Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Wie geht’s richtig? Wo gibt’s Hilfe? Zum Beispiel bei der Jugendberufsagentur Bielefeld. Übergangskoordinatorin Irene Marx und Kerstin Hofmann von der Ausbildungsvermittlung U25 geben Tipps
Frau Hofmann, Frau Marx, warum kommt man zu Ihnen in die Jugendberufsagentur?
HOFMANN: Bei uns können Jugendliche lernen, wie man sich bewirbt. Es gibt extra dafür vorgesehene, moderne Räumlichkeiten mit Computern, in denen allein oder mit Hilfe Bewerbungen geschrieben werden können. Jeder kann einfach einen Termin machen und vorbeikommen. Jugendberufsberaterin Irene Marx steht den Schülern in allen Fragen zur Seite.
Warum haben viele Jugendliche Angst vor dem Prozess des Bewerbens?
MARX: In der achten Klasse beginnt der Berufsorientierungsprozess. Wenn die Schüler dann Jahre später zu uns in die Beratung kommen, erleben wir immer wieder, dass viele sich überhaupt gar nicht damit auskennen. Man muss sich mit sich selbst befassen: Welche Kompetenzen habe ich? Welche Sozialkompetenzen habe ich? Das erfordert Zeit und Geduld.
Wann muss man mit dem Bewerbungsprozess beginnen?
HOFMANN: Die Orientierung beginnt in der achten Klasse. In der neunten Klasse beginnt die Bewerbungsphase – ein Jahr vor dem Abschluss. Da sollte man anfangen, sich zu bewerben. Zwischen August und Oktober beginnt diese Phase.
Halten diesen Zeitraum alle ein?
MARX: Nein. Das unterschätzen sehr viele Schüler. Es kommt natürlich immer auf die Branche an – unter anderem im Einzelhandel wird es auch zum späteren Zeitpunkt sicher immer noch mal freie Ausbildungsplätze geben – aber wenn man sich für eine Ausbildung interessiert, die sehr gefragt ist, dann ist es ein halbes Jahr vor Schulabschluss einfach zu spät. Beim Kfz-Mechaniker ist das beispielsweise so. Schulabgänger haben keinen Plan B. Wenn es mit der einen bestimmten Ausbildung nicht klappt, weil die Bewerbungsfristen abgelaufen sind, weil sie die Fristen nicht beachtet haben, oder weil einfach jemand anderes die Stelle bekommt, dann haben sie nichts. Ist die „klassische“Bewerbung mit einer mehrgliedrigen Bewerbungsmappe überhaupt noch zeitgemäß, wo doch alle individuell sein wollen?
HOFMANN: Meiner Meinung nach ja. Denn man kann ja, wenn man sie klassisch vorbereitet hat, immer noch mehr daraus machen – etwa alles digital aufbereiten. Das wird oft gefordert. Wenn man Bewerberformulare auf Internetseiten ausfüllt, muss man digital immer noch etwas hinzufügen – Lebenslauf oder Motivationsschreiben etwa. Solche Sachen kann man sehr gut individuell gestalten.
Wie sticht man aus der Masse von Bewerbungen heraus?
HOFMANN: Man könnte zum Beispiel eine Mappe nehmen, die farblich zum Logo des Unternehmens passt, in dem man sich bewirbt. Es sollte immer ein hochwertiges Modell sein – also nicht der normale schwarze Klemmhefter, der auch in der Schule oder im Büro genutzt wird. Damit kann man punkten. Wenn im Unternehmen etwas farblich kreativ gestaltetes ankommt, ist die Chance sehr hoch, dass Personaler sich das bewusster anschauen als die handelsübliche, dreigliedrige Pappmappe, die manche Personaler nicht so gut finden. Lieber zehn bis zwanzig gute Bewerbungen versenden als fünfzig schlechte!
MARX: Der Bewerber sollte außerdem unbedingt auf die Anforderungen der Stellenbeschreibung eingehen. Gerade in Ostwestfalen-Lippe gibt es sehr viele traditionelle Unternehmen, die auf eine klassische Bewerbung Wert legen. Doch das ist nicht überall so – wenn also explizit eine Bewerbung als PDF-Dokument und per E-Mail gefordert ist, sollte man dem nachkommen. Und in dem Fall auf die Pappmappe verzichten.
HOFMANN: Genau das ist es nämlich, was den Ausschlag gibt: Was wünscht sich das Unternehmen? Wer die postalische Zustellung möchte, soll sie vom Bewerber auch bekommen. Wer lieber digitale Bewerbungen bevorzugt, erhält eben alles per E-Mail oder per Online-Bewerberformular auf der Firmenhomepage.
Finden Sie gut, dass sich Unternehmen die Art der Bewerbung frei aussuchen können?
MARX: Ja. Der Umwelt zuliebe sollte man überlegen, ob es immer Papier und Postzustellung sein müssen. Beim Thema Individualität sind manche Sachen digital besser darstellbar. Im kreativ-gestalterischen Bereich zum Beispiel kann man etwa besondere Fotos auswählen oder sich selbst bewusst anders in Szene setzen. Bei der Bewerbung für die Kauffrau im Büromanagement oder den Industriekaufmann aber sollte man eher auf so etwas verzichten.
