Ein Traum von „Hubsi“und ein Höllenritt
Beim Starkbierfest der Freien Wähler wird beim Singspiel und am Rednerpult so manche treffende Spitze gesetzt. FW-Chef Hubert Aiwanger fühlt sich pudelwohl und singt mit.
Also doch kein Kaff? Die etwas despektierliche Behauptung, die in der Vergangenheit immer wieder zum „Derblecken“der eigenen Stadt hergenommen wurde, ist zumindest in den zurückliegenden Tagen eindrucksvoll infrage gestellt worden. Innerhalb einer Woche besuchte die Spitze der bayerischen Staatsregierung Neuburg; am Montag Ministerpräsident Markus Söder das Geschwader in Zell und am Samstag dessen Stellvertreter und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger das Starkbierfest seiner Freien Wähler (FW) im Kolpinghaus. Es muss also tatsächlich was dran sein an Neuburg.
Das fand offensichtlich auch Aiwanger, der sich bei der restlos ausverkauften Traditionsveranstaltung (Neuburgs FW-Chef Florian Herold: „Wir hätten 800 Karten verkaufen können“) pudelwohl fühlte, entgegen allen Erwartungen von der ersten bis zur letzten Minute kurz nach 23 Uhr blieb, wie üblich keinen Selfie-Wunsch ausschlug und immer wieder für persönliche Gespräche von Tisch zu Tisch wanderte.
Draußen weit und breit keine Spur von den befürchteten Protestkundgebungen. Nur die unauffälligen Sicherheitsbeamten verrieten, dass da ein prominenter Politiker anwesend sein musste. „Hier bin ich unter Freunden“, lachte der umstrittene FW-Vorsitzende aus dem niederbayerischen Rottenburg, der in bester Stimmung am Schluss sogar selbst das Handy zückte und das Absingen der Bayernhymne für seinen eigenen Facebook-Kanal filmte.
Zuvor hatte Aiwanger seinen Anhängern in einer 20-minütigen Rede genau das geboten, was sie von ihm erwarteten: Klartext, Ampel-Bashing, ein flammendes Plädoyer für Bayern und eine leidenschaftliche Bekräftigung seiner Unterstützung für die Landwirte. Wie das „Prinzip Aiwanger“funktioniert, verstand an diesem Abend jeder: Mit markigen, mitunter populistischen Thesen den Nerv der Menschen treffen und damit ganz gezielt die Bedürfnisse der Medien triggern. Das sei seine Aufgabe, wie er im Interview mit unserer Zeitung zu verstehen gab. „Alle, die meinen, der Aiwanger gehört in sein Büro eingesperrt und der Schlüssel weggeworfen, der irrt sich! Wir Freien Wähler lassen uns nicht verscheuchen!“
Unter den Klängen der Baringer Blaskapelle benötigte der 53-Jährige vier Schläge, bis er das Starkbierfass vom Juliusbräu angestochen hatte. Generell hatten sich seine FW-Freunde schwer ins Zeug gelegt, um ihrem vom Nockherberg
gestählten Boss zu beweisen, dass Neuburg ein ansprechendes und kurzweiliges Starkbierfest auf die Beine stellen kann. Die 37. Auflage überraschte durch ein modifiziertes, von Holger Meilinger und Sepp Egerer „bewegtes“Bühnenbild, das zunächst Sissy Schafferhans nutzte, um in ihrer „Märchenstunde“eine Vision ihrer Heimatstadt vorzustellen. In ihren Träumen würde der „Hubsi“dann als von den „Ampel-Wuislern“unterschätzter Highlander durch Neuburg reiten, am Huba vorbei bis zum Schrannenplatz, „dessen Bestimmung nach 30 Jahren langsam einen Sinn macht“, bis er schließlich feststellen würde, dass der Bau der zweiten Donaubrücke tatsächlich begonnen habe. Alles Fantasie? Aiwanger stürmte jedenfalls spontan die Bühne und fiel vor der früheren „Schönheitskönigin von Schneizlreuth“auf die Knie.
Die Frage stellte sich zwangsläufig: Wie viel Stoff würde Sissy Schafferhans dem nach ihr auftretenden Sepp Egerer für dessen Fastenpredigt übrig lassen? Genügend, wie die Besucher des Starkbierfestes nach der fast 40-minütigen Standpauke konstatierten. Egerer gelang es diesmal trotz einiger der Länge geschuldeter Durchhänger, gewürzt mit einigen von Pädagogin Gabriele Kaps auf Richtigkeit geprüften Latein-Zitaten, eine Reihe deftiger Spitzen, auch gegen die Gastgeber, zu setzen. In Richtung von Florian Herold: „Gelingt es dir, beim Volk Anklang zu finden? Nein! Du bist und bleibst a Preiß!“An Landrat Peter von der Grün: „Wollen Sie das überhaupt noch? Mit diesen 18 Judas-Bürgermeistern?“Bruder Sepp wusste den Grund für das AfD-Hoch in der Stadt und dem Landkreis: „Wenn eine Ampel nicht funktioniert, gilt automatisch rechts vor links.“Natürlich bekam auch OB Gmehling sein Fett weg: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass diese Stadt eine zweite Donaubrücke bekommt. Aber wenigstens ein Steg über den Längenmühlbach sollte seinen Namen tragen.“
Die Bürger müssten mit der neugestalteten Färber- und Schmidstraße viel ertragen, das marode Rote Tor sei eine Sache für den Mayr-Hansi, der dort moderne Wohnungen schaffen könne, und zur Situation am Neuburger Krankenhaus fiel ihm nur ein: „In Ewigkeit, Ameos!“Seinen besten Auftritt hatte Sepp Egerer jedoch, als im Singspiel-Vorspann in vorauseilender Erwartung eines Blitzbesuches des FW-Parteichefs der
Satz auftauchte: „Auch wenn sich der Herr Aiwanger schon längst verpisst hat.“Der war freilich noch da. Worauf Sepp Egerer kleinlaut auf die Bühne kam: „Entschuldigung, aber des war mein Bruder.“
Im abschließenden „Höllenfahrtskommando“herrschte ein bisschen dramaturgisches Durcheinander, aber die Darsteller glänzten auf der „Highway To Hell“, bewacht von den Teufeln (Kerstin Egerer, Klaus Buckl) und frequentiert von einem um Asyl bettelnden Landrat von der Grün (treffend: David Munzinger).
Matthias Enghuber (verkörpert von seinem Freund Benjamin Machel) traf dabei auf sein Lebenstrauma Roland Weigert (herrlich überheblich: Wolfgang Girstmair), und OB Gmehling (einmal mehr ein Genuss: Mike Kettl) kämpfte sich mit seiner Stadtratsseilschaft (Christian Grohmann als Sissy Schafferhans, Matthias Wittmann als Michael Wittmair, Norbert Stemmer als Gerhard Schoder, Armin Utzmann als Bernhard Pfahler und Egerer selbst als Florian Herold) in Richtung Höllenfeuer – als teambildende Maßnahme. Nur das Singen zu den Titeln der Neuen Deutschen Welle blieb beim Singspiel ein überschaubares Vergnügen. Doch begeisterten Applaus gab es allemal. Den hatten sich alle Akteure nach vier Monaten Proben auch redlich verdient.
Matthias Enghuber trifft auf sein Lebenstrauma.