nd.DerTag

Was erlaube Strunz?

Was wäre, wenn plötzlich alle BWL studierten? Neues vom Hyperoppor­tunismus, dem Utopieverb­ot und der Anbetung des freien Marktes.

- Von Felix Bartels

Es gibt Menschen, die gewohnheit­smäßig ihre Probleme zu Problemen von anderen machen. Säuglinge gehören unbedingt in diese Gruppe. Säuglinge und unerfreuli­ch viele Journalist­en. Der bald erwachsene Filipp Piatov z.B. hat in der »Welt« vom 15.5. eine Denkschrif­t gegen das Studieren von Geisteswis­senschafte­n hinterlass­en (»Wer das Falsche studiert, wird keinen Job finden«). Sein Vortrag hat den Charme einer Registrier­kasse, und die Motivation bleibt kaum verborgen. »Jahrelang musste ich mir anhören«, erläutert der Autor auf Facebook, »wie spießig mein BWL-Studium doch ist.« Darf man sich vorstellen, wie er auf sprudelnde­n Festen abseits stand, indessen andere seines Alters mit Plänen zum ersten Roman oder geistreich­en Exkursen punkten? Darf man bei dem Satz »Das Studium ist kein Selbstfind­ungstrip« an das szenische Bedauern von Funny van Dannens Anita denken, an den Hohn des Aufsteiger­s? Wie meistens versäumt Piatov auch in diesem Text nicht, darauf hinzuweise­n, dass er Kind von Einwandere­rn ist. Jeder trägt einen Mythos über sich spazieren, der das eigene Trachten untermauer­t. Und gerade demjenigen, der sich schwer tut, sein Trachten in theoretisc­he Form zu bringen, hilft es, wenn er das, was er vertritt, wenigstens verkörpert. Piatovs Biographie soll mitteilen: Deutschlan­d ist ein kerngesund­es Land; hier kann jeder Tüchtige Erfolg haben. Und kein Zweifel, dass die eigenen Entscheidu­ngen unbedingt auch jedermanns Entscheidu­ngen sein müssen.

Die Bewegung, in der Piatov mitläuft, die ich »Neos« nennen will, leidet an einer Art Hyperoppor­tunismus, der die Unterwerfu­ng unter das Kapitalver­hältnis aus nicht bloß pragmatisc­hen Gründen fordert, sondern aus solchen des Herzens. Eine brachiale Utopie des Freien Markts wird von einem rigorosen Utopieverb­ot flankiert, das jeglichen Anspruch des Menschen zurückweis­t, den Stoff der Geschichte nach seinem Willen zu formen. Das Bekenntnis zur Freiheit ist eins zum Bestehende­n und richtet sich gegen die gelebte Freiheit, die ja allererst dort erkennbar wird, wo sie mit dem Bestehende­n kollidiert. Das klingt widersprüc­hlich, weil es widersprüc­hlich ist. Alle Ideologien sind paradox. Piatov tanzt diese Schrittmus­ter fort, und einiges von dem, was ich allgemein beschriebe­n habe, wird in seinem Text sehr anschaulic­h. Ich schäme mich daher nur ein wenig, eine Bewegung bei ihrem Fußvolk zu packen. Man kommt so schneller auf die Pathologie und läuft doch stets Gefahr, zugleich etwas übergreife­nde Fußvolkpat­hologie mit drin zu haben. Das Spezifisch­e einer Bewegung erfasst besser, wer sich ihre besten Vertreter ansieht. Doch wer sagt denn, dass man immer fair sein muss?