Was gilt für das Bewerbungsfoto?
HOFMANN: Ganz egal, wofür man sich bewirbt – das Foto muss freundlich wirken. Definitiv verzichten sollte man auf biometrische Passfotos, Urlaubsbilder oder gar das Handyfoto vor der weißen Tapete im Wohnzimmer. Oder vor dem heimischen Apfelbaum im Garten.
MARX: Besser ist es, einmal etwas Geld zu investieren und ein schickes, seriöses Bild von einem Fachmann machen zu lassen. Das zahlt sich aus. Wenn Familienmitglieder ohne entsprechende Kompetenz einfach drauflos fotografieren, passt unter Umständen nicht nur der Hintergrund nicht, sondern auch die Pose oder die Kleidung sind nicht so, wie es für ein solches Foto angemessen ist. Sollte man eine Bewerbung persönlich vorbeibringen?
MARX: Es kommt auf die Größe des Betriebes an. Zu großen Konzernen würde ich nicht persönlich gehen und meine Bewerbung dort abgeben. Bei kleineren mittelständischen Unternehmen oder Handwerksbetrieben im eigenen Ort, von denen ich weiß, dass da nicht 100 Mitarbeiter sitzen, empfehle ich das aber nach wie vor. In Arztpraxen oder Frisörbetrieben auch – da kann es sehr gut ankommen.
Warum kommt das denn gut an?
MARX: Die Chefs sehen, dass man sich Mühe gemacht hat. Man hat die Adresse recherchiert, sich über Öffnungszeiten informiert, und sich getraut, persönlich vorbeizukommen. Und auch, wenn sie dann sagen, dass man seine Unterlagen noch einmal gesondert an eine eventuell vorhandene Personalabteilung senden soll, hat man sich trotzdem nicht blamiert, im Gegenteil. Man hat Eindruck hinterlassen.
Was sollte man vermeiden?
HOFMANN: Bewerbungen mit Rechtschreibfehlern verschicken. Also unbedingt jemanden gegenlesen lassen, der sich das auch zutraut.
MARX: Unbedingt den richtigen Ansprechpartner verwenden. Außerdem tendieren viele Menschen dazu, eine Bewerbung zu schreiben und diese dann an dreißig Betriebe zu schicken. Oft verbleiben alte Ansprechpartner in der Adresszeile oder die Anforderungen sind anderes. Wer zu uns kommt, kriegt eine fundierte Rückmeldung zu seiner Bewerbung. Dafür sind wir da! Eine Bewerbung muss authentisch sein. Das heißt auch, dass jemand, der erst drei Jahre in Deutschland wohnt, seine Bewerbung nicht mit Formulierungen aus dem Beamtendeutsch anfüttern muss, wenn er die Sätze und Worte nicht versteht.
Wie viele Bewerbungen sollte man verschicken?
MARX: Wenn jemand zu mir kommt und dann sagt, dass er sich drei Mal beworben hat, dann muss ich ihn in die Realität holen und sagen: Das ist zu wenig. Zwischen 20 und 40 Bewerbungen sollte man losschicken. Gute Bewerbungsunterlagen sind ein Türöffner. Das muss man nutzen.
Worauf kommt es bei Initiativbewerbungen an?
HOFMANN: Dass man sich vorher informiert, also etwa anruft oder selbst vorbeigeht, ob überhaupt Bedarf besteht. Und ob der Betrieb überhaupt ausbildet. Das ist bei der Ausbildungssuche eher selten, dass sich initiativ beworben wird. Um generell herauszufinden, ob ein Betrieb ausbildet oder nicht, kann man in den Ausbildungsatlas der Industrieund Handelskammer schauen.
Wie ist es mit den Social-Media-Accounts: Sollte man vor dem Bewerben Facebook, Instagram und Co. aufräumen oder auf privat stellen?
HOFMANN: Generell rate ich jedem mit einem Social-Media Profil, sehr genau zu prüfen, was an Inhalten für alle sichtbar sein soll. Zwar ist es bei der Ausbildungssuche noch kein großes Thema. Die Personaler haben meistens kaum Zeit für eine Onlinesuche nach den Bewerbern. Auch in meinen Beratungen ist Social-Media kein großes Gesprächsthema.
Wenn man nach mehreren Bewerbungen keine Zu- oder Absage erhält – wie sollte man nachfragen?
HOFMANN: Nach drei bis vier Wochen kann man nachfragen, und dazu raten wir.
MARX: Wenn Jugendliche zu mir in die Beratung kommen, und traurig sind, dass sich noch niemand gemeldet hat, dann sage ich: Zeig Initiative! Ruf an, frag nach. Mehr als eine Absage kann es in keinem Fall bedeuten. Und das gilt für alles, was mit dem Thema Bewerbung zusammenhängt: Man muss es immer und immer wieder versuchen. Nur dann hat man Erfolg.