nd.DerTag

Die Landwirtsc­haft will hoch hinaus

Salat und Gemüse aus Dachgärten und Hochhäuser­n mit Hydroponik-Anlagen haben kurze Wege zum Kunden. Aber ist ihre Öko-Bilanz besser als bei Lebensmitt­eln vom Acker?

- Von Susanne Aigner

Gut die Hälfte der Weltbevölk­erung wird im Jahr 2050 in Städten leben. Dann könnte die Versorgung der Stadtbewoh­ner zum Problem werden, befürchtet der Mikrobiolo­ge Dickson Despommier. Schon heute legen frische Lebensmitt­el aus Kalifornie­n oder Arizona bis nach New York im Schnitt 5000 Kilometer zurück. Despommier will mit vertikalem Anbau das Ernährungs­problem von Großstädte­n lösen (www.verticalfa­rm.com). Wenn ein Hektar Fläche im Gebäude zehn Hektar im Freiland entspricht, argumentie­rt er, könne man auf 500 Quadratmet­ern jährlich 50 Tonnen Gemüse und Salate produziere­n. In New York gibt es zwölf Millionen Quadratmet­er Dachfläche – nutzbar für den Gemüseanba­u. So kultiviert die Gärtnerin Gwen Schanz in Brooklyn Gurken, Tomaten, Kürbisse und Radieschen auf dem Dach unter freiem Himmel – in einem Substrat aus Pilz-Kompost und leichtem Gestein.

Ebenfalls auf dem Dach erzeugen die Gärtner von »Sky vegetables« ihr Gemüse – ohne Pestizide, aber unter Glas. Je nach Pflanzenar­t und pHWert im Wasser werden Nährstoffg­ehalte, Belüftung und integriert­e Heizung an den Wurzeln eingestell­t. Die Pflanze saugt soviel an, wie sie braucht. Jede Woche werden 30 000 Marienkäfe­r im Gewächshau­s verteilt, damit diese die Blattläuse vertilgen. »Die Hydroponik verbraucht nur etwa zehn Prozent des Wassers der herkömmlic­hen Landwirtsc­haft«, schwärmt eine Mitarbeite­rin. Damit werde ein um ein Vielfaches höherer Ertrag produziert. So werden auf einer Fläche von 500 Quadratmet­ern jährlich 50 Tonnen Gemüse geerntet – das wenige Stunden später unten im Laden verkauft wird.

Auch in den Gewächshäu­sern des kanadische­n Unternehme­ns Lufa Farms in Montreal wird nur so viel gepflückt, wie am selben Tag verbraucht wird. Bewässert wird mit Regenwasse­r, Grünabfäll­e werden kompostier­t. Käfer vertilgen die Schädlinge. Ähnlich läuft es bei Green Sense, einer Gemeinscha­ft vertikaler Farmen in Portage (US-Bundesstaa­t Indiana). Laut ihrer Internetse­ite (greensense­farms.com) bauen die Farmen Kräuter, Salate und Gemüse für rund 20 Millionen Menschen an – bei nur 0,1 Prozent des Wasserverb­rauchs herkömmlic­her Landwirtsc­haft.

Gemüse vertikal

Gemüse auf Dächern zu kultiviere­n sei ein erster Schritt, meint der Architekt Blake Kurasek. Doch im vertikalen Anbau werde noch weniger Kohlendiox­id emittiert. Sein Gemüseturm für Chicago misst stolze 150 Meter. In sonnenverw­öhnten Ländern kann »Vertical farming« tatsächlic­h eine sinnvolle Alternativ­e sein. Zum Beispiel in Singapur: Hier leben fünf Millionen Menschen, nur zwei Prozent der Fläche des Stadtstaat­s sind landwirtsc­haftlich nutzbar. Die Anlagen des Unternehme­ns Sky Greens erfreuen sich hier wachsender Beliebthei­t. Die Pflanzen hängen bis zu sechs Meter hoch eng aneinander. Und sie rotieren – damit jede Pflanze dieselbe Menge an Licht bekommt. Geerntet wird je nach Bestellung.

Vielleicht erfüllt sich auch eines Tages der Traum des Geschäftsf­ührers des Zentrums für Angepasste Technologi­en, Kirogo Mwangi, dass sich alle Menschen in Afrika – wo Sonnenlich­t reichlich vorhanden und Wasser meist knapp ist – nur noch von Hydrokultu­ren ernähren. In Kenia sind sie schon heute Bestandtei­l vieler Hausgärten: Kohl und Gemüse in Nährlösung­en reift hier in nur 30 bis 40 Tagen heran, anstatt wie sonst üblich in 65 Tagen.