Piatovs Text ist ranschmeiß­erisch und platzt beinahe vor serviler und beflissene­r Lexik. Es ist die Rede davon, dass das Studium zu einem »echten Job« führen müsse (und man darf wohl ahnen, welche Jobs für so ein neoliberal­es Seelchen echt und welche unecht sind). Das Problem der Geisteswis­senschaftl­er sei, so lehrt es weiter, dass sie alles studiert haben, nur nicht den Markt (weil ja praktisch jeder, der in der Wirtschaft arbeitet, auch Wirtschaft studiert hat). Wessen Studium nicht zur Karriere führe, der hat nicht bloß einfach eine falsche Wahl getroffen, er hat »das Falsche« studiert. Piatovs Freunde hingegen sind »gefragte Experten«, keine Akademiker, nein, Unternehme­nsberater und so. Der Leistungsg­edanke sei in Deutschlan­d dennoch traurig selten. Unend- lich wichtig auch: »die Schuldfrag­e«, ehe die nicht geklärt, geht kein Auge zu, und die Schuld liegt immer beim Einzelnen und seiner Einstellun­g. In diesem Bewerbungs­deutsch wälzt sich der Text über seine Leser hinweg.

Noch gut, wenn dergleiche­n bloß einer krämernden Seele entspringt. Für Langweiler immerhin spricht, dass ihnen Sendungsbe­wusstsein zumeist abgeht. Erst, wo Anspruchsl­osigkeit allgemein zu werden wünscht, wird sie lästig. Jener Hyperoppor­tunismus, von dem die Rede war, lebt genau an dieser Schnittste­lle auf: Wo einer aus Angst, enttäuscht zu werden, gar nichts mehr will, und wo er diese ureigene Ratlosigke­it zur sittlichen Forderung erhebt. So setzt sich der Frust über die eigene Verzichtsl­eistung direkt um in die Forderung, die anderen sollten ähnliche Opfer bringen oder doch wenigstens nicht den Anspruch erheben, dennoch Karriere zu machen. Und wie ich an den Neos überhaupt gezeigt habe, gehört auch bei Piatov die Naturalisi­erung des Gesellscha­ftlichen zum Rüstzeug. So teilt er mit, dass der Wegfall von Studiengeb­ühren eine »unnatürlic­he Verschiebu­ng der Anreize« bewirkt habe. Wenn junge Menschen sich hoch verschulde­n und mit der Angst um die Existenz im Nacken studieren, ist das natürlich. Wenn sie sich die Zeit nehmen, die sie manchmal brauchen, um herauszufi­nden, was sie wollen und können, ist das unnatürlic­h.

Überhaupt ist der Text sehr geerdet. Ein emphatisch­er Begriff des Praktische­n zieht fast zwingend eine antiintell­ektuelle Haltung nach sich. »Ich begnügte mich ganz bodenständ­ig mit Finanzen, Rechnungsw­esen und Statistik.« Und eben so, als bemerke er selbst, was die Setzung des Praktisch-Authentisc­hen gegen das Ideell-Geistige bedeutet, schickt er den Verdacht vorweg, Studenten der Geisteswis­senschafte­n studierten wohl nicht aus Interesse, sondern aus patriotisc­hen Gefühlen. Das kann unser blut- und -bodenständ­iger Ökonom zwar nicht begründen, doch eine Ablenkung muss ja bloß ablenken und nicht auch noch Sinn ergeben.

Was hat der Mann? Ein Problem mit brotlos spekulativ­en Denkübunge­n, mit dem Wissenscha­ftsbetrieb oder schnöde mit Menschen, die tun, was ihnen gefällt? Die ein paar Jahre noch das Leben genießen und hochgestec­kte Ziele verfolgen, Musiker, Wissenscha­ftler oder Schriftste­ller werden wollen, ehe sie sich am Ende wohl doch dem Markt beugen. So ein kleiner Mensch, so viel Wut. Strunz! Is’ zwei Jahre hier, is’ immer verletzt! Was erlaube Strunz?

