Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Folge 120
„Was soll ich dazu sagen, Herr Ahrenfelss. Wir tun alle schließlich nur unsere Pflicht“, entgegnete Drüske, wagte es jedoch nicht, den Angesprochenen dabei anzuschauen Ephraim fuhr auf, gerade wollte er seinem Gegenüber eine deftige Antwort geben, da trat Herta an die Seite ihres Mannes. Sie legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Herr Drüske, was für ein seltener Besuch.“„Ja, da haben Sie wohl recht, Frau Ahrenfelss, wirklich selten.“
„Wie geht es Charlotte? Ich habe Ihre Tochter schon lange nicht mehr gesehen.“
„Danke, Frau Ahrenfelss, Charlottchen geht es gut. Nun, Sie wissen ja, wie das so ist. Aus Kinder werden Leute, unsere beiden sind ja lange schon keine kleinen Mädchen mehr.“Man spürte, wie peinlich es ihm war, darauf angesprochen zu werden. Er hatte seiner Tochter verboten, Henriette weiter zu treffen. Immerhin stand seine berufliche Existenz auf dem Spiel, er konnte sich einfach nicht leisten, dass seine Familie mit Juden verkehrte. Das was er jetzt vorhatte, war schon gefährlich genug.
„Was führt Sie zu uns, Herr Drüske?“, versuchte Herta die unangenehme Situation aufzulösen.
„Nun ... äh „, stammelte er und öffnete den messingfarbenen Schnappverschluss seiner schmalen Aktentasche. „Ich habe hier ein Papier erhalten“, er holte ein Schreiben mit Adler und Hakenkreuz auf dem Briefkopf heraus, „aus Berlin! Ich habe die Anweisung, also nicht ich persönlich, vielmehr wir, also die Verwaltung von Küstrin ...“, Drüske räusperte sich, „... also, hier steht, dass den noch in Deutschland lebenden Juden die Mietrechte entzogen werden und sie nach und nach in sogenannte Judenhäuser umgesiedelt werden sollen.“
„Was?“, stießen Herta und Ephraim entsetzt hervor.
„Nun, es ist so, dass wir nun die Anweisung haben, ein Judenhaus zu gründen und alle ..“Charlottes Vater schwitzte, er wagte kaum, den Satz zu Ende zu bringen. Er konnte es vor sich selbst ja kaum rechtfertigen. Wie dann vor den beiden? „Also Sie und die anderen, Sie sollen in ein sogenanntes Judenhaus umziehen.“
„Drüske, sind Sie noch ganz bei Trost?“ Ephraim polterte los. „Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.“Der Angeklagte zeigte entschuldigend auf das Stück Papier, das nun zwischen ihm und Ahrenfelss auf dem Tresen lag.
„Ach, vergessen Sie doch diesen Wisch.“Henriettes Vater fegte das Blatt zu Boden. „Ich kann sowieso nicht verstehen, dass Sie mit denen zusammenarbeiten.“
„Herr Ahrenfelss, mäßigen Sie sich!“Es war mehr Flehen denn Zurechtweisung.
„Ephraim, bitte!“, bat auch Herta.
„Ist doch wahr!“Ihr Mann ließ sich nicht beruhigen. „Ausgerechnet Sie, Drüske. Sie müssten es doch eigentlich besser wissen.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Wir wissen von Ihrem Schwager, dem KPDler, der in Sonnenburg eingesessen hat“
Charlottes Vater wurde bleich vor Schreck: „Mensch, Ahrenfelss, halten Sie den Mund, Sie sind ja verrückt. Was reden Sie da?“
„Sie haben ihn damals versteckt, unten im Keller im Schloss, wir wissen es. Und wir wissen auch, dass er vorher misshandelt wurde. Und zwar genau von denen, für die Sie arbeiten.“„Ahrenfelss, bitte!“, wimmerte Herr Drüske. „Der Bruder Ihrer verstorbenen Frau! Haben Sie denn überhaupt kein Ehrgefühl! Ihr Schwager! Und nun werden Sie zum Handlanger für die?“
„Was soll ich denn tun? Ich habe eine Tochter zu ernähren, und mein Salär ist weiß Gott nicht so, dass ich mir irgendeinen Fehler leisten könnte. Ich kann doch auch nichts dafür. Ist es meine Schuld, dass die Juden die Regierung so gegen sich aufgebracht haben?“
„Wir haben die Regierung aufgebracht? Ach ja? Und Ihr Schwager etwa auch? Nur weil er Kommunist ist?“
„Ephraim, beruhige dich doch. Herr Drüske kann doch nun wirklich nichts dafür. Und dass er seinem Schwager damals geholfen hat, war doch eine gute Tat.“
(Fortsetzung folgt)
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