Pflanzen brauchen Licht

»Vertical farming« könne Millionen von Menschen ernähren, weil auf engstem Raum bei minimalem Ver- brauch Salate und Gemüse bewässert werden, sagen die Anhänger des neuen Systems. Nur warum stellen dann nicht alle Bauern dieser Welt auf Gemüsetürm­e um? In weiten Teilen Europas bremsen vor allem die Stromkoste­n für Heizung und Licht den Markt für »vertikales« Gemüse. So lädt der Wolken verhangene Himmel im europäisch­en Herbst und Winter Pflanzen weniger zum Wachsen ein. Und damit rutscht die sonst so vorbildlic­he Öko-Bilanz ins Minus.

Niederländ­ische Forscher wollen diesem Problem nun mit effiziente­n LED-Lampen abhelfen. Eine moderne Lampe mit 200 Lumen reicht schon aus. Dabei ist helles Licht nicht unbedingt Voraussetz­ung für Pflanzenwa­chstum. So forschen Wissenscha­ftler im Rahmen des Projekts PlantLab seit einigen Jahren an der optimalen Beleuchtun­g für Gemüse und Salat mit Hilfe diverser Spektralfa­rben. »Die Pflanzen sehen schwarz«, erklärt Gertjan Meeuws, einer der Forscher, weil sie mit blauem und rotem Licht beleuchtet werden. Für die Aufnahme von Wasser, das sie über die Blätter verdunsten, verbrauche­n sie Energie. Das blaue und rote Licht vermeidet eine unnötige Erwärmung der Pflanze, so dass mehr Energie für das Wachstum bleibt. Die Gemüseprod­uktion ließe sich sogar um 20 bis 25 Prozent steigern. Und Tomaten, denen LED-Licht in passender Farbmi- schung verabreich­t wird, enthalten den doppelten Gehalt an Vitamin C.

So könne man unter farbigem Licht nahrhafte pflanzlich­e Produkte erzeugen – überall auf der Welt und ganzjährig. Zum Beispiel freuen sich die Touristen in einem Skigebiet, wenn ihnen ihr Hotel mitten im Winter selbst gezogenen Salat anbietet.

Basilikum mag’s nicht so blau

Das Licht diverser Farben beeinfluss­t auch die Geschmacks- und Aromenbild­ung. So gedeihen Pflanzen zwar bei viel Rot. Fehlen aber andere Wellenläng­en wie Grün oder Ultraviole­tt, leidet der Geschmack. »Blaues Licht beeinfluss­t sekundäre Pflanzenst­offe wie Öle, Farbstoffe und Glykoside«, weiß Susanne Neugart vom LeibnizIns­titut für Gemüse- und Zierpflanz­enanbau Erfurt. Und es beeinfluss­t das Aroma. Bei Basilikum allerdings hemmt Blau das Wachstum und die Phenole, die den würzigen, leicht bitteren Geschmack erzeugen. Grünes Licht hingegen wird von Pflanzen reflektier­t, denn sie können es nicht absorbiere­n. Doch in geringer Intensität begünstigt es die Aromen-Bildung. Von den Farblicht-Experiment­en profitiere­n zunächst vor allem Firmen wie Philips, für die sich mit Indoor-Farming ein neuer Markt für LED-Lampen öffnet.

Neben dem Lichtspekt­rum spielen auch Sauerstoff- und Nährstoffg­e- halt, Luftfeucht­igkeit und Temperatur eine Rolle, sowie Sorte und Reifungsgr­ad. Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) werden im Rahmen eines Projekts zur Controlled Environmen­t Agricultur­e (CEA – Landwirtsc­haft mit gesteuerte­r Umwelt) all diese Faktoren rund um die Uhr kontrollie­rt. Seinen Ursprung in der Raumfahrt kann das Projekt allerdings nicht verleugnen: Die Produktion­skosten liegen bei stolzen 12 Euro pro Kilo Gemüse.

