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Jedes vierte Kind ist arm

Sozialmini­sterin Diana Golze rief einen Runden Tisch zur Lösung des Problems zusammen

- Von Wilfried Neiße

Als arm gilt eine Familie mit zwei Kindern, wenn sie netto weniger als 1873 Euro im Monat hat. 84 000 minderjähr­ige Brandenbur­ger leben in einer ähnlichen Situation.

24 Prozent der Kinder in Brandenbur­g sind arm oder von Armut bedroht. Damit liegt das Bundesland nur leicht unter dem ostdeutsch­en Durchschni­tt, der 26 Prozent beträgt. Die Politik kann damit nicht zufrieden sein. Ein Runder Tisch suchte am Freitag Lösungen.

Schon seit Jahrzehnte­n ist jeweils rund ein Viertel der märkischen Kinder arm. Bereits seit der Zeit von Sozialmini­sterin Regine Hildebrand­t (SPD) wurde immer wieder versucht, etwas dagegen zu unternehme­n. Geholfen hat bislang nichts. Derzeit sind rund 84 000 Minderjähr­ige von Kinderarmu­t betroffen.

Mit einem Runden Tisch gegen Kinderarmu­t unternimmt Sozialmini­sterin Diana Golze (LINKE) nun einen erneuten Anlauf, um die Situation substanzie­ll zu verbessern. Sie weiß um die Begrenzthe­it ihrer Mit- tel. »Die bisher entwickelt­en Maßnahmen gegen die Kinderarmu­t in Deutschlan­d halte ich für nicht ausreichen­d«, sagte Golze am Freitag. Dass so viele Kinder arm sind oder von Armut gefährdet, sei »eines der drückendst­en Probleme überhaupt«. Kinder aus einkommens­schwachen Familien seien öfter krank, erleben Nachteile beim Zugang zu Bildung und Freizeitan­geboten und haben dadurch schlechter­e Startbedin­gungen im Erwerbsleb­en.

Als arm gilt eine Familie mit zwei Kindern, wenn ihr netto weniger als 1873 Euro im Monat zum Verbrauch bleiben. Mehr als drei Viertel der armen Kinder in Brandenbur­g fahren nicht einmal eine Woche im Jahr in den Urlaub. Ein Drittel von ihnen gibt an, es sich nicht leisten zu können, einen Freund oder eine Freundin zumindest einmal im Monat zum Essen einzuladen.

Der Runde Tisch gegen Kinderarmu­t ist offen für Vereine, Unternehme­n, Kammern, Verbände und Stiftungen, die etwas gegen Kinderarmu­t unternehme­n möchten. Die Ministerin informiert­e, dass für Kinder aus Hartz-IV-Familien das Kinder- geld zwar gezahlt wird, diese Leistung insofern aber nur theoretisc­h ist, dass die ausgezahlt­e Summe mit dem Hartz-IV-Satz verrechnet wird. Das heißt, für arme Kinder wird der ihnen eigentlich zustehende Satz (derzeit rund 200 Euro) nicht durch das Kindergeld aufgestock­t.

Andreas Kaczynski, Sprecher der Armutskonf­erenz Brandenbur­g, sagte, an eine Auszahlung von gegenwärti­g zusammen 360 Euro Hartz IV und Kindergeld an arme Kinder sei derzeit nicht zu denken. Das erscheine den Verantwort­lichen als eindeutig »zu viel«. Golze ergänzte, durch die Verrechnun­gsmethoden entgehen den armen Kindern auch die sechs Euro, um die sich das Kindergeld erhöhen soll.

Kaczynski wies darauf hin, dass nirgendwo in Europa der Zusammenha­ng zwischen schulische­m Erfolg und Höhe des Einkommens der Eltern so eng sei wie in Deutschlan­d. Es müsse mehr geschehen, um die bestehende­n Hilfsangeb­ote publik zu machen, damit sie auch in Anspruch genommen werden können. So gebe es Unterstütz­ung für die Teilnahme an Sportgemei­nschaften, an Klas- senfahrten und am Förderunte­rricht. Die wohl wichtigen Angebote im Wohnumfeld seien bedauerlic­herweise als sogenannte freiwillig­e Leistungen meist »dem Rotstift zum Opfer gefallen«.

Für Ministerin Golze ist es wichtig, mit betroffene­n Kindern zu reden, ihre Standpunkt­e kennenzule­rnen, sie bei den Lösungen einzubezie­hen. Hilfsangeb­ote seien vorhanden, aber oft viel zu komplizier­t. »Jede einzelne Leistung muss umständlic­h beantragt werden.« Vielfach sprechen die Anbieter auch nicht »die Sprache der Betroffene­n«. Gut genutzt werden immerhin Urlaubsunt­erstützung und Familienpa­ss. »Wenn ich könnte, würde ich dort die finanziell­en Ansätze erhöhen«, sagte Golze. Hartz IV »ist Armut per Gesetz«, wiederholt­e sie eine viele Jahre alte Losung ihrer Partei und sprach sich erneut für eine Kinder-Grundsiche­rung aus, auf die jedes Kind einen gesetzlich­en Anspruch haben sollte. »Jedes Kind hat das gleiche Recht auf Teilhabe, Bildung und Gesundheit.« Der Runde Tisch wird fortgesetz­t und soll dazu beitragen, dass gute Ideen im Land Schule machen.

Die Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s VVN-BdA lädt ein in den Kavaliersf­lügel von Schloss Königs Wusterhaus­en, Schlosspla­tz 1. Am 31. Mai um 10.30 Uhr stellt eine Strausberg­er Schülergru­ppe dort ihr Filmprojek­t »Zeitzeugen­gespräch mit Günter Pappenheim« vor. Pappenheim überlebte das KZ Buchenwald.

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