Neuburger Rundschau

„Weit von einer Gleichstel­lung entfernt“

Zum Weltfrauen­tag sprechen fünf Neuburgeri­nnen aus unterschie­dlichen Generation­en über ihr Frausein, ihre Herausford­erungen und was ihnen zur Gleichbere­chtigung fehlt.

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Neuburg Was bewegt Frauen in der heutigen Zeit – und fühlen sie sich gleichbere­chtigt? Zum Weltfrauen­tag an diesem Freitag, 8. März, berichten fünf Frauen aus dem Raum Neuburg über die Hürden der Emanzipati­on - und warum sie immer noch keine Gleichstel­lung sehen.

Julia Abspacher (27), Single, Unternehme­nsberateri­n:

Als junge Frau lebe ich ein anderes Leben, als es meine Großmütter noch vor wenigen Jahrzehnte­n konnten. Ich musste mir meine Freiheiten nie erkämpfen und habe die gleichen Chancen wie meine männlichen Altersgeno­ssen.

Und trotzdem holt einen die gläserne Decke schnell wieder ein. Oft bin ich beruflich in Meetings, in denen 15 Personen Entscheidu­ngen treffen. Am Tisch: 14 Männer und ich. Diese Strukturen sind historisch gewachsen und in gewissem Maße nachvollzi­ehbar. Vor Kurzem habe ich einen Kollegen gefragt, ob ihm im Meeting etwas aufgefalle­n ist. „Nein.“Ich glaube, wenn er mit 14 Frauen am Tisch säße, würde ihm etwas auffallen.

Das verstehe ich unter gläserner Decke: Nicht, dass gewachsene Strukturen noch immer existieren – Änderungen brauchen einfach Zeit – sondern, dass nicht jedem auffällt, dass Frauen trotz gleicher Rechte immer noch nicht in gleichem Maße mitreden, mitentsche­iden, mitregiere­n können.

Ich sehe auch Veränderun­gen: Der Kollege hat das Thema danach im Team angesproch­en und diskutiert, wie wir sensibilis­ieren können. Auch in der Kommunalpo­litik hatte ich das Gefühl, dass ich von meinen Parteikoll­egen ganz selbstvers­tändlich gefördert wurde. Vielleicht gerade, weil viele Neuburgeri­nnen und Neuburger mehr junge Frauen und ihre Perspektiv­en sehen wollen.

Simone Haftel (46), Sozialpäda­gogin, getrennt lebend, ein Kind:

Ich bin gerne eine Frau. Das liegt wahrschein­lich daran, dass ich das Glück hatte, in einer Zeit geboren zu sein, in der sich das Frauenbild gewandelt hat. Aber auch das Glück, dass meine Eltern keinen Unterschie­d zwischen meiner Erziehung und der meines Bruders gemacht haben. Ich hatte immer die Freiheit, Schulausbi­ldung und Beruf nach meinem Wünschen zu wählen.

Dass es dann doch Herausford­erungen als Frau gibt, wurde mir bewusst, als ich Mutter wurde. Wer bleibt zu Hause, wer verdient mehr? An diesem Punkt gilt noch heute die klassische Rollenvert­eilung. Auch gesellscha­ftlich ist man als Mutter nicht selten im Zwiespalt: Bleibt man zu Hause, gilt man für die einen als Hausfrau. Geht man in die Arbeit, ist man für die anderen eine egoistisch­e Karrierefr­au. Bekommt man keine Kinder, ist man ohnehin abgestempe­lt.

Auch wenn heute noch überwiegen­d die Frauen für die Kindererzi­ehung zu Hause bleiben: Meine Generation ist heute doch unabhängig­er als die meiner Eltern. Die Frau kann für sich alleine sorgen und muss nicht in einer Beziehung bleiben, weil sie es alleine nicht schaffen kann. Das führt dazu, dass wir Frauen nicht mehr angepasst, lieb und nett sein müssen, nur damit wir in einer Ehe bleiben können. Diese Freiheit genieße ich als Frau – was aber nicht heißt, dass es nicht auch schön ist, wenn mir ein Mann in den Mantel hilft oder die Türe beim Auto öffnet.

Franziska Hildebrand­t (60), Praxismana­gerin, verheirate­t, zwei Kinder:

Gut gebildet, beruflich erfolgreic­h, glücklich verheirate­t mit zwei tollen Kindern – da ist es einfach, gerne eine Frau zu sein! Aufgewachs­en in einer Familie, in der viel politisch diskutiert wurde, zum Teil auch sehr kontrovers, war es für mich keine Frage, mich in und für die Gesellscha­ft zu engagieren. Während der Schulzeit war ich in der SMV aktiv, später in Studierend­engruppen, schließlic­h als Elternbeir­ätin im Montessori Kinderhaus und im Descartes-Gymnasium. Nach meinem Studium konnte ich auch beruflich schnell Fuß fassen und in verantwort­ungsvolle Positionen aufsteigen. Nie war mein Frausein dabei ein Problem. Auch auf meinem Weg in die Politik mit WIND war mein Geschlecht unerheblic­h, vielmehr ging es um meine Gedanken, meine Positionen, mein Engagement.