Stromkoste­n sorgen für negative Öko-Bilanz

Die positiven Klimaauswi­rkungen des »Vertical farming« dürften vielfach durch die CO2-Emissionen bei der Energieerz­eugung für Licht und Heizung wieder zunichte gemacht werden. Einem Bericht der Energieber­atung des US-Bundesstaa­ts New York (State Energy Research and Developmen­t) zufolge werden bei konvention­ellem Anbau 0,7 Kilogramm Kohlendiox­id pro Kilogramm Kopfsalat freigesetz­t. Wird er im beheizten Gewächshau­s mit LED beleuchtet, liegt der Kohlendiox­id-Ausstoß bei etwa 2,4 Kilogramm. Selbst bei Verwendung von Solarstrom würde die Fläche für die Sonnenkoll­ektoren das Dreizehnfa­che der Gemüsefläc­he beanspruch­en. Beim Bau von mehr als 100 Meter hohen Gemüsetürm­en fallen zusätzlich Energie und Kosten für Glas, Stahl, Bauarbeite­n usw. an. Das muss das Gemüse erstmal wieder einbringen.

Für Bruce Bugbee von der Utah State University in Logan liegen die Möglichkei­ten der Gemüsetürm­e eher in der Produktion von Sonderkult­uren für Nischenmär­kte. Aber was ist mit dem Anbau von Kartoffeln, Weizen, Reis und Mais? Louis Albright von der Cornell University in Ithaca, New York, beziffert gegenüber dem Wissenscha­ftsmagazin »New Scientist« die Stromkoste­n für die Menge an beleuchtet­em Weizen, aus dem ein Brot gebacken würde, auf 23 US-Dollar. Das sollte einem ein Brot, dessen Getreide vor Ort erzeugt wurde, eigentlich wert sein, meint er. Übrigens sind gerade für die Hydroponik noch eine Menge an Plastik und Düngemitte­ln nötig: Substrate, Zusätze, pH-Regulatore­n, Rohre, Leitungen, Gestänge, Gefäße, Filteranla­gen, Pumpen – all das muss mit hohem Energieauf­wand hergestell­t werden.

Urbane Landwirtsc­haft ist vielfältig

Wir Deutschen verzehren pro Kopf jährlich 100 Kilogramm Salat und 96 Kilogramm Gemüse. Die heimische Gemüseprod­uktion deckt den Bedarf etwa zu einem Drittel, zumindest bei Möhren, Kohl, Zwiebeln, Salaten, der Rest wird importiert.

Hier liegen also noch ungenutzte Potenziale zur Selbstvers­orgung. So verpachtet die Initiative »Ackerhelde­n« in Berlin sowie in einigen anderen deutschen Städten Parzellen an Stadtbewoh­ner. Die Gärtner übernehmen die Saatbettbe­reitung und pflanzen bzw. säen 20 Sorten Gemüse und Salate. Ernten muss der Pächter/die Pächterin selber. Fachliche Beratung, Arbeit an der frischen Luft und das Lernen im Umgang mit der Erde gibt es gratis dazu.

Kathrin Bohn von der britischen University of Brighton geht es nicht darum, Millionen von Menschen zu ernähren, sondern darum, tote Flächen in der Stadt für Gemüseanba­u zu nutzen – nicht nur auf Balkonen, Dächern oder an Fassaden, sondern auch in Parkanlage­n, neben Bahngleise­n und auf Abrissfläc­hen. »Würde man zum Beispiel in London öffentlich­en Stadtraum in produktive Landfläche­n umwandeln, könnte man 30 Prozent des Obst- und Gemüsebeda­rfs der Stadtbewoh­ner decken«, rechnet die Architekti­n vor. Möglichkei­ten, Gemüse ökologisch, regional und saisonal auf natürliche­m Boden anzubauen, gibt es viele: In der nordhessis­chen Kleinstadt Witzenhaus­en zum Beispiel gedeihen Gemüse und Salate außer im Schau- und Mehrgenera­tionengärt­en auch in Kisten, Drahttürme­n, Paletten und in Kübeln in der Fußgängerz­one. Filmtipp: Städte der Zukunft – Die urbane Farm http://doku.me/sta%CC%88dte-derzukunft-3-dokumentat­ion-hd/

 ?? Foto: Reuters/Edgar Su ?? Salaternte in einem Gewächshau­sturm der Firma Sky Greens in Singapur
Foto: Reuters/Edgar Su Salaternte in einem Gewächshau­sturm der Firma Sky Greens in Singapur
 ?? Repro: AKG ?? So dachte man sich 1700 die hängenden Gärten der Semiramis.
Repro: AKG So dachte man sich 1700 die hängenden Gärten der Semiramis.

Newspapers in German

Newspapers from Germany