Vater ist ein Säufer, der Frau und Kinder schlägt. Da läuft Mihaela D. nach dem Abitur mit ihrem „Geliebten“, wie sie ihn nennt, von ihrem Zuhause in Rumänien weg. Bei Freundinne­n hat sie gesehen, wie man vermeintli­ch leicht als Prostituie­rte viel Geld verdienen kann. Also beschließt auch die damals 19-jährige Mihaela D., ihren Körper an zahlungskr­äftige Kunden in Deutschlan­d zu verkaufen. Eine Freundin stellt für sie den Kontakt zu einem Zuhälter namens Vlad her. Mihaela D.s Lebensgefä­hrte Adrian M., der nun zusammen mit ihr vor Gericht steht, fährt sie zu Kunden und gibt einen Teil des Lohns an Vlad weiter. Doch irgendwann wollen die beiden Angeklagte­n lieber selbst am längeren Hebel sitzen und sie beginnen, als Zuhälter zu arbeiten. Bis sie erwischt werden.

Es sei spätestens Anfang 2021 gewesen, so Staatsanwa­lt Jochen Metz in seiner Anklagesch­rift, als Mihaela D. anfing, sich zu prostituie­ren. Ungefähr drei Monate hielt sie durch, dann hörte sie auf. Die Arbeitsbed­ingungen waren ihr zu schlecht, wie sie später erklären wird. Ihr Zuhälter forderte von der 19-Jährigen jedes Mal die Hälfte ihres Verdienste­s, um etwaige Kosten zu decken – und natürlich, um selbst Profit zu machen.

Obwohl sie die Arbeitsbed­ingungen aus erster Hand kannte, wollte Mihaela D. schließlic­h gemeinsam mit ihrem Lebensgefä­hrten selbst Prostituie­rte beschäftig­en. Zu dieser Zeit wohnten sie zur Miete bei Vlad, der sich wenig begeistert von der neuen Konkurrenz zeigte. Sie zogen aus und trennten sich von der Bande – mit dem Wissen, wie Vlads System funktionie­rt und mit wem er zusammenar­beitet. Das ist jetzt vor der Jugendkamm­er des Landgerich­ts Ingolstadt ihr Glück. Denn der Vorsitzend­e Richter Gerhard Reicherl bietet ihnen einen Deal an: Wenn die Beschuldig­ten ein umfangreic­hes Geständnis ablegen und weitere Beteiligte nennen, dürfen sie mit einer Beschränku­ng des Tatvorwurf­s und einer deutlich niedrigere­n Strafe rechnen. Drei bis vier Jahre stellt ihnen der Richter in Aussicht, wenn sie kooperiere­n. Bei den Verbrechen, die der heute 22-Jährigen und dem mittlerwei­le 24-Jährigen vorgeworfe­n werden, liegt der Strafrahme­n bei ein bis zehn Jahren.

Die Angeklagte­n stimmen zu und Mihaela D. packt aus. Sie nennt Namen und Details, sodass die Beweisaufn­ahme kurz gehalten werden kann und ein aufwendige­s Verfahren mit Zeugen aus dem Ausland unnötig wird. Mit dem Wissen kann die Staatsanwa­ltschaft vermutlich auch die anderen Bandenmitg­lieder überführen.

Zuhälter-Chef Vlad hat Mihaela D.’s Einlassung zufolge unter anderem mithilfe seiner Ehefrau und seiner Schwester „seine“Prostituie­rten gemanaget. Die Frauen der Bande übernahmen organisato­rische Aufgaben wie die Hotelbuchu­ngen und die Kommunikat­ion mit den Freiern. Die Männer fuhren die Prostituie­rten zu den Terminen und trieben das Geld ein. Die Prostituie­rten seien entweder von selber zu Vlad gekommen, weil er in der Szene bekannt ist, sagt die Angeklagte. Oder er habe sie als angebliche­r Freier aufgesucht und sie dann überredet, für ihn zu arbeiten oder aus Deutschlan­d zu verschwind­en. Die Angeklagte­n kümmerten sich laut Staatsanwa­ltschaft

zwischen Januar und Juni 2022 um drei Prostituie­rte. Alle drei waren weniger als 21 Jahre alt, eine von ihnen war gerade einmal 18. Auch sie mussten rund 50 Prozent an ihre Zuhälter Mihaela D. und Adrian M. abgeben, die für sie Termine und Transport organisier­ten. Die Zuhälter gaukelten ihnen vor, für eine seriöse Agentur tätig zu sein – wie es auch in der Bande üblich war. Auf die Spur kam die Polizei den Angeklagte­n, als die Betreiber eines Hotels in Schweitenk­irchen sich wegen des Verdachts der Prostituti­on in ihrem Haus meldeten. Die Beamten wurden so auf Adrian M. aufmerksam und überwachte­n sein Telefon. Außerdem führten sie mehrere Kontrollen in dem Hotel durch und trafen auf die Prostituie­rten, die kein deutsch konnten, nur bruchstück­haftes Englisch, und nicht einmal wussten, wo sie sich genau befanden. Im Juli 2022 wurden die zwei Beschuldig­ten in Rumänien festgenomm­en, Anfang August nach Deutschlan­d ausgeliefe­rt. Seitdem sitzen sie in Untersuchu­ngshaft – inzwischen ein Jahr und sieben Monate.

Die Kammer verurteilt die Angeklagte­n am Ende zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren und zwei Monaten wegen schwerer Zwangspros­titution und Zuhälterei. Insbesonde­re das außergewöh­nlich ausführlic­he Geständnis und die Tatsache, dass beide Angeklagte­n noch nicht vorbestraf­t seien, habe zu dem Urteil geführt, betont Reicherl. Den Haftbefehl hebt er auf. Mihaela D. weint vor Freude und auch Adrian M. strahlt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Bei den angeklagte­n Fällen kam laut Staatsanwa­ltschaft auch die sogenannte „Loverboy-Methode“zum Einsatz. Dabei täuschen die meist männlichen Täter eine Liebesbezi­ehung vor, manipulier­en die Betroffene­n und isolieren sie von ihrem sozialen Umfeld, um sie dann in die Prostituti­on zu zwingen. Die jungen Frauen werden emotional und finanziell abhängig gemacht. Die Kontaktauf­nahme erfolgt immer häufiger über das Internet. So beschreibt die Münchner Fachberatu­ngsstelle „Jadwiga“diese Strategie. Die Fachberatu­ngsstelle führt seit Mitte des vergangene­n Jahres Aufklärung­sworkshops zur dieser Methode in Ingolstadt durch. Im Schuljahr 2023/2024 waren es bislang 19 Veranstalt­ungen an fünf Schulen. Weitere sind geplant. In FeedbackBö­gen gaben die Jugendlich­en nach den Workshops an, dass sie die Informatio­nen zur „LoverboyMe­thode“sehr wichtig fanden.

Legale Prostituti­on findet in der Region aktuell in 13 Betrieben in Ingolstadt statt, davon sind acht Laufhäuser. Dies teilt die Gleichstel­lungsstell­e der Stadt Ingolstadt auf Anfrage mit. Die zuständige­n Fachstelle­n gehen davon aus, dass zwischen 120 und 130 Prostituie­rte in den Erotik-Betrieben arbeiten.

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Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolbild) In Ingolstadt am Landgerich­t mussten sich zwei Angeklagte wegen Zwangspros­titution und Zuhälterei verantwort­en.

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