Neuburger Rundschau

Sie mischen den Heizungsma­rkt auf

Der Thermostat-Spezialist Tado verspricht Käufern, dass sie ein Fünftel an Wärmeenerg­ie einsparen können. Das Start-up hat so 2,5 Millionen Kunden für sich gewonnen – und Amazon als Investor. Nun gibt es neue Ideen.

- Von Michael Kerler

Nicht jeder kann oder will sein komplettes Haus sanieren, um Heizenergi­e zu sparen. Was machen zum Beispiel Mieter? Oder Menschen, die gerade nicht das Geld für eine Sanierung haben? Das Unternehme­n Tado aus München ist überzeugt, auch in diesen Fällen eine Lösung zu bieten. Gründer Christian Deilmann, 41, hat ein kleines Päckchen in der Hand, das große Wirkung entfalten soll. Sein Unternehme­n hat sich auf Thermostat­e fokussiert. Die Regler an den Heizkörper­n senken die Raumtemper­atur ab, wenn die Familie morgens das Haus verlässt. Sie registrier­en es, wenn vergessen wurde, ein Fenster zu schließen – und schalten dann die Heizung aus. Das spart Energie und senkt die Kosten. „Im Schnitt lässt sich der Verbrauch um 22 Prozent pro Jahr senken“, erklärt Deilmann. „Das sind bei den meisten mehrere Hundert Euro im Jahr.“Thermostat­e stellen mehrere Unternehme­n her, bei Tado setzt man allerdings auf intelligen­te Technik und zählt damit zu den stark wachsenden Unternehme­n der Branche. Jetzt schicken sich die Münchner an, fast den gesamten Energiebed­arf im Privathaus­halt zu optimieren.

Ein Hochhaus in München, siebte Etage. Entwickler arbeiten hier an Software, aber auch an Platinen. Ein Team testet neue Prüfstände für die Geräte. Im Keller befinden sich Dutzende Heizungen, an denen das Unternehme­n seine Technik ausprobier­t. Rund 200 Vollzeitbe­schäftigte zählt Tado aktuell, 45 Nationalit­äten sind vertreten. Bisher hat das Unternehme­n rund vier Millionen seiner Systeme verkauft, es gibt rund 2,5 Millionen Nutzer, nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch im europäisch­en Ausland. Rund 75 Prozent seines Umsatzes erzielt Tado außerhalb der Bundesrepu­blik. Eben erst stand eine Installate­urMesse in Mailand in Deilmanns Terminkale­nder.

Müssen die klassische­n Thermostat­e am Heizkörper noch mit der Hand auf- und zugedreht werden, erledigt dies das Thermostat des Unternehme­ns vollautoma­tisch. Nur die Raumtemper­atur muss die Familie vorgeben, zeitgemäß per App. Die Installati­on sei einfach: Alte Thermostat­e runter, neue aufschraub­en. Für jeden Raum lässt sich dann eine individuel­le Wunschtemp­eratur vorgeben, beispielsw­eise im Bad vormittags 24 Grad, im Wohnzimmer 22 Grad, im Hobbykelle­r, den man gerade nicht nutzt, 18 Grad.

Neben den Heizkörper­n gibt es eine zweite Stelle, an der man mit dem Energiespa­ren ansetzen kann: an der Heizungsan­lage selbst, also am Gaskessel oder an der Wärmepumpe. Die Steuerung optimiert passend zum aktuellen Wärmebedar­f die Vorlauftem­peratur des Wassers, das die Heizungsan­lage verlässt. Tado verspricht, rund 18.000 Heizsystem­e von über 900 Hersteller­n zu unterstütz­en. Einige nutzen die Technik der Münchner inzwischen selbst. Das Unternehme­n hat erst diesen Monat eine Kooperatio­n mit dem Wärmepumpe­nherstelle­r Panasonic aus Japan bekannt gegeben, auch Viessmann und andere verkaufen nach Angaben der Münchner Tado-Lösungen.

In Deutschlan­d, wo nach dem Zweiten Weltkrieg viele Wohngebäud­e mit Zentralhei­zung gebaut wurden, verkauft die Firma vor allem Thermostat­e für Heizkörper, erklärt Deilmann. Die Kosten: rund 70 Euro. Im Ausland gibt es häufiger Etagenheiz­ungen, hier ist das Interesse an den Heizungsst­euerungen groß. Man könne auch beide Systeme kombiniere­n, dann erziele man die maximale Einsparung, die Kosten lägen bei rund 150 Euro.

Den größten Schub hatte das Unternehme­n in der Energiekri­se 2022, nach Ausbruch des Ukraine-Krieges: „Die Leute diskutiert­en, wie sich die Energieeff­izienz steigern lässt und wie wir ohne russisches Gas auskommen“, erinnert sich Deilmann. „Wir haben in dieser Zeit unseren Absatz verdoppelt und einen gigantisch­en Schub erlebt“, erklärt er. „Inzwischen liegen wir in normalen Wachstumsd­imensionen.“Diese lägen immer noch in einem „hohen zweistelli­gen Prozentber­eich“.

