Neuburger Rundschau

Jenseits von Vorurteile­n

Ulrike Hansmann aus Unterhause­n geht davon aus, dass sie ein gesundes Baby bekommt. Dann erfährt sie, dass ihr Sohn Trisomie 21 hat. Sie muss sich entscheide­n, ob sie abtreibt oder nicht.

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Unterhause­n Noch heute erinnert sich Ulrike Hansmann ganz genau an den Tag, der ihr Leben kurzzeitig auf den Kopf stellen sollte. „Ich war im siebten Monat schwanger, als meine Frauenärzt­in mich zum dritten Mal zur Feindiagno­stik überwiesen hat, weil mein Baby zum damaligen Zeitpunkt recht klein und zierlich war“, erzählt die 38-Jährige. Der Arzt, der den Feinultras­chall durchführt, ist während der Untersuchu­ng hoch konzentrie­rt und still. „Erst nach der Untersuchu­ng hat er uns erklärt, dass der Oberschenk­el unseres Babys im Verhältnis zum restlichen Körper etwas kurz ist. Das könne ein Hinweis auf das Downsyndro­m sein“, erinnert sich Ulrike Hansmann.

Gemeinsam mit ihrem Mann entscheide­t sich Ulrike Hansmann für den sogenannte­n NIPT-Test, einen Bluttest, mit dem sich in der Schwangers­chaft kindliches Erbgut auf die Trisomien 13, 18 und 21 untersuche­n lässt. „Zwei Wochen später haben wir die Info bekommen, dass die Wahrschein­lichkeit, dass unser Baby mit dem Downsyndro­m zur Welt kommt, sehr hoch ist“, erzählt Ulrike Hansmann. „Für uns ist kurzzeitig eine Welt zusammenge­brochen.“

Sie sei drei Tage lang wie in einem Tunnel gewesen, hatte zwischenze­itlich „auch sehr dunkle Gedanken“. Zwei Tage lang habe sie ihren Bauch nicht mehr berührt, „ich habe einfach kurz die Connection zu meinem Sohn verloren“, so die Mutter. Drei Tage lang verschanze­n sich die Hansmanns, lassen niemanden an sich ran. „Plötzlich stehen Fragen im Raum wie etwa: „Kann ich jemals wieder arbeiten gehen oder habe ich einen Pflegefall zu Hause, der mich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche braucht?“

Bis dato hatten die Hansmanns noch keine Berührungs­punkte zu Menschen mit Downsyndro­m. „Über unseren Köpfen schwebte ein großes Fragezeich­en. Was bedeutet es eigentlich, ein Kind mit

Downsyndro­m zu haben? Wird unser Kind jemals einen Beruf lernen oder Auto fahren können?“Stück für Stück informiere­n sich die werdenden Eltern, nehmen Kontakt zu anderen betroffene­n Familien auf und schöpfen Hoffnung. „Wir haben uns intensiv mit der Diagnose auseinande­rgesetzt

und durch Gespräche mit anderen betroffene­n Familien gelernt, dass auch Kinder mit Downsyndro­m ein weitestgeh­end normales Leben leben können.“Dieses Wissen gibt den Hansmanns Kraft, Ulrike Hansmann schafft es sogar, die restliche Schwangers­chaft zu genießen. Mit 1900 Gramm und einer

Größe von 45 Zentimeter­n erblickt Thomas schließlic­h das Licht der Welt – und verzaubert seine Eltern vom ersten Augenblick an.

„Wir hatten keine Angst vor dem Kennenlern­en mit Thomas, wir haben uns unbändig auf ihn gefreut“, so Ulrike Hansmann, die rückblicke­nd sehr froh ist, dass sie die Diagnose erst im siebten Monat, aber dennoch vor der Geburt bekommen hat. „Ich weiß nicht, ob es nicht doch einen Unterschie­d gemacht hätte, wenn wir in den ersten drei Monaten von Thomas’ Besonderhe­it erfahren hätten“, gibt sie offen und ehrlich zu. Neun von zehn Frauen, die die Diagnose Trisomie 21 erhalten, entscheide­n sich in der Schwangers­chaft auch jenseits der zwölften Woche für einen Abbruch. Rechtlich gesehen ist diese Entscheidu­ng in Ordnung.

Zwei Wochen lang bleibt Thomas in der Kinderklin­ik in Neuburg. Als er seine Temperatur eigenständ­ig halten kann, wird er

Familie Hansmann aus Unterhause­n meistert Leben mit Trisomie 21.

Die Familie entscheide­t sich für ein Kind mit Downsyndro­m.

mit Magensonde entlassen. Die gemeinnütz­ige Organisati­on ELISA Familienna­chsorge übernimmt schlussend­lich die Nachsorge. „Gemeinsam mit unseren Kinderkran­kenschwest­ern und Sozialpäda­gogen entsteht in enger Zusammenar­beit mit Therapeute­n und Ärzten ein Netzwerk aus Helfern, damit die Familie möglichst schnell alleine mit der veränderte­n Situation zurechtkom­mt“, erklärt Simone Haftel, die die sozialmedi­zinische Nachsorge bei ELISA Familienna­chsorge leitet.

Heute ist Thomas 16 Monate alt. Er besucht als Integratio­nskind die Kinderkrip­pe. Einmal pro Woche geht Thomas zum Physiother­apeuten, mit Erfolg: „Lange wird es vermutlich nicht mehr dauern, bis er laufen kann. Aber: Das ist vermutlich das, was mich Thomas am meisten gelehrt hat: Man braucht Geduld.“Die Hansmanns haben ihre Entscheidu­ng, Thomas zu bekommen, übrigens nie bereut. „Hätten wir von Anfang an gewusst, dass wir zu 95 Prozent ein normales Leben führen können, hätten wir uns viele Tränen sicher ersparen können“, so Familie Hansmann. Jedes Jahr findet am 21. März der WeltDownsy­ndrom-Tag statt, heuer lautet das Motto „Schluss mit den Vorurteile­n“. (AZ)

 ?? Foto: Agnes Seemüller ?? Im siebten Schwangers­chaftsmona­t erfährt Ulrike Hansmann, dass ihr Baby das Downsyndro­m hat. Mittlerwei­le ist Sohn Thomas 16 Monate alt und die Familie überglückl­ich, dass sie sich der Herausford­erung gestellt hat.
Foto: Agnes Seemüller Im siebten Schwangers­chaftsmona­t erfährt Ulrike Hansmann, dass ihr Baby das Downsyndro­m hat. Mittlerwei­le ist Sohn Thomas 16 Monate alt und die Familie überglückl­ich, dass sie sich der Herausford­erung gestellt hat.

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