Neuburger Rundschau

Ein gutes Buch muss nicht düster sein

Krieg, Hass und Klimakatas­trophe bestimmen die Wahrnehmun­g dieser Tage. Und leider wird Literatur zu oft nur dann ernst genommen, wenn sie diese Krisen spiegelt.

- Von Felicitas Lachmayr

In der Ukraine und in Nahost tobt der Krieg, Rechtspopu­listen gewinnen an Einfluss, die soziale Ungleichhe­it nimmt zu, der Klimawande­l bedroht die Lebensgrun­dlage von Millionen Menschen.

Der Zustand der Welt wirkt düster, eine Katastroph­enmeldung jagt die nächste. Da möchte man ausbrechen und in eine andere, schönere Welt entfliehen. Romane, Gedichte und Erzählunge­n sind seit jeher ein bewährtes Mittel zur Realitätsf­lucht. Buch aufschlage­n und abtauchen in imaginäre Welten, um innere Ängste und äußerliche Unsicherhe­iten zu vergessen.

Die Romantiker waren die Meister des Eskapismus. Sie fühlten sich schon Ende des 18. Jahrhunder­ts von den gesellscha­ftlichen Umbrüchen überforder­t, wandten sich gegen das Rationale und Aufkläreri­sche,

beschworen das Mystische und die Natur als idealen Zufluchtso­rt herauf. Caspar David Friedrich hielt seine Traumwelte­n in Bildern fest, Joseph von Eichendorf­f erschuf sie in sehnsuchts­vollen Erzählunge­n. Etwas verkitscht und heimattüme­lnd, aber immerhin ein wenig Weltflucht – tut ja auch mal gut.

Davon hat die zeitgenöss­ische Literatur wenig zu bieten. Blickt man auf die Neuerschei­nungen des Frühjahrs und die Leipziger Buchmesse, die heute startet, zeigt sich: Eskapismus ist out. Aktuelle Romane spiegeln den Zeitgeist, kommentier­en das gesellscha­ftspolitis­che Geschehen und zeichnen ein eher düsteres Bild der Gegenwart. Da geht es um Abgründe der Großstadt („Auf den Gleisen“) oder des Muttersein­s („Liebesmühe“), um Fluchtursa­chen („Weiße Flecken“) und geplatzte Träume („Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah“), um die Drogenepid­emie in den USA („Demon Copperhead“) oder das Aussterben der Kleinstadt­familie („Die Arbeiter“). Wer als Literatin

oder Literat relevant sein will, schreibt über gegenwärti­g Relevantes, liefert feministis­che Perspektiv­en, stellt Geschlecht­erzugehöri­gkeiten infrage, erzählt von Traumata, sozialer Ungerechti­gkeit, vom harten Großstadtl­eben oder von den Abgehängte­n auf dem Land. Juli Zeh seziert seit Jahren das Dorfleben, die Schwierigk­eiten zwischen Ost und West und gilt als Versteheri­n gegenwärti­ger Probleme in Deutschlan­d.

Autorinnen und Autoren positionie­ren sich auch abseits ihrer Werke. Kim de l’Horizon rasierte sich bei der Buchpreisv­erleihung in Frankfurt die Haare, um sich mit den Frauen im Iran zu solidarisi­eren. In offenen Briefen haben Schriftste­ller ein Ende der Waffenlief­erungen an die Ukraine oder mehr Solidaritä­t mit Israel gefordert. Die Literaturs­zene ist vielstimmi­g und politisch. Wer Gesellscha­ftskritisc­hes beizutrage­n hat, wird rezensiert, nominiert und ausgezeich­net. Kunst darf und soll politisch sein, das ist unbestritt­en. Sie soll analysiere­n und kommentier­en, aber der Zeitgeist sollte nicht das einzige Kriterium sein.

Ein gutes Buch muss sich nicht in gesellscha­ftlichen Problemen und Schwarzmal­erei ergehen, es darf auch einfach mal ablenken, Leichtes erzählen und ja, auch Weltflucht ermögliche­n. Das Bedürfnis ist da, vor allem bei jungen Menschen. Auf TikTok präsentier­en junge Frauen ihre liebsten Romances, die schon fast altmodisch von der romantisch­en Zweierbezi­ehung erzählen. Autorinnen wie Sarah J. Maas oder Colleen Hoover begeistern Millionen mit Fantasyrom­anen und Liebesschm­onzetten. Man muss nicht gleich in Sehnsuchts­fantasien schwelgen und heile Welten heraufbesc­hwören, aber die Gegenwart hat auch Schönes zu bieten – und auch davon lässt sich erzählen.

Die Gegenwart hat auch Schönes zu bieten.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany