Neuburger Rundschau

Cool Jazz im Birdland

Tristano Unchained interpreti­eren Jazzklassi­ker

- Von Thomas Eder

Der Vorverkauf verlief anfangs zögerlich. Im Programm war die Musik als modern angekündig­t. Man stellte sich auf einen Abend mit Variablen und Unwägbarke­iten ein und dem mulmig mutigen Gefühl, als Konzertbes­ucher einfach mal etwas Ungewohnte­s auszuprobi­eren. Dass es dann ganz anders kam als erwartet, hatten die Besucher im Birdland Jazzclub neben dem Mastermind Julian Bossert am Altsaxopho­n dem Tenorsaxop­honisten Stefan Karl Schmid, dem Pianisten Thomas Rückert, dem Kontrabass­isten Calvin Lennig und dem Schlagzeug­er Fabian Arends zu verdanken. Um es gleich vorwegzune­hmen: Es war ein Abend der Superlativ­e, ein rauschende­s Fest der Töne, spannungsg­eladen und hochemotio­nal. Der Club war doch noch gut besucht und die Stimmung elektrisie­rend.

„Stella by Starlight“, „Out of Nowhere“, „Takin’ a Chance on Love“oder „Bye bye Blackbird“hießen die Stücke. Lauter Evergreens aus dem Great American Songbook. Nur, sie klangen in weiten Teilen nicht unbedingt so, wie man es gemeinhin im Jazz gewohnt ist. Die fünf Musiker haben sich der Inspiratio­n des in der Mitte des letzten Jahrhunder­ts aktiven blinden amerikanis­chen Klavierleh­rers Lenny Tristano verschrieb­en und über die Harmonien in freier Interpreta­tion einfach andere Melodien gelegt. Julian Bossert und Thomas Rückert haben dem Publikum kurz umrissen, wie diese Musik abläuft und was sie auf der Bühne tun. Durch dieses Verständni­s wurde das Konzert für die Besucher noch packender. Es gab keinen abgestimmt­en Ablauf in einem Lied. Die Musik funktionie­rte durch ein ständiges Hinübergle­iten in andere Stimmungen, in neue Ideen, in spontane Deutung. Die Stücke auf diese Art zu spielen, nennt man Cool Jazz.

Lenny Tristano war ein Meister des freien musikalisc­hen Verständni­sses. Alle fünf Musiker von Tristano Unchained haben diese Art zu interpreti­eren verinnerli­cht. Es war ein Genuss, einem jeden von ihnen zuzuhören, jeder konnte sich entfalten, keiner wollte dem anderen die Show stehlen oder sich in den Vordergrun­d drängen. Besonders angenehm war, dass nicht immer alle glaubten, gleichzeit­ig spielen zu müssen, sondern dass man ihnen die Freude ansah, wenn sie den Intuitione­n ihrer Kollegen lauschten und dabei selbst zum Publikum wurden. Es gab keinen Beifall während des Vortrags. Das aufmerksam­e Publikum hat verstanden, dass es wichtiger und schöner war, einfach zuzuhören und zu genießen.

Eine Zugabe musste noch sein. Wohin sich die entwickelt und was sie letztendli­ch spielen würden, wussten Tristano Unchained selber nicht. Echt cool.

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Foto: Thomas Eder Die fünf Musiker von Tristano Unchained haben sich der Inspiratio­n des blinden Klavierleh­rers Lenny Tristano verschrieb­en.

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