Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Die 49-Jährige ist überdurchschnittlich intelligent, aber Mitleid kann sie nicht empfinden. Gutachterin Nahlah Saimeh diagnostiziert autistische Züge, aber ohne Krankheitswert
■ Paderborn. Gegensätzlicher als Angelika und Wilfried W. können zwei Menschen nicht sein. Eigentlich. Denn während Wilfried W. auf gepflegtes Äußeres Wert legt, ist das Angelika W. herzlich egal. Während er intellektuell höchstens das Niveau eines Grundschülers erreicht, ist sie mit einem Intelligenzquotienten von 120 gesegnet. Und doch brauchten sie einander, bildeten sie jahrelang eine hochgradig bösartige Einheit, die letztlich zwei Frauen das Leben kostete.
So lässt sich die zentrale Erkenntnis der Gutachterin Nahlah Saimeh formulieren, die zwei Tage lang vor dem Paderborner Schwurgericht die, wie sie sagte, „sehr speziellen Vorkommnisse“im Bosseborner Saatweg aus psychiatrischer Sicht betrachtete.
Doch bevor Saimeh an diesem 51. Prozesstag die „maligne“, also bösartige, Beziehung der Angeklagten als hochgefährlich beschreibt, macht sie lange Ausführungen zu Angelika W. Denn die ist eine diffizile Persönlichkeit, ist sie doch nicht nur überdurchschnittlich intelligent, leistungsbereit, zupackend und robust. Die 49-Jährige strebt auch stets nach Anerkennung und Perfektion – welche Aufgabe sich ihr auch immer stellt.
Das war fatal. Denn so wurde die hochrationale Angelika Angelika W. im Gespräch mit Verteidiger Peter Wüller.
W. im Verlauf der Zeit für die Frauen, die sie als Gespielinnen für Wilfried W. heranschaffte, immer mehr zum bösen Geist. „Jenseits von gut und böse“sei die Angeklagte da gewesen, sagt Nahlah Saimeh und erklärt, dass die 49-Jährige selbst beim Quälen der Frauen perfekt sein wollte. Folglich demütigte sie ihre Opfer auch mit sexueller Gewalt. Und das, ohne Mitleid zu empfinden. Das könne Angelika W. nicht, erklärt die Gutachterin. „Seelische Erschütterung ist etwas, was bei ihr emotional nicht abrufbar ist.“Saimeh spricht der Angeklagten klar erkennbare autistische Züge zu, aber ohne Krankheitswert. Sie ist also anders als ihr Mitangeklagter voll schuldfähig.
Trotz aller Gegensätze passten die Angeklagten zueinander, erklärt Saimeh, „wie Schlüssel und Schloss, wie Topf und Deckel“. Denn beide seien zu Intimität unfähig und ergänzten sich letztlich – der infantile Wilfried W. mit seinem Bedürfnis nach Anlehnung und seinem bizarren Geflecht aus Vorschriften und Angelika W. mit ihren autistischen Zügen und ihrem Faible für Regeln. Eine gefährliche Melange. „Wenn man da hinein geriet, durfte man auf Güte und Mitleid nicht hoffen“, beschreibt Saimeh das Zusammenwirken der beiden.
Dass immer wieder neue Frauen ins Haus geholt, drangsaliert und gequält wurden, gilt der Expertin als ein „Reigen ständiger Akquise und Zerstörung“. Der habe aber die Beziehung zwischen Angelika und Wilfried W. stabilisiert, erklärt Saimeh und weist darauf hin, dass die beiden immerhin 17 Jahre miteinander verbrachten, mehr Zeit also als viele andere Paare. „Bis zum Schluss gab es die gemeinsame Wir-Ebene.“