„Wir wissen, dass wir abgehört werden“
Die ersten Geschwadersoldaten sind vom Einsatz in Lettland zurück. Kontingent-Führer Swen Jacob über die Relevanz der Mission, die Bedrohung durch die Russen und weitere Gefahren.
Am Ende mussten die Soldatinnen und Soldaten des Geschwaders dann doch noch Nerven beweisen. Zwei Tage vor der Heimreise aus Lettland kehrte der Winter zurück. Schneetreiben. „Hoffentlich kommt der Flieger dann überhaupt weg“, sprach ein Soldat die sorgenvollen Gedanken der Kameraden laut aus. Doch der Airbus A 330 MRT brachte am Dienstag und Donnerstag dieser Woche das erste Kontingent an Soldaten des Neuburger Geschwaders wieder sicher nach Hause. Die rund 100 Männer und Frauen hatten rund zehn Wochen im lettischen Lielvarde die Luftraumsicherung über dem Balkan verstärkt.
Es ist ein Auftrag, der angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, an Bedeutung gewonnen hat. Abschreckung ist das Stichwort. Machthaber Wladimir Putin soll verstehen, dass es Grenzen gibt, die er nicht überschreiten darf. Etwa die zum Luftraum über Nato-Territorium. Das beginnt seit 2004 direkt hinter der Grenze Russlands. Estland, Lettland und Litauen sind vor 20 Jahren dem Bündnis beigetreten. Die Eurofighter aus Neuburg sind bis Ende November vor Ort – und sind seitdem mehrfach aufgestiegen, weil russische Flieger sich nicht an die Richtlinien halten.
So auch am Tag der Abreise. Der Schnee hat aufgehört, aber die Temperaturen sind immer noch einstellig. Oberstleutnant Swen Jacob steigt aus dem Cockpit des Eurofighters, soeben kommt er von einem Übungsflug zurück, der zugleich auch ein Ernstfall war. Denn noch am Himmel meldete das Kontrollzentrum, dass sich ein unbekanntes Flugzeug im internationalen Luftraum bewegt. Für genau diesen Fall sind die Eurofighter in Lielvarde stationiert. Als eine Art Luftpolizei nähern sie sich dem Flugzeug, identifizieren es und vor allem: sie zeigen, hier ist jemand, der aufpasst.
„Es ist ein gegenseitiges Abtasten und eine Form von Test, vielleicht auch ein Stück Provokation und auch das Darstellen des
Selbstvertrauens“, sagt Jacob. Der Eurofighter-Pilot ist zugleich Kontingentführer des Verbandes in Lettland. Seine Aufgabe ist es, dass die Nato-Mission erfüllt wird, die Flieger fliegen können. Air Policing, so der Oberstleutnant, sei auch im Interesse Deutschlands. „Wenn wir zeigen können, wir sind da und wären bereit für den Fall. Dann sollte das schon Abschreckung genug sein.“Und der 54-Jährige fügt an: „Wir als Soldaten sehen uns ja nicht als Kriegstreiber, sondern als Kriegsverhinderer. Das ist unser Selbstverständnis.“
Bisher gab es insgesamt elf der sogenannten Alarmstarts. In einem solchen Fall muss alles ganz schnell gehen: Innerhalb von 15 Minuten müssen die Piloten im Jet sitzen und aufsteigen. So wie im heimischen Neuburg auch, wenn ein unbekanntes Flugzeug im deutschen Luftraum unterwegs ist. Nur, dass in Lettland die Eurofighter bewaffnet sind.
Damit die Flieger in die Luft kommen und nach der Rückkehr direkt wieder startklar gemacht werden, braucht es im Hintergrund ähnliche Ausstattung und technisch ausgebildete Soldaten wie am Fliegerhorst in Neuburg. Und wo Techniker, Mechaniker und mehr arbeiten, braucht es wiederum Personal, um diese zu versorgen. So sind in Lielvarde über 100 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Bis Ende November wird das Kontingent noch dreimal wechseln.
Wie gefährlich ist die Mission? Bis zur Grenze nach Weißrussland und Russland sind es nur wenige Hundert Kilometer. Vor dem Tor des militärischen Flugplatzes ist ein Verkehrsschild, das nach Moskau zeigt. „Allein durch die Nähe beschäftigt uns das natürlich“, sagt Swen Jacob. Das sei auch Thema in den Gesprächen mit den Kameraden.
Doch die Begegnungen mit den russischen Piloten seien ohne Aggressivität verlaufen. Die Bedrohung sei ja nicht, dass der Russe mit dem Panzer vor der Tür steht. „Die größte Gefahr sehen wir eher in Spionage“, so Jacob. Das passiere tagtäglich. Unbekannte sitzen in Autos vor dem Flugplatz und beobachten oder fotografieren, wer rein und raus geht. „Wir wissen, dass wir elektronisch abgehört werden“, so Jacob. Deshalb setze man nicht nur auf den Schutz durch lettische Soldaten, sondern habe eigene Leute für den Objektschutz dabei, die technisch und professionell die sensiblen Bereiche schützen.
Sicherheitsrelevante Inhalte und Kommunikation laufe nur über abgeschirmte Räume und Leitungen der mobilen Gefechtsstation. „Wichtig war aber auch, dass unsere Soldaten wissen, was sie in sozialen Netzwerken, beim Telefonat mit der Familie oder bei der Nutzung des Smartphones beachten müssen.“Die Identität eines Soldaten könnte langfristig genutzt werden, um an sensible Informationen zu kommen.
Nur wenige Hundert Kilometer bis zur russischen Grenze