Zukunftsvisionen unter neuer Leitung
Das Ingolstädter Stadttheater will sich von einer passiven Spielstädte zum interaktiven Medium entwickeln. Das Publikum soll in Zukunft eingebunden werden und die Stadt integriert.
Das göttliche Auge der Vorsehung blickt einen an vom Titel des Spielzeithefts 2024/25 des Stadttheaters Ingolstadt. Damit stellt sich der ab Herbst amtierende Intendant Oliver Brunner nicht etwa unter den Schutz einer höheren Macht, das Auge – sozusagen das Logo des Geheimbunds der Illuminaten – dürfte vielmehr als Reverenz zu verstehen sein, die Brunner und sein Team der (Kultur-)Stadt Ingolstadt mit ihrem jetzt vorgestellten Spielplan gleich mehrfach bezeigen.
Dreh- und Angelpunkt der Theaterphilosophie des neuen Intendanten ist die Stadtgesellschaft Ingolstadts, sind die nah- wie fernstehenden Bürgerinnen und Bürger, nicht nur als Vis-a-vis des Theaters, sondern als Mitwirkende. Das bedeutet, das Theater versteht sich nicht als Oneway-Kulturdienstleister, will nicht mehr nur Sender sein, sondern auch Empfänger: das Publikum als Spiegelfläche, die Zuschauenden als Themengeber, Abonnenten nicht als passive Konsumenten, sondern als Akteure im kulturellen Dialog. Mit einer „Stadtdramaturgie“will sich das Theater „weiter in seine Stadt öffnen, als je zuvor“, das Studio im Herzogkasten wird zum „Möglichkeitsraum“für kleine
und feine Programmreihen. Ein zu gründender „Theaterbeirat“soll das seine tun, die Verbindung Stadt–Theater lebendig zu halten. Ein Experiment mit offenem Ausgang, gemeint als „größte Geste für die Öffnung des Theaters“ist der „theatrale Stadtspaziergang“durch die Fußgängerzone mit dem Titel „Die Lücke zum Glück“im Mai 2025.
Was ändert sich ansonsten unter der neuen Intendanz? Brunner hat eine neue Oberspielleiterin, Mirja Biel, und eine neue Chefdramaturgin, Sonja Walter, an seiner Seite. Das Leitungsteam komplettiert die alte und neue Leiterin des Jungen Theaters, Julia Mayr. Es
gibt wenige Wechsel im Ensemble, ein neues von einer Berliner Agentur entwickeltes Erscheinungsbild, das vorab schon mal mit einem „Servus“in sehr vielen (Schrift)Sprachen grüßt und mit immer wiederkehrenden, wunderbar wandelbaren Signets. Es gibt kein ausdrückliches Spielzeitmotto, aber leitende, prägende Themen, alles was gerade aktuell in der gesellschaftspolitischen Debatte dran ist. Der traditionelle Spielzeitcocktail entfällt, stattdessen gibt es mit „Opening Night“eine Eröffnungsinszenierung im Großen Haus (5. Oktober), mit der Mirja Biel ihren Einstand geben wird. Die anschließende Premierenfeier
fällt deutlich größer aus, als man das sonst so kennt: Shantel, der „König des Balkan-Dancefloors“gibt ein Konzert im Festsaal. Bereits am 3. Oktober lädt das Haus zu einem „Meet & greet“mit dem Personal des Stadttheaters und gibt Einblicke in den Planungsstand der Produktionen. „Istanbul“, eine teilweise zweisprachige Inszenierung, eröffnet am 11. Oktober die Spielzeit im Kleinen Haus. Im „Holztheater“, der im Aufbau begriffenen Ausweichspielstätte, die gerade fast täglich in den Medien auftaucht, wird es, wenn alles planmäßig läuft, zwei Schnupperveranstaltungen geben. Das Junge Theater will im März kommenden Jahres in Kooperation mit der Theatervermittlung und Ingolstädter Schulen, basierend auf Kästners „Konferenz der Tiere“, das neue Haus erobern und drei Tage lang „festivalmäßig besetzen“. Zwei Monate später sind die Ingolstädter Tanztage zu Gast im Theater am Glacis, „ein Mai mit Tanz, Performance, Interaktion und Diskurs“. Natürlich stehen auch Klassiker auf dem Programm: Shakespeares „Hamlet“, Molières „Menschenfeind“. Büchner, Schnitzler und Kästner werden neu gelesen oder „überschrieben“. Es gibt ein Open-Air-Musical im Turm Baur zum Spielzeitende, sieben Wiederaufnahmen, sieben „hochkarätige“Gastspiele und drei Uraufführungen, eine davon eine Auftragsarbeit, die sich mit dem Geheimbund der Illuminaten befasst: „Weishaupt und die Gespenster“.
Apropos: Wer mag, darf die Schlange, die sich auf dem Titelbild um das eingangs erwähnte göttliche Auge windet, als Kontrastsymbol zum Allguten sehen: die Versuchung durch das Böse. In diesem Spannungsfeld der Extreme lässt sich Theater in allen möglichen und unmöglichen Formen und Farben denken..
Das Spielzeitheft zum Downloaden gibt es unter: spielzeitheft 2024 25.pdf (ingolstadt.de).