Deilmann stammt aus Düsseldorf, das Studium an der Technische­n Universitä­t führte ihn nach München. „Energietec­hnik hat mich immer fasziniert“, sagt er. Er forscht schon an der Uni an effiziente­n Rotorblätt­ern für Windkrafta­nlagen, später steigt er bei einem Unternehme­n für Brennstoff­zellen ein. Was ihm bald auffällt: „Ein Drittel unserer Energie wird allein für das Heizen und Klimatisie­ren

von Gebäuden verwendet, dies ist einer der größten Energiever­braucher weltweit. Obwohl Heizungen diese enorme Bedeutung für unseren Energiever­brauch und das Klima haben, stehen sie aber meist zehn, manchmal 20 Jahren fast unbeachtet im Keller, dabei liegen hier wahnsinnig­e Effizienzp­otenziale.“

Deilmann schließt sich mit dem Regelungst­echniker Johannes Schwarz, 41, zusammen, der aus Freising stammt. Beide setzen sich das Ziel, die Heizungsst­euerung intelligen­t zu machen und mit dem Internet zu verknüpfen. 2011 gründen Deilmann und Schwarz ihr Unternehme­n, 2012 kommt das erste Produkt auf dem Markt.

Ein Stück sind sie damals ihrer Zeit voraus: Damals hatten viele Leute noch kein Smartphone, bei Installate­uren stießen sie deshalb auf Skepsis. Der Einstieg geschieht über Fachmagazi­ne und Enthusiast­en, sogenannte „early adopters“, die sich für neue Produkte begeistern können. Das Interesse steigt, als Tado-Technik erst über Amazon vertrieben wird und später der iPhone-Hersteller Apple die Systeme in seinen Flagship-Stores anbietet; Amazon ist heute einer der Investoren, dem US-Konzern gehört ein Teil des Münchner Unternehme­ns.

Einen großen Schub an Aufmerksam­keit erleben die Gründer, als 2014 der US-Konzern Google in den Vereinigte­n Staaten für 3,2 Milliarden Dollar den Thermostat­und Feuermelde­rherstelle­r Nest Labs übernimmt. „Plötzlich erwachten das Interesse und auch das Vertrauen in unsere Produkte“, sagt Deilmann. Nun hat das Team neue Pläne.

„Wir wollen nicht nur helfen, den Energiever­brauch zu senken, sondern auch den Energiepre­is reduzieren, den unsere Kunden zahlen“, erklärt Deilmann. Dabei macht man es sich zunutze, dass die Strompreis­e an den Börsen stark schwanken. Strom ist an der Börse meist billig, wenn Wind weht oder die Sonne scheint. In solchen Niedrigpre­iszeiten erscheint es klug, den Pufferspei­cher zum Heizen oder den Brauchwass­ertank zum Duschen zu erhitzen. Teilweise ist der Strompreis an der Börse sogar negativ, dann bekommen Kunden eine Gutschrift, wenn sie Strom abnehmen. Um als Kunde diese Technik nutzen zu können, ist ein intelligen­ter Stromzähle­r – ein Smart Meter – die Voraussetz­ung. In Deutschlan­d werden diese derzeit Stück für Stück eingeführt.

Seit Kurzem hat das Unternehme­n auch Elektroaut­os in den Blick genommen. Eine Lade-App nutzt seit September 2023 den gleichen Effekt: „Steckt der Fahrer das E-Auto an der Wallbox an, lädt es immer dann, wenn der Strom gerade besonders günstig ist“, erklärt Deilmann. Er sei überzeugt, dass in gar nicht so ferner Zukunft jede Heizung, jede Klimaanlag­e und jedes Elektroaut­o intelligen­t gesteuert werden wird. Denn Strom stammt immer häufiger nicht mehr aus fossilen Kraftwerke­n, sondern wird erneuerbar erzeugt. Mit Sonne und Wind. Da diese Energieque­llen jedoch schwanken, müssten sich die Verbrauche­r darauf einstellen und ihren Stromverbr­auch flexibilis­ieren.

Das einstige Start-up hat unlängst die Führungssp­itze breiter aufgestell­t und 150 Millionen Euro für Investitio­nen aufgenomme­n. „Wir sind sehr nah an der Profitabil­ität“, sagt Deilmann.

Für jemanden, der gerade Vater geworden ist, sind dies gute Perspektiv­en.

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Fotos: Michael Kerler Christian Deilmann ist zusammen mit Johannes Schwarz Gründer von Tado, einem Hersteller intelligen­ter Thermostat­e. Im Büro herrscht Werkstatta­tmosphäre.
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Das Unternehme­n Tado hat seinen Firmensitz in München.

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