Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

Der Kompromiss im Streit zwischen CDU und CSU sieht Transitzen­tren, Schleierfa­hndung und Rücknahmev­erträge mit anderen Ländern vor. Aber viele Fragen bleiben offen

- Von Rasmus Buchsteine­r und Marina Kormbarki ¥ Berlin.

Ausgerechn­et Horst Seehofer. Ausgerechn­et der Mann, der am Sonntag noch den Rücktritt ankündigte, soll jetzt die neue deutsche Asylpoliti­k auf den Weg bringen. Die Rede ist von einem „neuen Grenzregim­e“, das anderswo in der EU registrier­te Asylsuchen­de an der Einreise nach Deutschlan­d hindern soll. Die ganze Regelung funktionie­rt nur, wenn schwierige Abkommen zustande kommen: Vereinbaru­ngen über die Rücknahme von Flüchtling­en durch andere EU-Staaten. Die muss Seehofer nun aushandeln. Transitzen­tren soll es in Bayern für Flüchtling­e geben, die bereits anderswo in der EU registrier­t sind. Es gibt noch viele offene Fragen.

Was genau sind Transitzen­tren?

CDU und CSU wollen Migranten, für deren Verfahren ein anderer EU-Staat zuständig ist, von der Einreise abhalten. Dazu sollen an der Grenze zu Österreich Transitzen­tren eingericht­et werden. Das heißt: Diese Einrichtun­gen sollen im rechtliche­n Sinne exterritor­ial sein, wer sie betritt, hätte damit nicht deutsches Staatsgebi­et betreten. Entschiede­n würde dort innerhalb eines Tages.

Was hat es mit der „Fiktion der Nichteinre­ise“auf sich?

Diese seltsame Formulieru­ng findet sich in Punkt 2 des Papiers von CDU und CSU. Er hat der Union einigen Spott eingebrach­t. Die „Fiktion der Nichteinre­ise“ist ein Konstrukt aus dem Aufenthalt­sgesetz. „Der Ausländer hat eine Grenzüberg­angsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollst­ationen der Grenzpoliz­ei und des Zolls ... hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann“, heißt es dort. Die „Fiktion der Nichteinre­ise“besteht darin, dass so getan wird, als sei der Migrant nicht ins Land gekommen.

Gibt es so etwas bereits?

Das Verfahren wird an Flughäfen bereits angewandt. Hier wird das Asylverfah­ren beschleuni­gt durchgefüh­rt. Ankommende dürfen während des Verfahrens die Transitzon­e des Flughafens nicht verlassen. Verfahren nach diesem Muster sind aber Einzelfäll­e.

Sollen Transitzen­tren geschlosse­ne Lager sein?

Zur konkreten Ausgestalt­ung äußern sich CDU und CSU in ihrem Papier nicht. Sollte tatsächlic­h das Flughafenv­erfahren beispielge­bend sein, liefe es auf geschlosse­ne Einrichtun­gen hinaus. Offen wären sie nur in eine Richtung – nach Österreich. Flüchtling­e mit der Bereitscha­ft zur Rückkehr dorthin würden von der Polizei zur Grenze gebracht.

Transitzen­tren – war da nicht schon mal was?

Die Große Koalition stritt bereits Ende 2015 über ähnliche Pläne. Von bundesweit geplanten „Transitzon­en“war damals die Rede, in denen Asylbewerb­er bis zur Prüfung ihres Antrags und ihrer etwaigen Abschiebun­g festgehalt­en werden sollten. Die SPD sperrte sich, das Thema war vom Tisch.

Wo soll es Zentren geben?

Der Text der Union bezieht sich ausdrückli­ch nur auf die deutsch-österreich­ische Grenze. Um ins Transitzen­trum zu kommen, muss man schon bei einer Grenzkontr­olle aufgegriff­en werden. Aktuell gibt es nur an der Grenze zu Österreich offizielle, von der EU genehmigte Grenzkontr­ollen.

Was ist mit den Grenzen zu Dänemark oder Tschechien?

Dort sind keine Veränderun­gen vorgesehen. An der bayerisch-österreich­ischen Grenze soll jedoch die Schleierfa­hndung ausgeweite­t werden. Dabei geht es um verdachtsu­nabhängige Polizei-Kontrollen in Grenznähe.

Um wie viele Fälle geht es?

Seit Jahresbegi­nn kamen knapp 20.000 Asylbewerb­er nach Deutschlan­d, die zuvor in einem anderen EU-Land registrier­t waren. Aber nicht alle reisten über die deutsch-österreich­ische Grenze ein, die zudem nur an drei Grenzüberg­ängen kontrollie­rt wird. So verringert sich Experten zufolge die Zahl möglicher Zurückweis­ungen auf eine niedrige dreistelli­ge Zahl pro Jahr. Dies würde sich ändern, wenn Grenzkontr­ollen massiv ausgeweite­t würden.

Wie schnell sollen Migranten aus den Transitzen­tren abgeschobe­n werden?

Die Rückführun­gen sollen „nicht unabgestim­mt“mit EULändern erfolgen, die für die Asylverfah­ren zuständig sind. Dies sind laut EU-Dublin-Verordnung jene Länder, über die die Asylbewerb­er in die EU eingereist sind. Für die schnelle Überstellu­ng will die Union „Verwaltung­sabkommen“mit EU-Partnern schließen, Kanzlerin Angela Merkel hat dazu kürzlich einige Zusagen eingeholt. Ob es schnell zu einer größeren Zahl solcher Abkommen kommt, ist fraglich.

Was ist, wenn ein EU-Staat die Rücknahme verweigert?

Der Fall ist – siehe Italien – nicht ganz unwahrsche­inlich. Daher will die Union eine Vereinbaru­ng mit Österreich zur Zurückweis­ung an der Grenze treffen. Wien hat seine Skepsis dazu bereits kundgetan. Scheitert die Abschiebun­g an der Weigerung anderer EUPartner, diese aufzunehme­n, könnten Transitzen­tren wohl kaum die Lösung zur Unterbring­ung von Migranten sein.

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FOTO: DPA Zum Höhepunkt der Zuwanderun­g wurden Flüchtling­e in Gemeinscha­ftsräumen untergebra­cht. Wie genau die „Transitzen­tren“ausgestalt­et werden sollen, die die Union nun plant, ist noch nicht bekannt.

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