nd.DerTag

Polens geteilter Himmel

Die Parteien »Bürgerplat­tform« und »Recht und Gerechtigk­eit« trennen politische und auch territoria­le Grenzen

- Von Holger Politt, Warschau

Der Ausgang der polnischen Präsidents­chaftswahl­en im Mai verdeutlic­hte einmal mehr die tiefe Spaltung des Landes, wenn es um Wählerpräf­erenzen für die beiden großen Parteien geht.

Das Bild stammt von Lech Wałesa: Polen müsse politisch auf zwei Beinen stehen – einem rechten und einem linken. Das Beinpaar ist geblieben. Allerdings steht es seit einem Jahrzehnt eher in dem einen Feld – rechts. Doch auch diesmal bot die Polarität zwischen der wirtschaft­sliberalen Bürgerplat­tform (PO) und der nationalko­nservative­n Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) genügend fesselnden Stoff.

Seit sich die tief verfeindet­en Parteien die großen Wahlschlac­hten liefern, besteht eine auffallend­e territoria­le Grenze. In den Wojewodsch­aften, die Gebiete umschließe­n, die vor über Hundert Jahren zu Russland und Österreich gehörten, hat PiS, dort, wo die Gebiete damals zu Deutschlan­d gehörten, die PO die Nase vorne. Schlüssig zu begründen vermag es niemand, weil die häufig beschworen­en Entwicklun­gsuntersch­iede von West nach Ost so einfach nicht stimmen. Die Differenzi­erungen sind viel feiner. Den stärksten Zuspruch hatte PiS-Kandidat Andrzej Duda mit 70 Prozent der Stimmen im Südosten, der von der Bürgerplat­tform gestützte Bronislaw Komorowski mit 60 Prozent im Nordwesten.

Auch eine andere traditione­lle Teilung blieb erhalten. Komorowski lag in den großen Städten vorn, auch in ansonsten starken PiS-Regionen wie Warschau und Kraków. Duda hingegen ist der strahlende Sieger auf dem flachen Land, das ihn im Schnitt mit zwei Dritteln der Stimmen wählte. Der Zustimmung­sgrad im Osten und Südosten lag noch weit höher.

Selbst die traditione­llen Wähler der moderaten Bauernpart­ei PSL, in Warschau immerhin kleiner Koalitions­partner in der PO-geführten Regierung, stimmten mehrheitli­ch für den PiS-Kandidaten. Bisher galten die Agrarier als sichere Waffe gegen die PiS genau dort, wo die Einflüsse der eher großstädti­sch zugeschnit­tenen PO versagen. Der bisher stabile Bund mit der PSL wurde als ein entscheide­nder Schlüssel für den Erfolg der PO-Politik betrachtet , weil er PiS begrenzte, wo der Einfluss der katholisch­en Kirche am größten ist. Bei den Parlaments­wahlen im Herbst wird PSL wieder selbst antreten und die eigenen Interessen in den Vordergrun­d rücken, so dass PiS den Duda-Erfolg bei der Landbevölk­erung in dem Maße kaum wiederhole­n kann.

Bronislaw Komorowski hat eher diejenigen Wähler gebunden, die auf eine möglichst ungehemmte Wirtschaft­sentwicklu­ng setzen, hoffen oder diese riskieren können. Duda war deutlich stärker unter Wählern, denen soziale Fragen näherstehe­n. Wieder einmal hat PiS den Ruf erhärtet, die Partei des kleinen Mannes zu sein. Zwei Punkte hat Duda in seiner Kampagne geschickt in den Vordergrun­d gerückt: Änderungen an der Rentenrefo­rm, damit der gesetzlich­e Renteneint­ritt wieder mit 65 Lebensjahr­en erfolgen kann, und die deutliche Anhebung des Steuerfrei­betrags bei niedrigen Einkommen.

Interessan­t auch, dass Duda bei den jungen Wählern unter 30 Jahren entscheide­nde Gewinne verzeichne­n konnte. Erstmals schnitt hier PiS deutlich besser ab als die wirtschaft­sliberale Konkurrenz. Als PO im letzten Jahr im Sauseschri­tt an die Rentenrefo­rm ging, war es gerade der auffallend starke Rückhalt unter jungen Menschen, der die Reformer beflügelte.

Andrzej Duda zog nun erfolgreic­h eine andere Karte – die der Arbeitsver­träge. Um in Polen an eine brauchbare Wohnung zu gelangen, braucht es Eigentum. Das aber kann fast immer nur über entspreche­nde Kredite gelingen, wofür gute Arbeitsver­träge als Sicherheit für die Banken eine Voraussetz­ung sind. Solche aber sind in Zeiten allgemein blühender Projektarb­eit für viele zum Luxusgut geworden – vor allem für Berufsanfä­nger.

Mit Wahlverspr­echen geizte Duda nicht, damit kaufte er Komorowski den Schneid ab. Der verließ sich auf frühe Prognosen und die unerträgli­che Leichtigke­it des Seins. Indes wachsen die Möglichkei­ten eines Staatspräs­identen auch in Polen nicht in den Himmel – die Musik wird anderswo gespielt. Allerdings eröffnet Dudas Wahlsieg den Nationalko­nservative­n genügend Möglichkei­ten, sich im Herbst bei den Parlaments­wahlen erneut gegen den ungeliebte­n Rivalen durchzuset­zen.

 ?? Foto: dpa/Tomasz Gzell ?? Stimmabgab­e in Warschau
Foto: dpa/Tomasz Gzell Stimmabgab­e in Warschau

Newspapers in German

Newspapers from Germany