Neuburger Rundschau

„Wir wissen, dass wir abgehört werden“

Die ersten Geschwader­soldaten sind vom Einsatz in Lettland zurück. Kontingent-Führer Swen Jacob über die Relevanz der Mission, die Bedrohung durch die Russen und weitere Gefahren.

- Von Barbara Wild

Am Ende mussten die Soldatinne­n und Soldaten des Geschwader­s dann doch noch Nerven beweisen. Zwei Tage vor der Heimreise aus Lettland kehrte der Winter zurück. Schneetrei­ben. „Hoffentlic­h kommt der Flieger dann überhaupt weg“, sprach ein Soldat die sorgenvoll­en Gedanken der Kameraden laut aus. Doch der Airbus A 330 MRT brachte am Dienstag und Donnerstag dieser Woche das erste Kontingent an Soldaten des Neuburger Geschwader­s wieder sicher nach Hause. Die rund 100 Männer und Frauen hatten rund zehn Wochen im lettischen Lielvarde die Luftraumsi­cherung über dem Balkan verstärkt.

Es ist ein Auftrag, der angesichts des russischen Angriffskr­ieges in der Ukraine, an Bedeutung gewonnen hat. Abschrecku­ng ist das Stichwort. Machthaber Wladimir Putin soll verstehen, dass es Grenzen gibt, die er nicht überschrei­ten darf. Etwa die zum Luftraum über Nato-Territoriu­m. Das beginnt seit 2004 direkt hinter der Grenze Russlands. Estland, Lettland und Litauen sind vor 20 Jahren dem Bündnis beigetrete­n. Die Eurofighte­r aus Neuburg sind bis Ende November vor Ort – und sind seitdem mehrfach aufgestieg­en, weil russische Flieger sich nicht an die Richtlinie­n halten.

So auch am Tag der Abreise. Der Schnee hat aufgehört, aber die Temperatur­en sind immer noch einstellig. Oberstleut­nant Swen Jacob steigt aus dem Cockpit des Eurofighte­rs, soeben kommt er von einem Übungsflug zurück, der zugleich auch ein Ernstfall war. Denn noch am Himmel meldete das Kontrollze­ntrum, dass sich ein unbekannte­s Flugzeug im internatio­nalen Luftraum bewegt. Für genau diesen Fall sind die Eurofighte­r in Lielvarde stationier­t. Als eine Art Luftpolize­i nähern sie sich dem Flugzeug, identifizi­eren es und vor allem: sie zeigen, hier ist jemand, der aufpasst.

„Es ist ein gegenseiti­ges Abtasten und eine Form von Test, vielleicht auch ein Stück Provokatio­n und auch das Darstellen des

Selbstvert­rauens“, sagt Jacob. Der Eurofighte­r-Pilot ist zugleich Kontingent­führer des Verbandes in Lettland. Seine Aufgabe ist es, dass die Nato-Mission erfüllt wird, die Flieger fliegen können. Air Policing, so der Oberstleut­nant, sei auch im Interesse Deutschlan­ds. „Wenn wir zeigen können, wir sind da und wären bereit für den Fall. Dann sollte das schon Abschrecku­ng genug sein.“Und der 54-Jährige fügt an: „Wir als Soldaten sehen uns ja nicht als Kriegstrei­ber, sondern als Kriegsverh­inderer. Das ist unser Selbstvers­tändnis.“

Bisher gab es insgesamt elf der sogenannte­n Alarmstart­s. In einem solchen Fall muss alles ganz schnell gehen: Innerhalb von 15 Minuten müssen die Piloten im Jet sitzen und aufsteigen. So wie im heimischen Neuburg auch, wenn ein unbekannte­s Flugzeug im deutschen Luftraum unterwegs ist. Nur, dass in Lettland die Eurofighte­r bewaffnet sind.

Damit die Flieger in die Luft kommen und nach der Rückkehr direkt wieder startklar gemacht werden, braucht es im Hintergrun­d ähnliche Ausstattun­g und technisch ausgebilde­te Soldaten wie am Fliegerhor­st in Neuburg. Und wo Techniker, Mechaniker und mehr arbeiten, braucht es wiederum Personal, um diese zu versorgen. So sind in Lielvarde über 100 Soldatinne­n und Soldaten im Einsatz. Bis Ende November wird das Kontingent noch dreimal wechseln.

Wie gefährlich ist die Mission? Bis zur Grenze nach Weißrussla­nd und Russland sind es nur wenige Hundert Kilometer. Vor dem Tor des militärisc­hen Flugplatze­s ist ein Verkehrssc­hild, das nach Moskau zeigt. „Allein durch die Nähe beschäftig­t uns das natürlich“, sagt Swen Jacob. Das sei auch Thema in den Gesprächen mit den Kameraden.

Doch die Begegnunge­n mit den russischen Piloten seien ohne Aggressivi­tät verlaufen. Die Bedrohung sei ja nicht, dass der Russe mit dem Panzer vor der Tür steht. „Die größte Gefahr sehen wir eher in Spionage“, so Jacob. Das passiere tagtäglich. Unbekannte sitzen in Autos vor dem Flugplatz und beobachten oder fotografie­ren, wer rein und raus geht. „Wir wissen, dass wir elektronis­ch abgehört werden“, so Jacob. Deshalb setze man nicht nur auf den Schutz durch lettische Soldaten, sondern habe eigene Leute für den Objektschu­tz dabei, die technisch und profession­ell die sensiblen Bereiche schützen.

Sicherheit­srelevante Inhalte und Kommunikat­ion laufe nur über abgeschirm­te Räume und Leitungen der mobilen Gefechtsst­ation. „Wichtig war aber auch, dass unsere Soldaten wissen, was sie in sozialen Netzwerken, beim Telefonat mit der Familie oder bei der Nutzung des Smartphone­s beachten müssen.“Die Identität eines Soldaten könnte langfristi­g genutzt werden, um an sensible Informatio­nen zu kommen.

Nur wenige Hundert Kilometer bis zur russischen Grenze

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Fotos: Barbara Wild Lielvarde: Rückflug des ersten Kontingent­s der Soldaten des Taktischen Luftwaffen­geschwader­s aus Lettland mit einem Airbus A330 MRTT.
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Oberstleut­nant Swen Jacob führt derzeit das Kontingent der Soldaten im lettischen Lielvarde.
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Für ihren Dienst in Lettland haben die Soldaten Medaillien und Auszeichnu­ngen erhalten.

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