BORN-Verteidiger wollen Revision
Im Moskauer Neonazi-Prozess nutzte der Richter seine Möglichkeiten / Kremlverstrickungen blieben ungeklärt
Im Moskauer Neonazi-Prozess um sieben Morde wird Revision angestrebt. Zudem steht ein weiteres Verfahren an.
Die Strafverteidiger der Mitglieder der »Kampforganisation russischer Nationalisten«, kurz BORN, kündigten an, das Urteil gegen ihre Mandanten anzufechten. Vor genau einer Woche endete in Moskau ein Gerichtsprozess gegen vier BORN-Mitglieder mit hohen Freiheitsstrafen.
Wegen siebenfachen Mordes, versuchten Mordes, illegalen Waffenhandels und Mitgliedschaft in einer extremistischen Vereinigung hatten sich die Neonazis zu verantworten. Mit der Verhängung von zweimal lebenslänglich, einer Haftstrafe von 24 Jahren, anstelle der von der Anklage geforderten 25, und einem Freispruch schöpfte Richter Aleksandr Koslow seine Möglichkeiten voll aus. Dabei stützte er sich auf das zuvor getroffene Verdikt von zwölf Geschworenen. Bei einzelnen Mordepisoden, nicht jedoch hinsichtlich der Ermordung des Moskauer Richters Eduard Tschuwaschow, machten diese mildernde Umstände geltend. Jurij Tichomirows Mitgliedschaft bei BORN sahen sie wegen Mangel an Beweisen als nicht erwiesen an. Allerdings verbüßt jener bereits eine zehnjährige Haftstrafe wegen Mordes an einem Antifaschisten.
Anderthalb Stunden dauerte die Urteilsverlesung, bei der Richter Koslow den im Saal Anwesenden ein letztes Mal die von Menschenverachtung geprägten Tatumstände vor Augen führte. Aus dem Mund der Neonazis Wjatscheslaw Isajew, Maksim Baklagin und Michail Wolkow klangen indes ganz andere Töne an. Da war die Rede davon »Ge- rechtigkeit« herstellen zu wollen. In ihrer Interpretation hätten sich all ihre Mordopfer irgendwelcher Vergehen schuldig gemacht.
Neben der Erleichterung darüber, dass ein Teil der aktiven BORN-Mitglieder endlich für Taten zur Rechenschaft gezogen wurde, die nicht nur die Antifaszene aufwühlten, sondern, wie der Richtermord, lange Zeit die russische Öffentlichkeit beschäftigten, bleibt die bittere Erkenntnis, dass auf sämtliche hinter BORN stehende politische Zusammenhänge betreffende Fragen keine Antwort erfolgte. Hinweise für Querverbindungen der Neonazigruppierung bis hinein in die Präsidialadministration und die Duma existieren zur Genüge, vor Gericht verhandelt werden sollten sie offenbar nicht.
Schlüsselfigur zur Aufdeckung folgenschwerer weitreichender Vernetzungen, von denen BORN lange Zeit profitierte, ist der intellektuelle Kopf der Gruppe, Ilja Gorjatschew. Als Anführer der legalen rechtsextremen Organisation Russkij Obraz, als deren Kampfflügel BORN agierte, bot er sich dem Kreml als Partner an. Ob die zahlreichen Morde auf Eigeninitiative, unter Billigung oder womöglich sogar im Auftrag kremlnaher Personen erfolgten, bleibt ungeklärt. Als Informationszuträger für BORN spielte im Übrigen auch der ehemalige Pressesprecher von Russkij Obraz, Jewgenij Waljajew, eine wichtige Rolle. Der betreibt seine Karriere im Expertenpool des Kreml weiter mit Erfolg.
Als Zeuge im abgeschlossenen Verfahren stritt Ilja Gorjatschew jegliche Verbindung zu BORN ab. Ihm steht jedoch ein gesonderter Gerichtsprozess bevor, in dem er als Hauptverantwortlicher für den Aufbau von BORN auf der Anklagebank sitzen wird.