Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Der Kompromiss im Streit zwischen CDU und CSU sieht Transitzentren, Schleierfahndung und Rücknahmeverträge mit anderen Ländern vor. Aber viele Fragen bleiben offen
Ausgerechnet Horst Seehofer. Ausgerechnet der Mann, der am Sonntag noch den Rücktritt ankündigte, soll jetzt die neue deutsche Asylpolitik auf den Weg bringen. Die Rede ist von einem „neuen Grenzregime“, das anderswo in der EU registrierte Asylsuchende an der Einreise nach Deutschland hindern soll. Die ganze Regelung funktioniert nur, wenn schwierige Abkommen zustande kommen: Vereinbarungen über die Rücknahme von Flüchtlingen durch andere EU-Staaten. Die muss Seehofer nun aushandeln. Transitzentren soll es in Bayern für Flüchtlinge geben, die bereits anderswo in der EU registriert sind. Es gibt noch viele offene Fragen.
Was genau sind Transitzentren?
CDU und CSU wollen Migranten, für deren Verfahren ein anderer EU-Staat zuständig ist, von der Einreise abhalten. Dazu sollen an der Grenze zu Österreich Transitzentren eingerichtet werden. Das heißt: Diese Einrichtungen sollen im rechtlichen Sinne exterritorial sein, wer sie betritt, hätte damit nicht deutsches Staatsgebiet betreten. Entschieden würde dort innerhalb eines Tages.
Was hat es mit der „Fiktion der Nichteinreise“auf sich?
Diese seltsame Formulierung findet sich in Punkt 2 des Papiers von CDU und CSU. Er hat der Union einigen Spott eingebracht. Die „Fiktion der Nichteinreise“ist ein Konstrukt aus dem Aufenthaltsgesetz. „Der Ausländer hat eine Grenzübergangsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollstationen der Grenzpolizei und des Zolls ... hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann“, heißt es dort. Die „Fiktion der Nichteinreise“besteht darin, dass so getan wird, als sei der Migrant nicht ins Land gekommen.
Gibt es so etwas bereits?
Das Verfahren wird an Flughäfen bereits angewandt. Hier wird das Asylverfahren beschleunigt durchgeführt. Ankommende dürfen während des Verfahrens die Transitzone des Flughafens nicht verlassen. Verfahren nach diesem Muster sind aber Einzelfälle.
Sollen Transitzentren geschlossene Lager sein?
Zur konkreten Ausgestaltung äußern sich CDU und CSU in ihrem Papier nicht. Sollte tatsächlich das Flughafenverfahren beispielgebend sein, liefe es auf geschlossene Einrichtungen hinaus. Offen wären sie nur in eine Richtung – nach Österreich. Flüchtlinge mit der Bereitschaft zur Rückkehr dorthin würden von der Polizei zur Grenze gebracht.
Transitzentren – war da nicht schon mal was?
Die Große Koalition stritt bereits Ende 2015 über ähnliche Pläne. Von bundesweit geplanten „Transitzonen“war damals die Rede, in denen Asylbewerber bis zur Prüfung ihres Antrags und ihrer etwaigen Abschiebung festgehalten werden sollten. Die SPD sperrte sich, das Thema war vom Tisch.
Wo soll es Zentren geben?
Der Text der Union bezieht sich ausdrücklich nur auf die deutsch-österreichische Grenze. Um ins Transitzentrum zu kommen, muss man schon bei einer Grenzkontrolle aufgegriffen werden. Aktuell gibt es nur an der Grenze zu Österreich offizielle, von der EU genehmigte Grenzkontrollen.
Was ist mit den Grenzen zu Dänemark oder Tschechien?
Dort sind keine Veränderungen vorgesehen. An der bayerisch-österreichischen Grenze soll jedoch die Schleierfahndung ausgeweitet werden. Dabei geht es um verdachtsunabhängige Polizei-Kontrollen in Grenznähe.
Um wie viele Fälle geht es?
Seit Jahresbeginn kamen knapp 20.000 Asylbewerber nach Deutschland, die zuvor in einem anderen EU-Land registriert waren. Aber nicht alle reisten über die deutsch-österreichische Grenze ein, die zudem nur an drei Grenzübergängen kontrolliert wird. So verringert sich Experten zufolge die Zahl möglicher Zurückweisungen auf eine niedrige dreistellige Zahl pro Jahr. Dies würde sich ändern, wenn Grenzkontrollen massiv ausgeweitet würden.
Wie schnell sollen Migranten aus den Transitzentren abgeschoben werden?
Die Rückführungen sollen „nicht unabgestimmt“mit EULändern erfolgen, die für die Asylverfahren zuständig sind. Dies sind laut EU-Dublin-Verordnung jene Länder, über die die Asylbewerber in die EU eingereist sind. Für die schnelle Überstellung will die Union „Verwaltungsabkommen“mit EU-Partnern schließen, Kanzlerin Angela Merkel hat dazu kürzlich einige Zusagen eingeholt. Ob es schnell zu einer größeren Zahl solcher Abkommen kommt, ist fraglich.
Was ist, wenn ein EU-Staat die Rücknahme verweigert?
Der Fall ist – siehe Italien – nicht ganz unwahrscheinlich. Daher will die Union eine Vereinbarung mit Österreich zur Zurückweisung an der Grenze treffen. Wien hat seine Skepsis dazu bereits kundgetan. Scheitert die Abschiebung an der Weigerung anderer EUPartner, diese aufzunehmen, könnten Transitzentren wohl kaum die Lösung zur Unterbringung von Migranten sein.