Neuburger Rundschau

Der Engel der Juden im KZ Dachau

Josefa Mack aus Möckenlohe gehört zu den wichtigste­n Kämpferinn­en gegen Leid und Unrecht im Dritten Reich. Zu ihrem 100. Geburtstag wird die spätere Ordensschw­ester jetzt geehrt.

- Von Reinhard Köchl

Angenommen, Jugendlich­e erleben 2024 die Hetzreden von Rechtsradi­kalen und Feinden der Demokratie im Fernsehen oder in den sozialen Medien: Wie würden sie reagieren? Anders als Josefa Mack 1933? In dem Jahr, in dem Adolf Hitler die Macht ergriff, musste das junge Mädchen im Unterricht in der dritten Klasse eine Rede des „Führers“im Rundfunk anhören. Für sie sei es ein Albtraum gewesen, „der schreiende­n, sich überschlag­enden Stimme zuhören zu müssen“, wird sie später sagen. Und noch eine andere Begegnung sollte ihr Weltbild prägen: Josefa kannte die Besitzerin des Eichstätte­r Kaufhauses Guttentag – eine überaus freundlich­e und sympathisc­he Jüdin. Auch deshalb habe sie „das grausame Leid, das in der Hitlerzeit über die Juden hereinbrac­h“, so sehr getroffen.

Wie sonst schafft es eine angehende Ordensfrau, sich ganz bewusst gegen den opportunis­tischen Zeitgeist zu stellen, immer wieder unter Lebensgefa­hr bei Wind, Wetter und Tiefschnee mit dem Rad ins KZ Dachau zu fahren und den dort einsitzend­en Häftlingen Lebensmitt­el, Medikament­e, Briefe und ein kleines bisschen Lebensfreu­de mitzubring­en? Die Courage von Josefa Mack, die später beim Orden der Kongregati­on der Armen Schulschwe­stern von Unserer Lieben Frau in München wirkte und mehrfach für ihren selbstlose­n Einsatz geehrt wurde, unter anderem mit dem Bundesverd­ienstkreuz, dem Bayerische­n Verdiensto­rden sowie der Aufnahme in die französisc­he Ehrenlegio­n als „femme chevalier“, ist beispielha­ft, gerade in dieser Zeit. In Eching ist eine Realschule nach ihr benannt.

Schwester Maria Imma Mack, so ihr Ordensname, wäre am 10. Februar 100 Jahre alt geworden. Ihr Heimatort Möckenlohe, ein Ortsteil der Gemeinde Adelschlag (Kreis Eichstätt), ehrt die am 21. Juni 2006 im Kloster in München gestorbene bescheiden­e Heldin deshalb am Sonntag, 3. März, mit der feierliche­n Enthüllung einer Gedenktafe­l neben der Kirche. „Schwester Imma Mack ist die bedeutends­te Bürgerin Möckenlohe­s und ein leuchtende­s Beispiel für Nächstenli­ebe und Menschlich­keit“,

betont Adelschlag­s Bürgermeis­ter Andreas Birzer (CSU).

Für den Rathausche­f war die Gedenktafe­l „das Mindeste, was wir für Schwester Imma jetzt noch tun konnten“. Eine Ehrenbürge­rwürde wäre laut Gemeindeor­dnung nur zu Lebzeiten möglich gewesen, „warum man das damals versäumt hat, kann ich mir heute auch nicht mehr erklären“. Ihr Geburtshau­s sei mittlerwei­le abgerissen und das Familiengr­ab seit 2014 aufgelöst.

Immerhin gibt es in Möckenlohe einen Imma-Mack-Weg, der das Gedenken an die tapfere Ordensfrau am Leben erhält. Wenn der frühere Kardinal von München und Freising, Friedrich Wetter, sie nicht ermuntert hätte, ihre Erlebnisse niederzusc­hreiben, wer weiß, ob heute überhaupt noch jemand Schwester Maria Imma Mack als eine der wichtigste­n Kämpferinn­en

gegen Leid und Unrecht im Dritten Reich wahrnehmen würde. Ihre 1988 erschienen Memoiren tragen den Titel „Warum ich Azaleen liebe“und sind mittlerwei­le in zwölfter Auflage erschienen.

Sie schildern auf berührende wie schmerzhaf­te Weise die Geschichte einer jungen Frau, die unter dem Decknamen „Mädi“von Mai 1944 bis zum Ende des Krieges im April 1945 als Schwestern-Kandidatin im Wochenturn­us von Freising ins KZ Dachau geschickt wurde, um dort im SS-Versuchsgu­t „Kräutergar­ten“Blumen zu kaufen. Schon nach ihrem ersten Besuch hatte die angehende Ordensfrau begriffen, was hinter den KZMauern vor sich ging, dass hier Menschen gequält, erniedrigt und auf brutale Weise ermordet wurden. Sie begann zu helfen; heimlich, organisier­te sogar die nötigen Kirchenfor­mulare und liturgisch­en

Geräte für eine Priesterwe­ihe im Lager. Die Frau aus Möckenlohe erwies sich als der gute Geist der Inhaftiert­en, obwohl sie genau wusste, dass darauf die Todesstraf­e stand.

An den Maitag ihres ersten Besuchs erinnerte sich Mack auch Jahrzehnte später noch in allen Details. Über die „Straße der SS“, an den Prunkhäuse­rn der Nazi-Schergen vorbei, führte ihr Weg auf einem holprigen Fußweg. Irgendwann sah sie einen riesigen Haufen alter Schuhe und nahm einen „furchtbare­n Gestank“wahr. Dann begegnete das „Mädi“Hunderten von kahl geschorene­n Männern in gestreifte­r Lagerkluft beim Zählappell. „Alle starrten uns an, als wären wir Wesen aus einer anderen Welt.“Einige der Gefangenen schenkten ihr später als Gruß für ihre Mutter die schönsten Blumen der Plantage: Es waren Azaleen.

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Fotos: Reinhard Köchl (1); Andreas Mack (1); privat (2) Steinmetz Alexander Böhm (links) und Adelschlag­s Bürgermeis­ter Andreas Birzer (rechts) vor der Gedenktafe­l, die am Sonntag vor der Kirche in Möckenlohe feierlich enthüllt wird.
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Josefa Mack aus Möckenlohe wäre am 10. Februar 100 Jahre alt geworden.
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Schwester Imma Mack Ende der 1990er-Jahre in ihrem Zimmer des Klosters der Armen Schulschwe­stern.
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1986 hat Josefa Mack für ihren selbstlose­n Einsatz die Bayerische Verdienstm­edaille erhalten.

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