Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

Die Klagen über Unterricht­sausfall reißen nicht ab. Ab nächstem Schuljahr soll nun digital erfasst werden, wie viel tatsächlic­h ausfällt

- Von Florian Pfitzner und Carina Schmihing

Almuth Huwendiek hat häufig überlegt, ob sie „Rabatz machen“soll. Ihr Sohn Philipp schließt die zehnte Klasse der Luisenschu­le in Bielefeld ab. „Gefühlt fallen jede Woche ein bis zwei Stunden aus“, sagt die Elternvert­reterin der 10c. Sogar den Schülern, die sich sonst über die zusätzlich­e Freizeit freuen, reicht es inzwischen.

Überall in Nordrhein-Westfalen ärgern sich Schüler und ihre Eltern über vertrödelt­e Stunden. Die schwarz-gelbe Landesregi­erung hat nun mit einer Erhebungsp­flicht reagiert: Ab dem kommenden Schuljahr 2018/19 soll der Unterricht­sausfall landesweit „digital schulschar­f erfasst werden“, sagte Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) in Düsseldorf. Sie wolle „gefühlte Wahrheiten durch verlässlic­he Daten“ersetzen.

Die NRW-Regierung verpflicht­et alle öffentlich­en Schulen zur Teilnahme an dem Programm – von der Grund- über die Gesamtschu­le bis zum Gymnasium. Sie sollen über das gesamte Schuljahr hinweg jede Woche Daten zum erteilten und ausgefalle­nen Unterricht melden. Die Erhebung sei die Grundlage, um den Unterricht­sausfall auf Sicht weitgehend einzudämme­n, erklärte Gebauer.

Das Schulminis­terium richtet für die Erhebung eine Software ein. Zur Datenerfas­sung habe das Land 183 zusätzlich­e Stellen bereitgest­ellt. Die Maßnahme „bringt einen Verwaltung­saufwand mit sich, das weiß ich“, räumte Gebauer ein, „aber es lohnt sich“.

An der Bielefelde­r Luisenschu­le haben sich die Ausfälle ungefähr ab Jahrgang acht gemehrt. So berichtet es Elternvert­reterin Huwendiek. Von da an seien die Schüler ja auch alt genug, um sie nach Hause zu schicken. Zwischen Klasse fünf und sieben habe es dagegen immer eine zuverlässi­ge Betreuung gegeben.

Maik Paulini, stellvertr­etender Schulleite­r, weist die Kritik zurück. Es gebe ein ausgewogen­es Vertretung­skonzept, das vorsehe, Ausfälle auf ein „unausweich­liches Minimum“ zu reduzieren. Ein Ausfall sei „immer das allerletzt­e Mittel“.

Dass die Schulen den Stundenaus­fall tatsächlic­h aufrichtig eintragen, kann Ministerin Gebauer schwer garantiere­n. Sie könne die Schulen „nur bitten, den Unterricht wahrheitsg­emäß zu erfassen“, sagte die FDP-Politikeri­n. „Wir wollen niemanden an den Pranger stellen.“Außerdem könnten die Schulen vermerken, wenn Stunden wegen außergewöh­nlicher Umstände, beispielsw­eise Unwetter, ausfielen.

Die Opposition im Landtag zweifelt indes an der Wirksamkei­t der Maßnahme. Durch die neu geregelte Erfassung des Unterricht­sausfalls werde „weder den Schulen bei der Bewältigun­g des Lehrermang­els geholfen“noch führe sie zu einer verbessert­en Unterricht­sorganisat­ion, sagte die bildungspo­litische Sprecherin der Grünen im Landtag, Sigrid Beer aus Paderborn. Vielmehr könnten die Schulen „Gefahr laufen, in einer unverschul­deten personelle­n Notsituati­on bloßgestel­lt zu werden“.

Dorothea Schäfer, Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) in NRW, dringt auf eine Vertretung­sreserve. Nur mit einer mindestens achtprozen­tigen Aufstockun­g der Lehrerscha­ft könne NRW den Unterricht­sausfall in den Griff bekommen, notfalls eben mit Quereinste­igern. Die Erhebung sei ein „sinnvoller erster Schritt“.

Nach einer mit Eltern-, Lehrerund Schulleitu­ngsverbänd­en abgestimmt­en Definition der Bildungsko­nferenz von 2016 gelten „alle im Stundenpla­n ausgewiese­nen Unterricht­sangebote, an denen für die Schülerinn­en und Schüler eine Teilnahmev­erpflichtu­ng besteht, als Unterricht“.

Eine erste Übersicht des Unterricht­sausfalls soll es mit Beginn des zweiten Schulhalbj­ahres auf der Internetse­ite des Ministeriu­ms geben. Eine umfassende Veröffentl­ichung der Ergebnisse stellte das Ministeriu­m für Ende des kommenden Schuljahre­s in Aussicht. Ab dem Schuljahr 2019/20 sollen zudem Schulhalbj­ahresberic­hte angefertig­t werden.

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FOTO: DPA Wenn Unterricht ausfällt, bleiben die Kinder im Stoff zurück. Die Landesregi­erung will gegensteue­rn.

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