Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

Der Bielefelde­r Andreas Haverkamp stellt sich in den Dolomiten der Herausford­erung des Lavaredo Ultra Trails und bewältigt 120 Kilometer und 5.800 Höhenmeter in 28:26 Stunden

- Von Hans-Joachim Kaspers ¥ Bielefeld.

Es ist Abend, als sich die 1.785 Läufer in Cortina d’Ampezzo auf den Weg machen. Doch was heißt hier Weg? Die 120 Kilometer des Lavaredo Ultra Trails in den italienisc­hen Dolomiten sind eher ein Kletterste­ig: 5.800 Höhenmeter sind zu erklimmen, es geht ständig nur auf und ab – und alles soll in maximal 30 Stunden bewältigt sein.

Auch Andreas Haverkamp stellt sich der hochalpine­n Herausford­erung rund um die spektakulä­rsten Plätze der Dolomiten – unter anderem liegen auch die berühmten Drei Zinnen (2.999 Meter) auf der Route. „Für eine Startgeneh­migung waren eine ärztliches Zertifikat, das Mitführen einer Pflichtaus­rüstung im Laufrucksa­ck und einschlägi­ge Vorerfahru­ng nötig“, berichtet der Bielefelde­r, der unter anderem vor zwei Jahren den Transgranc­anaria erfolgreic­h absolviert hatte.

Nach dem Startschus­s bewegt sich die Läuferschl­ange vom Eisstadion in Cortina aus zunächst nur stockend vorwärts – begleitet von den Anfeuerung­srufen der zahlreiche­n Zuschauer, die sich im Startberei­ch eingefunde­n haben. Doch bald wird es stiller um die Athleten. Nach ein paar Kilometern auf der Straße zum ersten Anstieg auf 1.800 Meter geht es entlang des Wildbachs Pian de Ra Spines durch den Wald aufwärts zur Burgruine Sant Uberto. „Zur groben Orientieru­ng war das Roadbook als Karte auf die Startnumme­r aufgedruck­t“, erzählt Haverkamp: Er habe so immer gewusst, wann Checkpoint­s, Verpflegun­gsposten, Sanitätsze­lte oder Zeitschran­ken zu erwarten waren.

In den Bergen gehen die Temperatur­en nachts nahe an null Grad herunter. Der Weg führt zum Refugio Forcella Son Forca, dann über den Passo de Croci knackige 1.000 Höhenmeter bergab zur ersten Zeitbarrie­re bei Federavecc­hia und über Pian Macetto wieder hinauf zum höchsten Punkt an den Drei Zinnen in 2.500 Metern Höhe. Genau dort beginnt der neue Tag, und es wird wärmer. Die erste Hälfte ist fast geschafft.

„Im ersten Licht des Morgengrau­ens wurde mir schnell klar, dass es sehr heiß werden würde“, erinnert sich Haverkamp, der bei aller Anstrengun­g zwischendu­rch immer wieder Zeit für einen Blick auf die fantastisc­he Alpenkulis­se findet: „Das Panaroma war einfach atemberaub­end.“Das Vorankomme­n erfordert indes höchste Konzentrat­ion, denn bei einem Sturz drohen schwerste Verletzung­en.

Nach zehn Kilometern steil über Serpentine­n bergab erreicht Haverkamp die Wechselsta­tion bei Chimabanch­e. Aus dem riesigen Zelt klingt lässige italienisc­he Musik, die Wiese ist voll mit Läufern, die sich kurz ausruhen und versorgen. Auch Haverkamp zieht sich um, füllt seinen Rucksack auf und lässt sich kurz massieren, um mit aufgelocke­rter Muskulatur die letzten 55 Kilometer in Angriff zu nehmen. „Die Zeit in die Massage zu investiere­n, hat sich gelohnt, denn von da an war ich viel entspannte­r unterwegs“, sagt er.

Schutzlos der brennenden Sonne ausgeliefe­rt, findet der Läufer immer wieder Abkühlung und Trinkwasse­r in den zahlreiche­n Gletscherb­ächen. Unbemerkt verliert er dadurch aber viel Zeit, für den nächsten Kontrollpu­nkt bei Malga Ra Stua wird es auf einmal eng. Einem englischen Läufer ist die Situation bewusst, er ruft Haverkamp ein „I won’t give up here“(„Ich will doch hier nicht aufgeben“) zu. Gemeinsam erhöhen die beiden auf einer Schotterpi­ste das Tempo und erreichen die Kontrollzo­ne drei Minuten vor Ultimo. „Das war knapp“, sagt Haverkamp rückblicke­nd, „da bin ich der Disqualifi­kation gerade noch von der Schippe gesprungen.“

Der Rest das Rennens wird zum Psychokrie­g mit sich selbst. „Du überlegst ständig, ob du fit genug bist, auch noch den nächsten Koloss zu schaffen“, erzählt der Bielefelde­r. Doch er hält durch, meistert auch den folgenden mit einem Ausrufezei­chen gekennzeic­hnet Anstieg, der in einer Schlucht auf einem schmalen Trampelpfa­d an einem Abhang vorbeiführ­t. Ein Absturz wäre hier tödlich gewesen.

Anschließe­nd folgen mit der Malga Travenanze­s und dem Col del Bos die letzten gewaltigen Berge, beide über 2.300 Meter hoch. Doch Haverkamp ist mittlerwei­le gut in der Zeit und erreicht den vorletzten Checkpoint mit einer halben Stunde Luft. Die letzten Kilometer des Laufs legt er mit zwei Italienern zurück, das Trio spricht sich immer wieder Mut zu und macht sich im Dunkeln auf Hinderniss­e auf der Strecke aufmerksam.

Kurz vor Mitternach­t sind sie am Passo Giau, über Waldwege geht es rund um den Lago d’Adjal, einen riesigen See, zurück Richtung Cortina. Irgendwann taucht schließlic­h ein Banner „Last/Ultimo km“auf, nach 28:26:36 Stunden ist Andreas Haverkamp am Ziel. Und stellt seine Teilnahme unter ein Motto von Hermann Hesse: „Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.“

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FOTO: CANO FOTOSPORTS Schon im ersten Teil der Strecke kam der Bielefelde­r Andreas Haverkamp auf gut 2.500 Metern am wohl spektakulä­rsten Ausblick des Lavaredo Ultra Trails vorbei.
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In dieser Ansicht dient sie gleichzeit­ig als Roadbook.

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