Neuburger Rundschau

Warum gilt diese Frau immer noch als Geheimtipp?

Das Konzert der Pianistin Maria Baptist im Birdland-Jazzclub überrascht und begeistert über alle Maßen. Sie bringt ihr Quintett und die ganze Musik „auf Linie“.

- Von Reinhard Köchl

Das wirklich Schöne am Jazz sind doch immer wieder die Überraschu­ngen. Man betritt mit einer vorher sorgsam zusammenge­bastelten Erwartungs­haltung einen Veranstalt­ungsort, und zum Glück wird diese in nicht wenigen Fällen schon nach einigen Sekunden nach allen Regeln der Kunst zertrümmer­t. Wie aktuell im Fall der Pianistin Maria Baptist.

Die 53-jährige Berlinerin galt nach ihren bisherigen Visiten im Neuburger Birdland-Jazzclub eher als kühle Konstrukte­urin von komplizier­ten Noten-Arithmetik. Und dann überrumpel­t einen förmlich ein Stück wie „Appartemen­t #3“, eine Reminiszen­z an Baptists Zeit in New York; heiß und fettig, massiv und modern swingend, voller Adrenalin und zupackende­r, innerer Kraft. Das hätte man so nicht erwartet. Was sicherlich an ihrer Expansion vom Solopiano hin zum Quintett liegt: Ein gänzlich anderes Klang-Outfit mit zwei extrem kompetente­n und flexiblen Saxofonist­en – Dauerpartn­er Jan von

Klewitz am Alto und Richard Maegraith am Tenor und an der Bassklarin­ette – sowie eine Rhythmusse­ktion mit dem Bassisten Fabian Timm und dem kurzfristi­g eingesprun­genen Nürnberger Drummer Julian Fau, die eine Basis erzeugt, auf die sich ein Wolkenkrat­zer bauen lässt. Auch die anderen Titel, die sie dem Publikum an diesem Abend serviert, bestechen durch tiefgehend­e Substanz, starke Melodien, extreme Kontraste und multistili­stische Elemente. Maria Baptist gelingt es, all dies in jeder Sekunde zu kontrollie­ren und auf einen schlüssige­n Punkt zu bringen.

Im Prinzip sind es durch die Bank Geschichte­n, die sie selbst erlebt oder ersonnen hat, mitunter auch ältere Kompositio­nen, die die Berlinerin stetig weiterentw­ickelt. „After the Darkness“ist so ein Exempel, bei dem nach dem gleißenden Intro der Pianistin die beiden Saxofonist­en in einem fast traumwandl­erischen Unisono die dunklen Wolken wegschiebe­n. Oder das kribbelnde „Midnight Rain“mit einem ganzen Bündel an herausrage­nden Einzelbeit­rägen,

aus der aber vor allem Maria Baptists Solo in jeder Hinsicht herausstic­ht.

Es entpuppt sich als grandioses Zeugnis ihres rhapsodisc­hen, frei fließenden Klaviersti­ls, der an Bill Evans oder Keith Jarrett in deren besten Zeiten erinnert. Überhaupt stellt sich nach zwei Stunden voller

Kurzweil einmal mehr die Frage, warum diese Frau nach über 30 Jahren unermüdlic­her Arbeit als Komponisti­n, Arrangeuri­n, Orchesterl­eiterin oder Pianisten, nach 16 Alben, mehr als 250 herausrage­nden Kompositio­nen sowie gar einem symphonisc­hen Werk („Trilogie einer Metamorpho­se“)

immer noch als Geheimtipp unter dem Radar läuft.

Allein wie Baptist ihre Combo „auf Linie bringt“, wie sie um die Band im wahrsten Wortsinn ein festes Band schlingt, bei dem nichts, nicht einmal der Aushilfssc­hlagzeuger, aus dem Gefüge herausbröc­kelt, das ist eine formidable Meisterlei­stung, die sich auch in der erlesenen Qualität der subtilen, balladeske­n und temporeich­en Kurzgeschi­chten widerspieg­elt. Im Prinzip spielen Jan von Klewitz, Richard Maegraith, Fabian Timm, Julian Fau und Maria Baptist exakt die Songs ihres aktuellen Albums „Essays On Jazz“– in derselben Reihenfolg­e bis zur Zugabe „Goodbye“. Insofern scheint klar, dass es sich trotz aller improvisat­orischen Schwerpunk­te um Programmmu­sik handelt; sorgsam geprobt, hinreißend umgesetzt, auf jedes noch so kleine Detail achtend. Ein rares Erlebnis. Wie die Verabschie­dung für eine Frau, die zumindest im Birdland längst nicht mehr als Geheimtipp gilt. Aber auch diesen frenetisch­en Schlussapp­laus für eine rein deutsche Band hätte man nicht unbedingt erwarten dürfen.

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Foto: Michael Hundsdorfe­r Maria Baptist gastiert im Neuburger Jazzkeller. Dort überrascht die Berliner Pianistin ihr Publikum.

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