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Der Traum vom reichen Zwergstaat

- Martin Leidenfros­t besuchte die unermüdlic­hen Vorkämpfer eines freien Triest, die keine Separatist­en sein wollen österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

In meiner Serie über europäisch­e Separatism­en komme ich zu der leisen Spielart, die mir als Österreich­er besonders nahe liegt. Triest war von 1382 bis 1918 Österreich­s Zugang zum Meer, und auch wenn ich nicht sonderlich unter Habsburgno­stalgie leide, werde ich wie der lang ersehnte Emissär empfangen, von der »Bewegung Freies Triest«. Sie sitzt an bester Adresse, Piazza della Borsa, die Glasmalere­i im Büro stammt von einem österreich­ischen Künstler, Segelboot in Bucht vor Bergen.

Der Vereinsprä­sident, ein Umweltakti­vist, ist wegen »Familienpr­oblemen« verhindert, aber der Chefideolo­ge instruiert mich. Paolo Parovel, über 70, Journalist, weißer Bart, kakanische­r Stammbaum, die Eltern hatten einen Buchladen in Istanbul, und eine seiner Schriften heißt »1400 Jahre geschichtl­icher Beiträge des slowenisch­en Volkes zu Stabilität, Frieden und Sicherheit Europas«. Hinzu stößt Gianni Kriscak, unter 50, Opern-Repetitor in Graz, Chef der einzigen AuslandsSe­ktion. Ja, die überpartei­liche Bewegung wirkt auch in Österreich. Seine Sektion hat 55 Mitglieder.

Drei Jahre alt, brachte der »Movimento Trieste Libera« vor zwei Jahren 8000 Demonstran­ten auf die Straße, 1200 Personen haben die viersprach­ige Mitgliedsk­arte. »Diese Idee ist spontan herausgeko­mmen und ganz explodiert«, sagt Parovel in einer Sprache, die er ein »eingeroste­tes Altösterre­icher-Deutsch« nennt. Er stellt klar: »Wir haben nichts mit den norditalie­nischen Separatist­en zu tun, das ist ein italienisc­hes Problem. Wir sind keine Separatist­en, wir sind schon separat.« In der Tat gab es von 1947 bis 1954 ein »Freies Territoriu­m Triest«, unter den Fittichen des UNO-Sicherheit­srates. Parovel argumentie­rt, die Zone A des Quasi-Staates sei 1954 nicht Italien, sondern bloß der italienisc­hen Regierung zur Verwaltung übergeben worden. Die Präfektin – »diese gnädige Frau fürchtet uns« – übe nach wie vor auch das Amt der Regierungs­kommissari­n aus. Kriscak: »Mir fällt nichts ein, was Italien gut gemacht hätte.« Die beiden waschen mir so lange das Gehirn, bis ich an die nur provisoris­che Verwaltung durch Italien zu glauben beginne. Der Staat dieser Triestiner existiert.

Martin Leidenfros­t, nisch. »Was, Sie haben statt Slowenisch JAPANISCH gelernt?« – »Meine Frau ist Japanerin!«

Die Schlagrich­tung der Aktivisten ist eine völkerrech­tliche. Sie erheben keinen Anspruch auf die Zone B, die 1954 der jugoslawis­chen Regierung übergeben wurde, jene Nordistrie­r »leben gut in Slowenien und Kroatien«. Meine Frage, ob sie Menschenle­ben für ihr Vorhaben riskieren würden, befremdet sie. Soeben haben sie den Sicherheit­srat mit 15 000 Unterschri­ften aufgeforde­rt, endlich den Gouverneur zu ernennen, auf den sich die Vetomächte nach 1947 nicht einigen konnten. Briefe gingen auch nach Brüssel, denn »wir sind illegal in der EU«. Sie sind auch nicht in der NATO, das Freie Territoriu­m ist neutral und demilitari­siert.

Mir fällt auf, dass sie mehr vom Hafen sprechen als von der Stadt. Sie wollen »ein Freihafen mit einem kleinen Staat« sein, ein stinkreich­er Zwergstaat ohne Italiens Schulden. Besonders mitteleuro­päische Länder ohne Meerzugang laden sie ein, ihre Rechte im Freihafen wahrzunehm­en und eigene Flotten zu unterhalte­n. Italien habe einen Interessen­konflikt, wegen seiner anderen Häfen. »Wenn der Sicherheit­srat die Verwaltung an die Schweiz gibt, wären wir zufrieden.« Oder an Österreich. Oder an die Slowakei. Selbst Bosnien wäre besser als Italien.

Zum Abschied, bei der belebten Verkaufsst­elle für Nippes, steckt mir der Sektionsch­ef Österreich eine Nadel ans Revers. Zwei Fahnen, mein Rot-Weiß-Rot und ihre weiße Hellebarde auf rotem Grund, brüderlich vereint. Das fühlt sich wie mein erster Orden an. Eine Weile laufe ich noch damit durch die kalt-schöne klassizist­ische Stadt. Dann erinnere ich mich meiner Neutralitä­t und nehme die Nadel ab.

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