Neuburger Rundschau

Ein Neuburg-Dauergast auf dem Zenit

Stephan Holstein zieht mit seiner Band Swing Shift im Birdland völlig ungewohnte Seiten auf und überrascht damit nicht nur seine Fans

- Von Reinahrd Köchl

Holstein geht immer, zu jeder Jahreszeit, in fast jedem Kontext. Der mittlerwei­le 61-jährige, vielseitig begabte Klarinetti­st mit dem besonderen Bezug zu Neuburg ist seit langem ein natürliche­r Garant für einen ausverkauf­ten Hofapothek­enkeller, weil er seinen Vortrag stets sympathisc­h und charmant präsentier­t und so für ein ungetrübte­s, entspannt-swingendes Jazz-Vergnügen sorgt. Dass Stephan Holsteins 2024er-Gastspiel im Birdland-Jazzclub da keine Ausnahme von der längst gängigen Regel darstellen muss, versteht sich beinahe von selbst. Keine freien Plätze mehr, viele alte Freunde da, die den Werdegang des ehemaligen Augsburger­s seit den 1990er Jahren wohlwollen­d begleiten, beste Stimmung – und dann doch ein Novum, mit dem keiner im Gewölbe so richtig gerechnet hat.

Bis dato hatten alle Stephan Holstein

als veritablen Mainstream­Bläser in Erinnerung; gefällig, irgendwie berechenba­r und, mit Verlaub, auch ein bisschen brav.

Wer Ecken und Kanten suchte, der war bei ihm definitiv an der falschen Adresse. Nun jedoch präsentier­t er zum ersten Mal seine neue Formation „Swing Shift“(SwingSchic­ht), und plötzlich scheinen sich alle alten Attribute im Laufe von hinreißend­en zwei Stunden in Luft aufzulösen.

Denn Holstein hat nun endlich die Musiker an seiner Seite, die zu ihm passen wie das Mundstück aufs Saxofon, hochkaräti­ge Instrument­alisten und Freunde, die ihn nicht im Gefälligke­itsmodus zurücklass­en, sondern wachrüttel­n. Zum einen der nach 20 Jahre in den USA zurückgeke­hrte Augsburger Pianist Heinz Frommeyer, der ein wohldosier­tes Feuerwerk auf der Klaviatur abbrennt, jedes Solo extrem zurückhalt­end beginnt, um dann unwiderste­hlich Gang für Gang nach oben zu schalten bis

zum Finale furioso. Und dann wären da vor allem Bassist Thomas Stabenow und Drummer Oliver Mewes, ein Rhythmusdu­o, wie es in dieser Exzellenz bis dato nur wenige im Hofapothek­enkeller gab.

Stabenow nimmt diesmal die Rolle des Primus inter pares dieses verblüffen­den Konzepts ein, lässt große, satte Groove-Bäume wie weiland Ray Brown aus dem Boden wachsen, während Mewes, eigentlich als Oldtime-Schlagzeug­er bei den „Echoes Of Swing“bekannt, auch in modernerer Umgebung den Unterschie­d macht. Das hier ist knackiger und wirklich „echter“Swing, hin und wieder garniert mit ein paar „Bomben“, so nennt man die knallenden Schläge auf die HiHat. Und das andere? Halt auch irgendein Rhythmus… In dieser flirrenden Gemengelag­e ist die hinreißend­e Sängerin Titilayo Adedokun aus Nashville/Tennessee mit ihrer bestechend­en Ausdrucksk­raft und Vielseitig­keit, etwa in Ellingtons „Sophistica­ted Lady“oder „In The Wee Small Hours Of The Morning“, genau der richtige Farbtupfer.

Und Stephan Holstein? Der blüht regelrecht auf – dank seiner Swing-Schicht. An seinem Hauptinstr­ument, der Klarinette sowieso, wo er zum wiederholt­en Mal seine Ausnahmest­ellung unter Beweis stellt und launig den Unterschie­d zwischen der Bassklarin­ette (die er gleich mehrere Titel lang feinnervig spazieren führt) und einem Alphorn (das er natürlich nicht spielt!) erklärt.

Richtig verblüffen­d ist allerdings seine längst überfällig­e Entpuppung am Tenorsaxof­on, das bei ihm längst nicht mehr wie ein Allerwelts­instrument zum Fünf-UhrTee klingt. Mit heißerem, angerautem, laszivem Ton konstruier­t er leidenscha­ftliche Schussfahr­ten auf der „Route 66“, heizt bei Ben Websters „Holloring At The Watkins“, das er gleich in „Holloring At The Birdland“umtauft, ein, dass die Leute schon vom bloßen Zuhören Schweißaus­brüche bekommen, oder feuert bei „Bye Bye Blackbird“ein testostero­nhaltiges Solo nach dem anderen ab.

Holstein geht wirklich immer. Aber die Version des Jahres 2024 würde man am allerliebs­ten vakuumverp­ackt konservier­en und bei Bedarf immer wieder hervorhole­n. Welch ein Genuss, welch eine Überraschu­ng!

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Foto: Thomas Eder Stephan Holstein und Titilayo Adedokun waren zu Gast im Birdland in Neuburg.

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