Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Krankenpflegerin Esther Hasenbeck kann nicht mehr. Wenn sie aus ihrem Arbeitsalltag erzählt, kommen ihr fast die Tränen: „Der Patient bleibt auf der Strecke – und ich auch“
Es gibt Tage, an denen hat Esther Hasenbeck während ihrer Schicht keine Zeit, ein Glas Wasser zu trinken oder von ihrem Brötchen abzubeißen. Acht bis neun Stunden arbeitet die Krankenpflegerin aus Essen dann am Stück. Es habe auch schon Schichten gegeben, da sei nicht mal ein Gang zur Toilette möglich gewesen, sagt die 32-Jährige. Hasenbeck ist am Ende ihrer Kräfte; „am Limit“, wie sie es selbst beschreibt.
Seit zehn Jahren ist sie ausgebildete Krankenpflegerin, mittlerweile arbeitet sie im Uniklinikum Essen. Begonnen habe sie dort damals mit der Intention, Menschen zu helfen. Doch mittlerweile müsse sie sich immer öfter eingestehen, dass sie mit ihrem Job nicht nur ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzt, sondern auch die der Patienten.
Zu viert kümmern sich die Pfleger auf Hasenbecks Station pro Schicht um 36 Patienten. „Die Betten sind fast immer alle belegt. Hinzu kommen täglich noch bis zu zwölf Neuaufnahmen“, sagt Hasenbeck. Ein Pfleger ist dann in der Regel für neun Patienten zuständig. Das sind zu viele, laut Hasenbeck. Wenn ein Kollege ausfalle, werde es noch schlimmer. Auch nachts seien teilweise nur zwei Pflegekräfte im Dienst. Dem Patienten könne fast nie die Aufmerksamkeit geschenkt werden, auf die er angewiesen sei. Er bleibe schlichtweg auf der Strecke.
„Die Ärzte nehmen sich auch nur wenig Zeit. Sie teilen dem Patienten die Diagnose mit und sind dann auch schon wieder weg. Eigentlich sind wir dann die Ansprechpartner, die ein offenes Ohr haben sollten“, sagt Hasenbeck. Dafür bleibe aber keine Zeit. Das Pflegepersonal würde dementsprechend jeden Tag auf Risiko spielen, sodass zwangsläufig Fehler passieren würden – „auf menschliche Kosten.“Mit einer würdevollen Versorgung habe das nichts mehr zu tun.
Überstunden sind auf Hasenbecks Station an der Tagesordnung. Dass die 32-Jährige ein Jahr ohne ein Plus abschließt, daran kann sie sich kaum noch erinnern. Vor sieben, acht Jahren sei das wohl das letzte Mal vorgekommen. Hasenbeck kann verstehen, dass kaum jemand heutzutage in die Pflege gehen will. Sie selbst hat mehrfach überlegt, etwas anderes zu machen.
Fast jeden Tag stehe sie mit einem mulmigen Gefühl auf. „Ich komme so gut wie nie abends nach Hause und sage, dass heute ein guter Tag war.“Ab und zu, wenn der Tag wieder „zu schlimm“war, laufen Hasenbeck Tränen die Wange hinunter, wenn sie auf dem Heimweg ist. Es fällt ihr schwer, positiv zu denken und den Patienten gegenüber trotzdem gut gelaunt zu sein. Die 32-Jährige weiß, dass der Pflegeberuf Menschen kaputtmachen kann. Ihr Vater war Pfleger, ihre Mutter ebenfalls. Diese ist schon in Frührente. „Ihr Rücken hat nicht mehr mitgemacht“. Vielleicht sei es so besser. Auch Kollegen mit Burn Out kennt Hasenbeck. Langsam schleiche auch in ihr die Angst hoch, irgendwann selbst nicht mehr zu können – einfach aufhören zu wollen. Schon heute ist sie sich sicher, dass sie selbst nicht mehr lange durchhalten wird.
Seit vier Jahren studiert sie nebenbei, um sich weiterzubilden und sich so mehr Chancen zu erarbeiten. Sie studiert Pflegewissenschaften, denn ganz aus der Materie will sie sich nicht ziehen. Dafür liegt es ihr zu sehr am Herzen, Menschen zu helfen. Aber eins steht für sie fest: Sie will „weg von der Station“. Schluss machen mit dem ewigen Stress, mit den Überstunden, mit dem Risiko. „Ich nehme mich hier jeden Tag zurück, aber irgendwann muss ich auch mal an mich denken.“Wann immer sie es neben dem Job schafft, lernt und liest sie – damit sie möglichst schnell das Studium in der Tasche hat.
Esther Hasenbeck hat die Hoffnung verloren, dass sich für Krankenpfleger zeitnah etwas ändert. Politiker wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn oder NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann würden bloß Versprechungen machen – „am Ende kommt doch eh nichts dabei rum.“. Eine Pflegekraft dürfe für nicht mehr als sechs Patienten zuständig sein – so wie in Skandinavien. „Die sind uns meilenweit voraus“, sagt Hasenbeck. Auf eine solche Umsetzung müsste sie in Deutschland wohl „noch ewig warten“.