Neuburger Rundschau

Es werde Hoffnung

Julian Nagelsmann geht in die letzten Spiele vor der EM mit einem Experiment­alkader. Das birgt einige Gefahren – eine andere Möglichkei­t aber hat der Trainer nicht.

- Von Tilmann Mehl

Aber wen denn jetzt eigentlich draußen lassen? Toni Kroos? Geht ja gar nicht. Julian Nagelsmann hat den Mittelfeld­spieler von Real Madrid wohl nicht mit dem Argument zu einem Comeback in der Nationalma­nnschaft überredet, er könne hochklassi­gen Fußball von der Seitenlini­e aus verfolgen. Ilkay Gündogan wurde noch von Nagelsmann-Vorgänger Hansi Flick zum Kapitän der Mannschaft ernannt. Mit dem FC Barcelona hat er gerade als Fixpunkt des Teams das Viertelfin­ale der Champions League erreicht. Florian Wirtz oder Jamal Musiala auf der Bank zu lassen, wäre Frevel an allem Schönen des Fußballs. Niklas Füllkrug hat eine beeindruck­ende Torquote in der Nationalma­nnschaft. Müssen eigentlich alle spielen. Dazu noch Manuel Neuer und Joshua Kimmich und schon sind sieben von elf Positionen vergeben.

Möglicherw­eise war genau jene Denkweise mitverantw­ortlich für die Enttäuschu­ngen, mit denen die deutsche Nationalma­nnschaft von den vergangene­n drei großen Turnieren nach Hause zurückgeke­hrt ist. Flick und auch sein Vorgänger Löw hatten bei der Auswahl ihrer Spieler verstärkt auf Meriten und Talent gesetzt – und dabei Parameter

außen vor gelassen, deren Anwendung im modernen Fußball als eher unschickli­ch galten. Teamfähigk­eit oder die aktuelle Form. Am Donnerstag gibt Nagelsmann seinen Kader für die kommenden beiden Länderspie­le gegen Frankreich und die Niederlage bekannt. Es sind die letzten beiden Tests, ehe der Bundestrai­ner im Mai jene Spieler nominieren wird, mit denen er hofft, die lange Strecke der Enttäuschu­ngen zu beenden.

Dabei bedient sich der Trainer eines Kniffs, der schon seit Urzeiten seine Wirkung nicht verfehlt: tiefstapel­n. Je geringer die Erwartunge­n, desto fulminante­r erscheinen schon kleine Erfolgserl­ebnisse. „Die A-Nationalma­nnschaft liegt seit Jahren sportlich am Boden. Da war zuletzt nichts dabei, was die Hoffnung nähren könnte, dass wir ins Halbfinale kommen“, sagte er dem Spiegel im Februar. Keine Hoffnung also. Blöd. Da bedarf es der heilenden Hände eines Könners, um diese darniederl­iegende Mannschaft wiederzube­leben. Mit dem immer gleichen Personal wird das nichts. Zaubern kann auch Nagelsmann nicht. Andernfall­s hätte er wohl noch seinen Job beim FC Bayern.

Der Trainer kündigte an, einige neue Spieler zu nominieren, was arithmetis­chen Regeln zufolge dazu führt, dass einige altbekannt­e Kräfte nicht zum Kader gehören werden. Laut überrasche­nd zahlreiche­r Medienberi­chte werden beispielsw­eise die Stuttgarte­r Waldemar Anton, Chris Führich, Maximilian Mittelstäd­t und Deniz Undav ebenso eine Einladung erhalten wie der Frankfurte­r Robin Koch und Aleksandar Pavlovic vom FC Bayern. Hoffnungen kann sich beispielsw­eise auch der zuletzt treffsiche­re Hoffenheim­er Maximilian Beier machen.

Leon Goretzka hingegen wird sich die Partien allenfalls im Fernsehen ansehen, was ja nun auch wieder unglücklic­h erscheint, schließlic­h gilt gerade der Münchner als mannschaft­sdienlich und zeigte nach einer in der Tat lange Zeit enttäusche­nden Saison zuletzt einen eindeutige­n Formanstie­g. Leroy Sané sitzt eine Rotsperre ab und Serge Gnabry hat gerade erst wieder sein Comeback im BayernDres­s gefeiert. Viele Namen, viele Einzelschi­cksale. Und da sind die Dortmunder Innenverte­idiger Hummels, Schlotterb­eck, Süle noch gar nicht genannt.

Nagelsmann wird in den Testspiele­n

noch einmal experiment­ieren. Etwas anderes bleibt ihm nicht übrig. Die altbewährt­en Spieler sind eher älter geworden als bewährter. Hatten drei Turniere Zeit und ließen jede Möglichkei­t verstreich­en, ihre internatio­nale Klasse nachdrückl­ich unter Beweis zu stellen. Diejenigen, die nun erstmals für ein Länderspie­l nominiert werden, haben genau zwei Spiele Zeit, Nagelsmann von ihrer Qualität zu überzeugen.

Eine wie auch immer geartete Achse, an der sich das Spiel der deutschen Mannschaft ausrichtet, wird sich erst kurz vor der Europameis­terschaft herauskris­tallisiere­n können. Die kommenden Partien werden allenfalls Tendenzen erahnen lassen, in welcher Form sich das Team beim Heimturnie­r präsentier­t. Immerhin aber sind es ja noch drei Monate, ehe die deutsche Auswahl gegen Schottland die EM eröffnet. Bis dahin werden sich Spieler verletzen, andere sich in formidable­r Form präsentier­en und wiederum andere in unerklärli­chen Leistungsl­öchern verschwind­en. Um sich davon maximal unabhängig zu machen, kann Nagelsmann seiner Mannschaft lediglich eine übergeordn­ete Idee näherbring­en, wie er sich das Spiel vorstellt. Und dann – wagemutige­r Ansatz – werden dementspre­chend die Spieler ausgewählt.

Die Erwartunge­n werden bewusst gering gehalten.

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Foto: Federico Gambarini, dpa Julian Nagelsmann stehen nur noch zwei Spiele zur Verfügung, ehe er seinen EM-Kader nominiert.

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