Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Eltern entscheiden sich oft für etwas fragliche Formen der Eltern-Kind-Beziehung. Wir stellen drei sonderbare, wenngleich häufig verbreitete Varianten vor
DIE IGNORANTEN
„Unser Leon hat das nicht gemacht, so ist er nicht“, beteuern diese Eltern. Leon ist aus ihrer Sicht nämlich das liebste und rücksichtsvollste Kind, das es je gegeben hat. Dass ihr kleiner Engel dabei gesehen wurde, wie er einem anderen Kind die Schüppe über den Kopf gezogen hat, kann nur zweierlei bedeuten: Entweder brauchen die Zeugen allesamt eine Brille. Oder sie haben Leon böswillig beschuldigt, weil sie neidisch sind. Ignorante Eltern klammern sich verzweifelt an die Vorstellung vom perfekten Kind. Würden sie zugeben, dass ihr süßer Leon richtig garstig sein kann, würde das schließlich auf sie selbst zurückfallen. Womöglich hätten sie als Eltern dann etwas falsch gemacht. Und das kann ja nicht sein.
MÖGLICHE AUSWIRKUNG
Weil sich Kinder solcher Eltern nie mit den Folgen ihres Handelns auseinandersetzen mussten, suchen sie auch als Erwachsene die Schuld stets bei anderen und halten sich selbst für unantastbar.
DIE DEMOKRATEN
Kinder solcher Eltern sollen gleichberechtigt sein und dürfen deshalb alles mitentscheiden – unabhängig davon, wie alt sie sind. Sie aufgrund ihres Alters auszuschließen, wäre schließlich diskriminierend. Bevor sie allerdings mitentscheiden, wird zuerst die Sachlage erklärt – zum Beispiel, dass die Bio-Reiswaffeln sehr viel gesünder sind als krebserregende blaue Weingummis. „Es gibt also eine gute und eine schlechte Wahl, Margitta, das hast du verstanden, ja?“Erst dann hat die dreijährige Margitta die freie Wahl. Statt zu bestrafen zeigen sich demokratische Eltern übrigens stets enttäuscht, was übersetzt so viel heißt wie: „Du hast dich nicht an unsere gemeinsam erarbeiteten Abmachungen gehalten.
MÖGLICHE AUSWIRKUNG
Kinder, die ihr Leben lang alles mitentscheiden durften, glauben auch als Erwachsene, zu allem ihren Senf dazugeben zu müssen – selbst wenn sie keinen blassen Schimmer von der Thematik haben.
DIE KUMPEL
Eltern, die ihren Kindern auf Augenhöhe begegnen wollen, streichen die Begriffe Autorität und Erziehung häufig aus ihrem Wortschatz. Sie genießen das unbedingte Vertrauen ihrer Kinder und nehmen dafür in Kauf, sich vollständig zum Affen zu machen: Sie tragen dieselben bunten Gummistiefel, machen sich bei den Freunden ihrer Kinder beliebt und ziehen dieses Verhalten durch, bis aus den Kindern pubertierende Teenager geworden sind. Hier erreicht die Kumpel-Nummer ihren peinlichen Höhepunkt: Väter fläzen sich zu ihren Söhnen auf die Couch und spendieren teuren Whiskey, Mütter tragen dieselben hautengen Jeans wie ihre Töchter, hören coole Mucke und versuchen sich über ihr Liebesleben auszutauschen.
MÖGLICHE AUSWIRKUNG
Wer als Kind nie ein Nein gehört hat, lernt auch später nicht, dass es Grenzen gibt, Autoritäten dann und wann ihre Berechtigung haben und man eigene Bedürfnisse manchmal zurückstellen muss.