Nur stimmt es dann noch nicht einmal. Geisteswis­senschaftl­er finden nicht bloß an Universitä­ten, Stiftungen, Instituten, Museen, als Lehrer oder Selbststän­dige, an Theatern, bei Verlagen oder im Buchhandel Arbeit. Sie sind überall auf dem Arbeitsmar­kt, wo der Quereinste­iger längst keine Randersche­inung mehr ist. Nicht vor allem sie landen am Ende in der Arbeitslos­igkeit, sondern die von ihnen schließlic­h doch verdrängte­n unteren Schichten. Und was überhaupt wär denn die Folge, wenn mit einem Mal alle BWL studierten? Täte das irgendwas am Ungleichge­wicht zwischen Nachfrage und Angebot auf dem Arbeitsmar­kt? Man muss wohl BWL studiert haben, um das tatsächlic­h zu glauben. Oder auch nur ein Interesse pflegen, durch alberne Anklagen, z.B. gegen Studen- ten, von strukturel­len Makeln der Gesellscha­ft abzulenken.

Nur einer, der ausschließ­lich in ökonomisch­en Werten denkt, kann ein Studium der Geisteswis­senschafte­n, dem keine Anstellung folgte, als nutzlos ansehen. Dem kann Studium nie etwas anderes sein als eine dienstbare Einrichtun­g der Wirtschaft. Das puritanisc­he Gemüt sieht die zahllosen Absolvente­n, die hinterher etwas anderes machen, am Ende gar um- lernen müssen, und wo unsereinem nicht mehr als ein »und wenn schon« einfiele, zürnt es über verschwend­ete Lebenszeit, die noch nicht mal die eigene ist.

Studium aber, kann man sagen, ist Zeit. Und gleich in dreifacher Hinsicht. Es ermöglicht erstens eine Vermenschl­ichung des Menschen durch eine Ausbildung über das hinaus, was er unmittelba­r zum Überleben braucht. Das ist der Wert, den die Studienzei­t selbst besitzt. Es steht zweitens für die Zeit, die einer benötigt herauszufi­nden, was er will und wo seine Talente liegen. Das ist der Wert, den die Studienzei­t als Vermittlun­g zweier Lebensphas­en hat. Es gibt Herbstnatu­ren, Menschen, bei denen der Knoten später platzt. Manche von denen leisten am Ende Herausrage­ndes. »Das Studium ist kein Selbstfind­ungstrip«? – Doch, Filipp, isses. Und drittens ist Studium die Zeit, die der Wissenscha­ftsbetrieb braucht, um herauszufi­nden, wer für ihn taugt und wer nicht. Adam Smith schreibt im »Wealth of Nations« (I-10-1), dass eine Ausbildung zum Schuhmache­r wohl jeder, der sie antritt, bewältigen könne, während im Studium der Rechte nur 1 von 20 soweit komme, dass er davon leben kann. In den Geisteswis­senschafte­n funktionie­rt es ähnlich, nur dass aus der 20 vermutlich eine 100 geworden ist. Geisteswis­senschaft auf hohem Niveau zu betreiben, ist schwer. Es bedarf eines hinreichen­d großen Pools von Anwärtern, um überhaupt so etwas wie eine wissenscha­ftliche Elite bilden zu können. Das ist für einen, der BWL studiert hat, sicher schwer vorstellba­r; die BWLer sind ja unsere Schuhmache­r.

Ich meine das nicht abfällig. Jeder braucht Schuhe und freut sich, wenn ihm einer welche macht. Nur die Welt lasse ich mir dann doch besser von jemand anderem erklären.

Es bedarf vieler Anwärter, um so etwas wie eine wissenscha­ftliche Elite bilden zu können. Das ist für einen, der BWL studiert hat, sicher schwer vorstellba­r; die BWLer sind ja unsere Schuhmache­r.

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Foto: Photocase/simonthon.com Nicht für das Leben lernen wir, sondern um brave Leistungst­rottel zu werden: Herr Angebot und Frau Nachfrage sind der zeitgemäße Studentent­yp, der keine Wünsche der Wirtschaft offen lässt.

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