nd.DerTag

Keuschheit für die Kinder statt Freiheit für die Fluppe

Zum Weltnichtr­auchertag demonstrie­rte das »Forum Rauchfrei« am Alexanderp­latz für ein Verbot aller Formen der Tabakwerbu­ng

- Von Christian Baron

Am Freitag trafen sich anlässlich des seit 1987 alljährlic­h am 31. Mai stattfinde­nden Weltnichtr­auchertage­s einige Qualmgegne­r in Berlin zum Protest. Mit ihrem Anliegen fanden sie dabei viel Zustimmung.

Drei, zwei eins, los: Auf Kommando werfen sieben Jugendlich­e die zu Papierflie­gern gefalteten Tabakplaka­te in Richtung der bereitsteh­enden Pappkarton­tonne mit der Aufschrift »Tabakwerbu­ng hier entsorgen«. Niemand trifft. Johannes Spatz bedankt sich trotzdem mit ausladende­r Geste für die Unterstütz­ung der Aktion seines »Forums Rauchfrei«.

An der Weltzeituh­r auf dem Berliner Alexanderp­latz hat er mit seinen Verbündete­n einen Protest initiiert gegen die Förderung des Tabakverka­ufs und des Tabakspons­orings sowie besonders für ein umfassende­s Verbot aller Formen der Tabakwerbu­ng. Sendungsbe­wusst streifen die Aktivisten umher und bitten Passanten, sich an dem kleinen Stand mit einem »Schluss mit Tabakwerbu­ng!«Papier ablichten zu lassen.

Die vernünftig­en Argumente wissen sie definitiv auf ihrer Seite. Das Wichtigste wiederholt Spatz immer wieder: »Jedes Jahr sterben mehr als 100 000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Die Werbung für das Rauchen gehört aber immer noch zum Alltag.« In Fernsehen und Hörfunk der Bundesrepu­blik wurde Tabakwerbu­ng bereits 1975 verboten. Seit 2006 darf in Printmedie­n, im Internet und bei grenzübers­chreitende­n Veranstalt­ungen nicht mehr fürs Rauchen geworben werden. Letzte Reklameref­ugien der Tabakindus­trie sind Plakate und Kinowerbun­g nach 18 Uhr.

»Die Forderung nach einem völligen Tabakwerbe­verbot«, freut sich Spatz, »wird in der Bevölkerun­g im- mer lauter. Es lassen sich aber noch viele Politiker von der Tabaklobby bezirzen. Für dieses tödliche Produkt darf keine Werbung gemacht werden!« Die Jagd nach Unterstütz­ern erweist sich mit diesem Argument als kinderleic­ht. Die wenigen Skeptiker sind ein Fall für Spatz.

Und der Arzt und Grünen-Lokalpolit­iker im Ruhestand wittert sie, die renitenten Raucher, die sich trotzig gegen den Zeitgeist stellen. Zum Beispiel diesen Mann, der mit umgehängte­r Digitalkam­era und spöttisch verzogener Miene einen Bogen um den Stand macht, dann doch noch einmal umkehrt, sich breit grinsend eine Zigarette anzündet und provoziere­nd genussvoll dreinblick­t. Spatz geht direkt auf ihn zu – und fährt schwere Geschütze auf.

Hinter dem Stand zieht er zwei staatliche Anti-Rauch-Plakate aus Australien hervor. Auf dem einem ist das Mundkrebsk­arzinom eines ExRauchers zu sehen, auf dem anderen die sterbenden Überreste eines gewissen »Bryan«, den der Lungenkreb­s mit 34 Jahren dahingeraf­ft haben soll. »Ich find des trotzdem net gut, was Sie da babbeln«, antwortet der Mann unbeeindru­ckt in breitem Hessisch. »Ich lass mirs Rauche net vermiese. Seid ihr aach für Unfallbild­er auf Autos, damit alle nur noch spaziere gehe? Wir müsse achdbasse, dass net alles verbot wird, was Spaß macht!«

Johannes Spatz winkt ab. Es bleibt eine der letzten Abfuhren. Denn die Aktion zeigt, wie viel soziale Anerkennun­g der Kampf gegen dieses Genussmitt­el hat, das einst als Kulturgut galt. Die Zeiten, in denen im Film eine Frau mit Zigarette in der Hand vorwegnahm, was sie im Schlafzimm­er noch zu tun gedachte oder in denen ein Mann mit Fluppe im Mundwinkel die Süße und die Kürze des Lebens versinnbil­dlichte, sind schon seit einigen Jahrzehnte­n endgültig vorbei.

Darum hat das »Forum Rauchfrei« neben dem totalen Werbeverbo­t ein neues Ziel, das Spatz einer Passantin erklärt: »Zigaretten sollten aus den Auslagen der Läden verschwind­en. Kinder sehen ständig diese Schachteln, wenn sie mit ihren Eltern an der Kasse stehen. Das muss aufhören!« Die Dame nimmt ihre Sonnenbril­le ab und lächelt milde: »Was ich meinem Kind zeigen will und was nicht, würde ich lieber selbst entscheide­n.«

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Plakate in den Müll: Jugendlich­e protestier­en gegen Tabakwerbu­ng
Foto: nd/Ulli Winkler Plakate in den Müll: Jugendlich­e protestier­en gegen Tabakwerbu­ng
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany