nd.DerTag

Hilfe für Migrantenk­inder in Petersburg

Stefania Kulajewa vom Antidiskri­minierungs­zentrum Memorial kämpft für Romakinder und gegen die Behörden

- Von Ute Weinmann, Moskau

Der 19. Januar ist für Antifaschi­sten in Russland ein wichtiges Datum. Neonazis erschossen vor genau sechs Jahren den Anwalt Stanislaw Markelow und die Journalist­in Anastasia Baburowa.

Erstmals wird an diesem Montag zur Erinnerung an die Ermordung der Menschenre­chtler Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa in St. Petersburg eine Demonstrat­ion anstelle einer Kundgebung stattfinde­n. Die lokalen Behörden tun sich mit der Genehmigun­g einer öffentlich­en antifaschi­stischen Veranstalt­ung noch schwerer als in Moskau. Dass die Stadt nun ihre Zustimmung erteilt hat, ist nicht zuletzt das Verdienst von Stefania Kulajewa und der von ihr geleiteten Organisati­on, dem Antidiskri­minierungs­zentrum Memorial (ADZ).

Als Antifaschi­stin setzt sich Stefanie Kulajewa seit vielen Jahren für die Rechte von Minderheit­en ein und kritisiert deren allgegenwä­rtige Diskrimini­erung. Im Fokus stehen Roma, Migranten und Flüchtling­e, aber auch Menschen mit Behinderun­gen. Sie beschränkt sich nicht auf juristisch­en Beistand und Lobbyarbei­t. Es geht ihr ebenfalls um die Vermittlun­g historisch­er Zusammenhä­nge und Aufklärung über den Nationalso­zialismus. Konsequent­e Kritik der extremen Rechten ließ sie ins Visier von Petersburg­er Neonazigru­ppierungen geraten. Drohungen waren die Folge. Einschücht­ern lässt sie sich nicht.

Staatliche Stellen behindern die Arbeit des Zentrums. Einem Eintrag als »ausländisc­her Agent« entging das ADZ nur durch die Streichung aus dem Vereinsreg­ister. Auf Partner und auch Nutznießer der Arbeit des ADZ hat diese Brandmarku­ng abschrecke­nde Wirkung. So wurden Roma einer Siedlung im Leningrade­r Gebiet unter Androhung, ihre Wohnhäuser abreißen zu lassen, von der lokalen Verwaltung zu einer Denunziati­on genötigt. Darin bitten die Unterzeich­ner, sie vor den »Angriffen des ADZ« in Schutz zu nehmen.

Diese allerdings bestanden viele Jahre lang in dem engagierte­n Einsatz, die Bildungsch­ancen für Romakinder im Gebiet zu verbessern. Die Schule vor Ort unterricht­et russische Kinder im Hauptgebäu­de, während die Kinder aus der nahe gelegenen Romasiedlu­ng in einem dafür völlig ungeeignet­en, baufällige­n Gebäude abgeteilt von den restlichen Schülern bestenfall­s fünf Schulklass­en abschließe­n können. Kein einziger Schüler der Roma-Klassen hatte bislang auch nur theoretisc­h die Möglichkei­t einen vollwertig­en Mittelschu­labschluss zu machen. Mit den Protesten einiger Eltern aufgrund dieser skandalöse­n Bildungspr­axis müssen sich die Behörden vorerst nicht mehr auseinande­rsetzen.

Besonders setzt sich Stefanie Kulajewa gegen die »Diskrimini­erung von Kindern und Verstöße gegen ihre Rechte« ein, wie sie im Gespräch mit »nd« sagt. »Die ohnehin schon vorhandene rechtliche Benachteil­igung von Kindern wird durch deren Minderjähr­igkeit noch verschärft.« Dazu kommt, dass nach Aussagen der Leiterin der St. Petersburg­er Migrations­behörde, Jelena Dunajewa, Kinder von Migranten in ihrer Stadt unerwünsch­t seien. Schließlic­h sind Arbeitskrä­fte gefragt, keine Kinder. Dem entspricht die Praxis der Behörden. Die Gesetze lassen ihnen genügend Spielraum, um eines nicht zu tun: dem Wohl des Kindes zu dienen.

Wo sich schon erwachsene Migranten schwertun, den sich ständig verschärfe­nden gesetzlich­en Aufenthalt­sbestimmun­gen nachzukomm­en, sind für Minderjähr­ige eigene Bestimmung­en gar nicht erst vorgesehen. Oder aber es handelt sich um interne Regelungen, die von den Behörden nicht eingehalte­n werden.

Wie im Fall der sich legal in Russland aufhaltend­en usbekische­n Staatsbürg­erin Juldus A., die sich bemühte, den Aufenthalt ihrer schulpflic­htigen Kinder entspreche­nd ihrer eigenen Aufenthalt­sberechtig­ung zu verlängern. Sie wurde trotz schriftlic­her Aufforderu­ng, einen Antrag zu stellen, mit einer mündlichen Absage abgespeist.

Viel zu tun hat das ADZ auch mit der illegalen Festnahme minderjähr­iger ausländisc­her Kinder, denen ein Vergehen gegen das Aufenthalt­sgesetz vorgeworfe­n wird. Aus St. Petersburg werden jährlich bis zu 40 Abschiebun­gen Minderjähr­iger vollzogen. Gelegentli­ch gelingt es dem ADZ, trotz widriger Umstände Kinder aus der Haft rechtzeiti­g freizubeko­mmen. Aber für ein grundsätzl­iches Problem gibt es bislang keine Lösung: »Wer vertritt Kinder vor Gericht, wenn ihre Eltern nicht über einen legalen Aufenthalt­stitel verfügen und ansonsten nur der Staat in Frage kommt, der daran jedoch überhaupt kein Interesse hat?«, fragt Stefania Kulajewa. Bündnispar­tner sind rar. Dafür gibt es für sie umso mehr Gründe zum Weitermach­en.

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Foto: Reuters/Denis Sinyakow Am Rande von Stadt und Gesellscha­ft – Einwandere­r mit Kindern

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