Morde aus Hass und Rache
Mitglieder der »Kampforganisation russischer Nationalisten« in Moskau angeklagt.
Mitglieder der »Kampforganisation russischer Nationalisten« stehen in Moskau wegen Mordes vor Gericht und offenbaren menschliche Abgründe.
Im Saal 301 des Gerichtsgebäudes am äußersten Stadtrand Moskaus blieben Freitag etliche Sitzplätze leer. Es fanden sich einen Monat nach Verhandlungsbeginn nur wenig Journalisten und Gerichtszeichner ein – als besäße der Prozess gegen vier Neonazis, die wegen Mordes in sieben Fällen und eines missglückten Mordanschlages auf der Anklagebank sitzen, kaum gesellschaftliche Bedeutung.
In einem Glaskasten sitzen Michail Wolkow, Maksim Baklagin, Wjatscheslaw Isajew und Jurij Tichomirow, allesamt Mitglieder der »Kampforganisation russischer Nationalisten« (BORN). Unter diesem Label setzten sich die Angeklagten laut Selbstdarstellung »für die Rechte der Russen ein«. Gemeint ist die Ermordung führender Aktivisten der Antifa-Bewegung, eines tadschikischen Arbeiters, eines armenischen Taxifahrers, eines aus dem Kaukasus stammenden Kampfsportlers, eines Mitglieds einer radikalen kaukasischen Jugendbande und des Richters Eduard Tschuwaschow. Letzterer verhängte nicht nur hohe Haftstrafen gegen Neonazis, sondern zog sich durch eine als »russophob« gedeutete Äußerung Hass zu.
Die Angeklagten bestreiten keineswegs ihre Beteiligung an den Straftaten, nur bei den Tatmotiven und ihrer Mitgliedschaft bei BORN weichen ihre Versionen von den Einschätzungen der Staatsanwaltschaft ab. Wolkow, der bereits eine mehrjährige Haftstrafe wegen der Beteiligung an einem Pogrom von 2001 auf einem Moskauer Markt verbüßte, gibt vor, keine Berührungspunkte zu BORN zu haben. Außerdem läge kein politisches Motiv vor. Vielmehr hätten die Beschuldigten ihre Taten aus Rache gegenüber Personen begangen, die sich ihrerseits diverse Rechtsverstöße zu Schulden kommen ließen.
Dabei reichte den Neonazis beispielsweise die Darstellung des auf Skandalberichterstattung spezialisierten Senders LifeNews, wonach eine schwangere junge Frau nach dem tätlichen Angriffs eines armenischen Taxifahrers eine Fehlgeburt erlitten habe. Sie sagte aus, damals nicht schwanger gewesen zu sein.
Von den Angeklagten erfährt man wenig über BORN, dafür umso mehr über deren Lebenseinstellung. Unaufgeregt berichtete Isajew vom Ablauf mehrerer Mordszenarien. Er musste zur Tat nicht erst überredet werden. Eine Schlüsselfunktion bei der Umsetzung der Mordpläne hatte Aleksej Korschunow, vormaliger Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB. Er kam 2011 in der Ukraine durch die versehentliche Zündung einer Granate ums Leben und stammt aus dem gleichen Neonaziumfeld wie Nikita Tichonow. Dieser gründete mit Ilja Gorjatschew 2008 BORN als illegalen Kampfableger der legalen rechtsradikalen Organisation »Russkij obras«.
Gorjatschew, den ein gesonderter Prozess erwartet, träumte als intellektueller Kopf von einer politischen Karriere, die in Russland jedoch ohne Deckung aus dem Kreml undenkbar scheint. Seine engen Kontakte in die Präsidialadministration verdankt er dem Umstand, dass rechtsradikale Jugendorganisationen offenbar hervorragend in das Konzept des von der politischen Führung präferierten »kontrollierten Nationalismus« passten.
BORN profitierte von dieser Konstellation, wenngleich sich wohl nicht klären lassen wird, ob Gorjatschews Verbindungsmann in der Präsidialadministration, Leonid Simunin, überhaupt jemals die Beseitigung von Personen ins Gespräch gebracht hat. Dies behaupteten Nikita Tichonow und seine ehemalige Lebensgefährtin Jewgenija Chasis, beide wegen Mordes verurteilt.