Der Traum vom reichen Zwergstaat
In meiner Serie über europäische Separatismen komme ich zu der leisen Spielart, die mir als Österreicher besonders nahe liegt. Triest war von 1382 bis 1918 Österreichs Zugang zum Meer, und auch wenn ich nicht sonderlich unter Habsburgnostalgie leide, werde ich wie der lang ersehnte Emissär empfangen, von der »Bewegung Freies Triest«. Sie sitzt an bester Adresse, Piazza della Borsa, die Glasmalerei im Büro stammt von einem österreichischen Künstler, Segelboot in Bucht vor Bergen.
Der Vereinspräsident, ein Umweltaktivist, ist wegen »Familienproblemen« verhindert, aber der Chefideologe instruiert mich. Paolo Parovel, über 70, Journalist, weißer Bart, kakanischer Stammbaum, die Eltern hatten einen Buchladen in Istanbul, und eine seiner Schriften heißt »1400 Jahre geschichtlicher Beiträge des slowenischen Volkes zu Stabilität, Frieden und Sicherheit Europas«. Hinzu stößt Gianni Kriscak, unter 50, Opern-Repetitor in Graz, Chef der einzigen AuslandsSektion. Ja, die überparteiliche Bewegung wirkt auch in Österreich. Seine Sektion hat 55 Mitglieder.
Drei Jahre alt, brachte der »Movimento Trieste Libera« vor zwei Jahren 8000 Demonstranten auf die Straße, 1200 Personen haben die viersprachige Mitgliedskarte. »Diese Idee ist spontan herausgekommen und ganz explodiert«, sagt Parovel in einer Sprache, die er ein »eingerostetes Altösterreicher-Deutsch« nennt. Er stellt klar: »Wir haben nichts mit den norditalienischen Separatisten zu tun, das ist ein italienisches Problem. Wir sind keine Separatisten, wir sind schon separat.« In der Tat gab es von 1947 bis 1954 ein »Freies Territorium Triest«, unter den Fittichen des UNO-Sicherheitsrates. Parovel argumentiert, die Zone A des Quasi-Staates sei 1954 nicht Italien, sondern bloß der italienischen Regierung zur Verwaltung übergeben worden. Die Präfektin – »diese gnädige Frau fürchtet uns« – übe nach wie vor auch das Amt der Regierungskommissarin aus. Kriscak: »Mir fällt nichts ein, was Italien gut gemacht hätte.« Die beiden waschen mir so lange das Gehirn, bis ich an die nur provisorische Verwaltung durch Italien zu glauben beginne. Der Staat dieser Triestiner existiert.
Martin Leidenfrost, nisch. »Was, Sie haben statt Slowenisch JAPANISCH gelernt?« – »Meine Frau ist Japanerin!«
Die Schlagrichtung der Aktivisten ist eine völkerrechtliche. Sie erheben keinen Anspruch auf die Zone B, die 1954 der jugoslawischen Regierung übergeben wurde, jene Nordistrier »leben gut in Slowenien und Kroatien«. Meine Frage, ob sie Menschenleben für ihr Vorhaben riskieren würden, befremdet sie. Soeben haben sie den Sicherheitsrat mit 15 000 Unterschriften aufgefordert, endlich den Gouverneur zu ernennen, auf den sich die Vetomächte nach 1947 nicht einigen konnten. Briefe gingen auch nach Brüssel, denn »wir sind illegal in der EU«. Sie sind auch nicht in der NATO, das Freie Territorium ist neutral und demilitarisiert.
Mir fällt auf, dass sie mehr vom Hafen sprechen als von der Stadt. Sie wollen »ein Freihafen mit einem kleinen Staat« sein, ein stinkreicher Zwergstaat ohne Italiens Schulden. Besonders mitteleuropäische Länder ohne Meerzugang laden sie ein, ihre Rechte im Freihafen wahrzunehmen und eigene Flotten zu unterhalten. Italien habe einen Interessenkonflikt, wegen seiner anderen Häfen. »Wenn der Sicherheitsrat die Verwaltung an die Schweiz gibt, wären wir zufrieden.« Oder an Österreich. Oder an die Slowakei. Selbst Bosnien wäre besser als Italien.
Zum Abschied, bei der belebten Verkaufsstelle für Nippes, steckt mir der Sektionschef Österreich eine Nadel ans Revers. Zwei Fahnen, mein Rot-Weiß-Rot und ihre weiße Hellebarde auf rotem Grund, brüderlich vereint. Das fühlt sich wie mein erster Orden an. Eine Weile laufe ich noch damit durch die kalt-schöne klassizistische Stadt. Dann erinnere ich mich meiner Neutralität und nehme die Nadel ab.