Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Unbegrenzter Urlaubsanspruch klingt wie der Traum jedes Angestellten. Doch tatsächlich ist das ein neuer Trend in der Arbeitswelt. Immer mehr Firmen werben damit, dass sie keine freien Tage mehr zählen. Kann das funktionieren?
Ganz egal, ob zwei, drei oder vier Wochen, Urlaub ist eigentlich immer viel zu schnell vorbei. 20 Urlaubstage stehen Arbeitnehmern in Deutschland bei einer Fünf-Tage-Woche zu. Je nach Alter, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag kann der Anspruch auf Erholungsurlaub auch höher liegen. Von unbegrenzten Urlaubstagen können die meisten Beschäftigten aber nur träumen. Bei Casper Sleep ist genau das Realität. Das Matratzen-Startup hat bei der Firmengründung den sogenannten Vertrauensurlaub eingeführt. Das bedeutet: Die Mitarbeiter müssen keine lästigen Urlaubsanträge mehr ausfüllen und ihren Vorgesetzten vorlegen. Ihr Urlaubsanspruch ist unbegrenzt. „Grundsätzlich gibt es keine Restriktionen und wir kontrollieren nicht, wie viel Urlaub unsere Mitarbeiter einreichen“, sagt Casper-Mitgründer Constantin Eis. Natürlich geschehe die Urlaubsplanung immer in Absprache mit dem Team, sagt er. Aber in der Regel seien das verlängerte Wochenende und der Jahresurlaub auch spontan kein Problem.
Der Grund, warum Casper dieses Modell eingeführt hat, sei ganz einfach, erklärt der Firmengründer. „Wir wollten unseren Mitarbeitern ein Arbeitsumfeld bieten, das weitaus attraktiver und moderner ist, als man es zum Beispiel in Konzernen vorfindet.“Eine freie Urlaubsgestaltung gehören für ihn genauso zu einer modernen Unternehmenskultur wie flache Hierarchien und viel Gestaltungsfreiraum. „Menschen möchten heutzutage vor allem ein selbstbestimmtes Leben führen und dazu gehört auch eine flexible Urlaubsplanung“, sagt Eis.
ERSTE SCHRITTE
Nach einer Untersuchung der Jobplattform Joblift gibt es immer mehr Firmen, die in ihren Stellenanzeigen mit unbegrenzten Urlaubstagen werben. 132 Firmen sollen es deutschlandweit inzwischen sein. „Wir haben einen Anstieg von 25 Prozent in den letzten zwei Jahren bemerkt“, sagt Joblift-Geschäftsführer Lukas Erlebach. Urlaub ohne Limit könne eine Option sein, den eigenen Mitarbeitern noch mehr Vertrauen entgegen zu bringen, sagt er. „Niemand registriert, wenn jemand wegen einer wichtigen Deadline den Laptop am Wochenende mit nach Hause nimmt – wieso dann die Urlaubstage pedantisch zählen?“, findet Erlebach.
Er sagt aber auch: „Gleichzeitig könnte unbegrenzter Urlaub dazu führen, dass Mitarbeiter unter Leistungsdruck unbemerkt sogar weniger Urlaub nehmen als vorher.“Dann sollte man als Arbeitgeber Mittel und Wege finden, damit sich trotzdem alle Teammitglieder von Zeit zu Zeit eine Auszeit gönnen, so Erlebach.
Wie bewertet Casper-Gründer Eis die Gefahr, dass Mitarbeiter – aus Pflichtbewusstsein oder auch aus sozialen Gründen – eher weniger Urlaub nehmen statt zu viel und am Ende erschöpfter sind als bei festen Urlaubstagen? „Diese Erfahrung haben wir bisher noch nicht gemacht und wir ermuntern unsere Mitarbeiter dazu, sich ihren wohlverdienten Urlaub auch zu nehmen“, sagt er.
Der Vertrauensurlaub genieße großen Rückhalt im Unternehmen. „Unsere Mitarbeiter schätzen nicht nur das Vertrauen, das wir ihnen damit entgegenbringen, sondern auch diese Form von Wertschätzung.“
VORAUSSETZUNGEN
Birgit Wintermann leitet bei der Bertelsmann-Stiftung das Projekt „Unternehmen in der Gesellschaft“. Das Modell des Vertrauensurlaubs bewertet sie positiv. „Aber unter der Voraussetzung, dass die Unternehmensführung das auch begleitet und die Mitarbeiter dabei nicht nur sich selbst überlässt“. Sie beobachte, dass sich die Arbeitsorganisation in Unternehmen gerade grundlegend verändert, sagt sie. Firmen lassen ihren Mitarbeitern mehr Raum und übertragen ihnen eine höhere Selbstverantwortung. Beschäftigte müssen sich stärker selbst organisieren. Man werde nicht mehr dafür bezahlt, acht Stunden am Arbeitsplatz präsent und verfügbar zu sein. „Entscheidend ist, dass die Ergebnisse stimmen.“
Wenn Mitarbeiter auch bei der Regelung des Urlaubs keine klaren Grenzen mehr haben, brauche es Führungskräfte, die vorleben, wie man mit diesem Modell umgeht, sagt Wintermann. Man müsse ständig über diese Dinge reden. „Ergebnisse kann man nur bringen, wenn man für sich selbst die Grenzen findet“, sagt die Expertin der BertelsmannStiftung.
ENTWICKLUNG
Die Ergebnisse der Joblift-Studie zeigen, dass Unternehmen zunehmend Wert auf großzügige Urlaubsregelungen zu legen scheinen. Während deutschen Arbeitnehmern im Schnitt 28 Tage Urlaub zugestanden werden, warben in den vergangenen 24 Monaten 374.915 Stellenanzeigen mit einem Urlaubsanspruch über diesem Durchschnitt, so die Analyse.
Das Konzept der unbegrenzten Urlaubstage kommt vor allem aus den USA, wo Unternehmen wie Netflix dafür bekannt sind, ihren Mitarbeitern auf Vertrauensbasis beliebig viele bezahlte Urlaubstage zu gewähren. Jetzt ist der Trend auch hierzulande angekommen. Dass die Idee des Vertrauensurlaubs irgendwann auch in großen Unternehmen und Konzernen Normalität wird, hält Birgit Wintermann für durchaus denkbar. Solche Strukturen müssten nämlich nicht immer an oberster Stelle organisiert werden. „Umgesetzt werden muss das in den einzelnen Teams.“
Noch sind es aber vor allem Startups, die das Modell auch nutzen, um als moderner und attraktiver Arbeitgeber an gutes Personal zu kommen. „Wir hatten dadurch von Anfang an Zugang zu Leuten, denen diese Freiheiten für ihr persönliches Leben wichtig sind und die dafür möglicherweise andere Dinge in Kauf nehmen – wie das berühmte Startup-Chaos, das am Anfang nun mal herrscht“, sagt Constantin Eis.
Casper ist das Unternehmen, das in Deutschland die meisten Stellen mit unbegrenzten Urlaubstagen anbietet. Und man wird daran auch weiter festhalten. „Wir werden das Modell definitiv beibehalten und können es anderen Unternehmen ohne Einschränkungen empfehlen. In jedem Fall ist es wichtig, dass man dieses Modell so früh wie möglich einführt und das Verantwortungsbewusstsein seiner Mitarbeiter nicht unterschätzt“, sagt Firmengründer Constantin Eis.