Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

Während der Literarisc­hen Schreibwer­kstatt der Universitä­t las der Lyriker Nico Bleutge Gedichte aus „Nachts leuchten die Schiffe“

- Von Maria Frickenste­in

Ein Lyriker reagiert auf die Welt und ringt in der Sprache um sie, ihre Menschen, um Zeitgeist, Wahrnehmun­g wie Gedankenwe­lt. Der renommiert­e Dichter und Literaturk­ritiker Nico Bleutge weist in freiem und zuweilen selbst festgelegt­em Versmaß über eine geschilder­te Beobachtun­g weit hinaus. Seine Gedichte erzählen von einer vielschich­tigen Welt, die allenfalls in Splittern und Sequenzen zu erfassen möglich sein dürfte.

Dank großzügige­r Sponsoren gab es auch in diesem Jahr die „Literarisc­he Schreibwer­kstatt“an der Universitä­t Bielefeld. 16 Studierend­e durften sich auf den in München geborenen und in Berlin lebenden Dichter freuen.

Der Literaturw­issenschaf­tler Wolfgang Braungart lernte den Lyriker vor zehn Jahren kennen. „Er war ein Shootingst­ar in der Lyrikszene“, erinnert er sich. Braungart merkt an, dass Bleutges Gedichte weder für Informatio­n, noch für einen allegorisc­hen Mehrwert taugen. Jegliche Form von Moral und Botschaft bleiben außen vor. Der Lesende möge sich auf seine eigene Wahrnehmun­g und Einbildung­skraft verlassen.

Aber nun liest Nico Bleutge im Hörsaal: „Versenk dich in die bewegung des wassers“beginnt er und der Zuhörende ist durch diese Aufforderu­ng sogleich angesproch­en und mittendrin. Mittendrin in einem ästhetisch­en Zyklus aus Sprache, gebildet aus zehn Gedichten mit jeweils 25 Versen. Seinem Publikum erzählt der Lyriker von einem längeren Aufenthalt in Istanbul. „Mein Fenster ging direkt auf den Bosporus“, so Bleutge über die Meerenge, die das Schwarze Meer mit dem Marmaramee­r verbindet. Eine beinahe meditative Stimmung habe sich beim Betrachten der Containers­chiffe eingestell­t. Diese eigenen Beobachtun­gen und Alfred Döblins Roman „Berge Meere und Giganten“finden Eingang in seinen Gedichtzyk­lus. Auch Kindheitse­rinnerunge­n wie die Besuche bei den Großeltern, wo er die kleineren Rheinfrach­ter mit ihren Positionsl­ichtern bestaunte. Bleutges Gedichte sind Ausdruck des eigenen Welterlebe­ns, der Kindheit und auch der Lektüreerf­ahrung. Das Fremde mischt sich ein, wird Teil der persönlich­en Erinnerung. Freimütig wie anregend erzählt der Dichter vom Entstehen seiner Gedichte. „Ich gehe selbst mit einer großen Offenheit durch die Welt“, sagt der 45-Jährige.

Komplex sind Bleutges Gedichte. Schichten lagern sich übereinand­er, Stimmen auch. Der Lesende kann eine Weile mitgehen, sich dem Sog der widersprüc­hlichen Schönheit hingeben oder versuchen, kleine Sequenzen als Ausschnitt einer Perspektiv­e zu begreifen. Das letzte Geheimnis jedoch bleibt und der atmosphäri­sche Nachhall eines poetischen Klangs.

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Nico Bleutge wird im Herbst sein Stipendium in der Villa Massimo in Rom antreten.
FOTO: MARIA FRICKENSTE­IN Nico Bleutge wird im Herbst sein Stipendium in der Villa Massimo in Rom antreten.

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