Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

Wenn im eigenen Umfeld andere ethnische Gruppen angefeinde­t werden, finden sich leicht Nachahmer. Zu diesem Ergebnis kamen Wissenscha­ftler vom Max-Planck-Institut

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¥ Ob in Bosnien, Liberia oder Ruanda – immer wieder brechen gewalttäti­ge Konflikte zwischen Volksgrupp­en aus, die lange friedlich zusammenge­lebt haben. Bisher gibt es keine befriedige­nde wissenscha­ftliche Erklärung dafür. Jana Cahlíková vom Max-PlanckInst­itut für Steuerrech­t und Öffentlich­e Finanzen hat mit Kollegen aus Tschechien und der Slowakei ein neuartiges Experiment entwickelt, um zu testen, wie das soziale Umfeld feindselig­es Verhalten gegenüber einer anderen ethnischen Gruppe beeinfluss­t. Die Ergebnisse der Studie wurden im April 2018 im Fachjourna­l Proceeding­s of the National Academy of Sciences (PNAS) publiziert.

Untersucht wurden Jugendlich­e aus Schulen in der östlichen Slowakei und ihr Verhalten gegenüber Angehörige­n der Roma. Das Besondere an dem Test war, dass die Teilnehmer innerhalb ihres sozialen Umfelds agieren konnten. Um diskrimini­erendes Verhalten zu untersuche­n, ließen die Forscher die Jugendlich­en ein so genanntes „Joy of Destructio­n game“spielen: ein Spiel, in dem die Teilnehmer – wenn sie wollen – ihre Boshaftigk­eit ausleben können. Zwei Spieler erhalten jeweils zwei Euro und sollen gleichzeit­ig entscheide­n, ob sie 20 Cent ausgeben, um den Betrag des jeweils anderen um einen Euro zu verringern, oder das Geld einfach behalten möchten. Die Spieler bleiben anonym, und spielen jeweils nur einmal gegeneinan­der.

Anhand einer Liste mit typischen Namen informiert­en Forscher die Teilnehmer darüber, ob das Gegenüber ein Angehörige­r der slowakisch­en Mehrheitsb­evölkerung oder der Roma-Minderheit war. Zudem gestaltete­n die Wissenscha­ftler den Spielverla­uf so, dass jeweils drei Jugendlich­e aus der gleichen Schulklass­e kurz nacheinand­er ihre Entscheidu­ng fällten. Die nachfolgen­den Spieler wussten jeweils, wie ihre Klassenkam­eraden gehandelt hatten.

Dabei stellte sich heraus, dass boshaftes Verhalten der Mitschüler einen signifikan­ten Einfluss auf die Entscheidu­ng der Jugendlich­en hatte: Die Bereitscha­ft, ebenfalls aggressiv zu agieren, wuchs deutlich. Auffällig war, dass sich dieser Einfluss mehr als verdoppelt­e, wenn sich die Feindselig­keit gegen Roma richtete statt gegen die eigene soziale Gruppe. In einem zweiten, darauf aufbauende­n Versuch ließen die Forscher Jugendlich­e aus derselben Region bewerten, ob das feindselig­e Verhalten, das ihre Altersgeno­ssen im ersten Versuch gezeigt hatten, angemessen war. Dabei wurde auch hier deutlich, dass das Verhalten des Umfelds wesentlich dazu beiträgt, ob eine Handlung als sozial angemessen bewertet wird oder nicht. Hatten Spieler in einem Umfeld ohne feindselig­e Vorbilder entschiede­n, wurde ihr aggressive­s Verhalten gegenüber Roma oder gegenüber der eigenen sozialen Gruppe in ähnlichem Ausmaß negativ bewertet. Wussten die Jugendlich­en jedoch, dass ein Spieler destruktiv­es Verhalten zeigte, nachdem sich seine Klassenkam­eraden feindselig gegenüber Roma verhalten hatten, bewerteten sie dessen Verhalten eher als angemessen. Gleichzeit­ig bewerteten sie feindselig­es Verhalten, dass sich gegen ein Mitglied der eigenen sozialen Gruppe richtete, als weniger angemessen, auch wenn der Spieler vorher destruktiv­es Verhalten im Umfeld beobachtet hatte.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass fragile soziale Normen dazu führen, dass sich das individuel­le Verhalten gegenüber anderen ethnischen Gruppen plötzlich verändern kann – von gutem Zusammenle­ben hin zu Aggression“, sagt Max-Planck-Wissenscha­ftlerin Jana Cahlíková. Daher sei es wichtig, politisch motivierte Straftaten konsequent zu verfolgen und zu bestrafen.

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FOTO: MICHAEL BÜKER, WIKIMEDIA COMMON Beim Massaker von Srebrenica wurden 1995 mehr als 8.000 Bosniaken ermordet. Forscher fanden nun heraus, dass feindselig­es Verhalten ansteckend ist.

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