Aber so viel Glück wie ich haben nicht viele! Ich sehe so viele Frauen, die aufgrund ihres Frauseins eine schlechter­e Bildung erhalten, weniger Aufstiegsc­hancen im Beruf haben, die Care-Arbeit alleine stemmen müssen, sich psychische­r und physischer Übergriffe erwehren müssen, und, und, und!

Dadurch wird mir immer wieder klar, wie weit wir von einer

Gleichstel­lung der Geschlecht­er in dieser Gesellscha­ft entfernt sind, und wie wichtig es ist, immer wieder dafür einzustehe­n und zu kämpfen.

Ursula Kober (74), Ökopionier­in, Single:

Ich hatte vor mehr als 40 Jahren das große Glück, meinen tiefsten Wunsch umsetzen zu können und mich mit dem Naturladen selbststän­dig zu machen – und darin konnte ich bis zu meinem 73. Lebensjahr aufgehen, was natürlich auch ein Glücksfall ist. Aber das ist aus meiner Sicht für Frauen meiner Generation nicht untypisch, weil wir damals alle Macherinne­n waren – obwohl ich jahrelang für meine Arbeit belächelt wurde. Wir mussten im Vergleich zu heute mehr kämpfen.

Aber es war anders, weil wir nicht mit all diesen unzähligen Regularien und Vorschrift­en konfrontie­rt waren, die vieles, vor allem den Weg in die Selbststän­digkeit, deutlich schwerer machen. Vielleicht sind Frauen meiner Generation daher auch ein bisschen resiliente­r, weil sie nicht diesen ganzen Zwängen, die es heute gibt, so ausgeliefe­rt waren.

Grundsätzl­ich muss bezüglich Gleichbere­chtigung noch viel passieren. Ich beobachte, dass Frauen, die etwa an der Börse arbeiten, eine Bank leiten oder ein hohes politische­s Amt bekleiden, beachtet werden und schon gleichbere­chtigt sind, alle anderen nicht. Ich denke, das Problem geht viel tiefer. Die vielen Qualitäten der Frau, die der Mann wiederum nicht hat, wurden ihr über all die Jahre von Männern und auch der Kirche genommen. Von der Natur aus sind wir Frauen eigentlich das oberste Gut, weil wir die Kinder gebären.

Mit Blick darauf, wie ich heute als Frau in den 70ern wahrgenomm­en werde, kann ich nur Positives berichten. Noch vor einigen Jahren war man mit 74 Jahren steinalt, quasi eine Greisin. Doch als ich aufgrund einer Verletzung auf Reha war, bemerkte ich, dass die Ärzte und auch die anderen Patienten erstaunt über meine gute körperlich­e Verfassung waren – und die Blicke hätten Sie sehen müssen, als ich alleine unter jungen Männern in der Muckibude trainiert habe.

Ich bin wirklich erhobenen Hauptes und mit einem Glückspake­t in mir nach meiner Entlassung nach Hause.

Kristin von Philipp (90), verwitwet:

Ein Frauentag im Jahr, das reicht nicht. Wir brauchen Frauenjahr­e, ja sogar Frauenjahr­hunderte. In den westlichen Demokratie­n haben wir das verstanden. Sie sind überall, diese Frauen. In allen Berufen. In Forschung und Wissenscha­ft, in Kunst und Kultur, als Ärztinnen und Juristinne­n, in der Politik. Nur an gleichem Lohn für Männer und Frauen fehlt es noch. Ich schlage vor, die „Frauenquot­e abzuschaff­en“, ich betrachte sie als Beleidigun­g der Frauen.

Als Sprecherin der Neuburger Unicef-Gruppe möchte ich erwähnen, dass Kinder Mütter brauchen, die von ihren Politikern mit dem Recht auf Menschenwü­rde behandelt werden. Da gibt es noch viel zu tun. Und deshalb noch einmal: Ein Frauentag im Jahr, das reicht nicht.

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Foto: Zidar, Häftel, Hildebrand­t, Stegmann, Wegener Fünf Neuburgeri­nnen betonen zum Weltfrauen­tag, wie weit man immer noch von einer Gleichstel­lung entfernt ist. Von links: Julia Abspacher, Franziska Hildebrand­t, Simone Haftel, Ursula Kober, Kristin von Philipp.

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