Die Landwirtschaft will hoch hinaus
Salat und Gemüse aus Dachgärten und Hochhäusern mit Hydroponik-Anlagen haben kurze Wege zum Kunden. Aber ist ihre Öko-Bilanz besser als bei Lebensmitteln vom Acker?
Gut die Hälfte der Weltbevölkerung wird im Jahr 2050 in Städten leben. Dann könnte die Versorgung der Stadtbewohner zum Problem werden, befürchtet der Mikrobiologe Dickson Despommier. Schon heute legen frische Lebensmittel aus Kalifornien oder Arizona bis nach New York im Schnitt 5000 Kilometer zurück. Despommier will mit vertikalem Anbau das Ernährungsproblem von Großstädten lösen (www.verticalfarm.com). Wenn ein Hektar Fläche im Gebäude zehn Hektar im Freiland entspricht, argumentiert er, könne man auf 500 Quadratmetern jährlich 50 Tonnen Gemüse und Salate produzieren. In New York gibt es zwölf Millionen Quadratmeter Dachfläche – nutzbar für den Gemüseanbau. So kultiviert die Gärtnerin Gwen Schanz in Brooklyn Gurken, Tomaten, Kürbisse und Radieschen auf dem Dach unter freiem Himmel – in einem Substrat aus Pilz-Kompost und leichtem Gestein.
Ebenfalls auf dem Dach erzeugen die Gärtner von »Sky vegetables« ihr Gemüse – ohne Pestizide, aber unter Glas. Je nach Pflanzenart und pHWert im Wasser werden Nährstoffgehalte, Belüftung und integrierte Heizung an den Wurzeln eingestellt. Die Pflanze saugt soviel an, wie sie braucht. Jede Woche werden 30 000 Marienkäfer im Gewächshaus verteilt, damit diese die Blattläuse vertilgen. »Die Hydroponik verbraucht nur etwa zehn Prozent des Wassers der herkömmlichen Landwirtschaft«, schwärmt eine Mitarbeiterin. Damit werde ein um ein Vielfaches höherer Ertrag produziert. So werden auf einer Fläche von 500 Quadratmetern jährlich 50 Tonnen Gemüse geerntet – das wenige Stunden später unten im Laden verkauft wird.
Auch in den Gewächshäusern des kanadischen Unternehmens Lufa Farms in Montreal wird nur so viel gepflückt, wie am selben Tag verbraucht wird. Bewässert wird mit Regenwasser, Grünabfälle werden kompostiert. Käfer vertilgen die Schädlinge. Ähnlich läuft es bei Green Sense, einer Gemeinschaft vertikaler Farmen in Portage (US-Bundesstaat Indiana). Laut ihrer Internetseite (greensensefarms.com) bauen die Farmen Kräuter, Salate und Gemüse für rund 20 Millionen Menschen an – bei nur 0,1 Prozent des Wasserverbrauchs herkömmlicher Landwirtschaft.
Gemüse vertikal
Gemüse auf Dächern zu kultivieren sei ein erster Schritt, meint der Architekt Blake Kurasek. Doch im vertikalen Anbau werde noch weniger Kohlendioxid emittiert. Sein Gemüseturm für Chicago misst stolze 150 Meter. In sonnenverwöhnten Ländern kann »Vertical farming« tatsächlich eine sinnvolle Alternative sein. Zum Beispiel in Singapur: Hier leben fünf Millionen Menschen, nur zwei Prozent der Fläche des Stadtstaats sind landwirtschaftlich nutzbar. Die Anlagen des Unternehmens Sky Greens erfreuen sich hier wachsender Beliebtheit. Die Pflanzen hängen bis zu sechs Meter hoch eng aneinander. Und sie rotieren – damit jede Pflanze dieselbe Menge an Licht bekommt. Geerntet wird je nach Bestellung.
Vielleicht erfüllt sich auch eines Tages der Traum des Geschäftsführers des Zentrums für Angepasste Technologien, Kirogo Mwangi, dass sich alle Menschen in Afrika – wo Sonnenlicht reichlich vorhanden und Wasser meist knapp ist – nur noch von Hydrokulturen ernähren. In Kenia sind sie schon heute Bestandteil vieler Hausgärten: Kohl und Gemüse in Nährlösungen reift hier in nur 30 bis 40 Tagen heran, anstatt wie sonst üblich in 65 Tagen.
Pflanzen brauchen Licht
»Vertical farming« könne Millionen von Menschen ernähren, weil auf engstem Raum bei minimalem Ver- brauch Salate und Gemüse bewässert werden, sagen die Anhänger des neuen Systems. Nur warum stellen dann nicht alle Bauern dieser Welt auf Gemüsetürme um? In weiten Teilen Europas bremsen vor allem die Stromkosten für Heizung und Licht den Markt für »vertikales« Gemüse. So lädt der Wolken verhangene Himmel im europäischen Herbst und Winter Pflanzen weniger zum Wachsen ein. Und damit rutscht die sonst so vorbildliche Öko-Bilanz ins Minus.
Niederländische Forscher wollen diesem Problem nun mit effizienten LED-Lampen abhelfen. Eine moderne Lampe mit 200 Lumen reicht schon aus. Dabei ist helles Licht nicht unbedingt Voraussetzung für Pflanzenwachstum. So forschen Wissenschaftler im Rahmen des Projekts PlantLab seit einigen Jahren an der optimalen Beleuchtung für Gemüse und Salat mit Hilfe diverser Spektralfarben. »Die Pflanzen sehen schwarz«, erklärt Gertjan Meeuws, einer der Forscher, weil sie mit blauem und rotem Licht beleuchtet werden. Für die Aufnahme von Wasser, das sie über die Blätter verdunsten, verbrauchen sie Energie. Das blaue und rote Licht vermeidet eine unnötige Erwärmung der Pflanze, so dass mehr Energie für das Wachstum bleibt. Die Gemüseproduktion ließe sich sogar um 20 bis 25 Prozent steigern. Und Tomaten, denen LED-Licht in passender Farbmi- schung verabreicht wird, enthalten den doppelten Gehalt an Vitamin C.
So könne man unter farbigem Licht nahrhafte pflanzliche Produkte erzeugen – überall auf der Welt und ganzjährig. Zum Beispiel freuen sich die Touristen in einem Skigebiet, wenn ihnen ihr Hotel mitten im Winter selbst gezogenen Salat anbietet.
Basilikum mag’s nicht so blau
Das Licht diverser Farben beeinflusst auch die Geschmacks- und Aromenbildung. So gedeihen Pflanzen zwar bei viel Rot. Fehlen aber andere Wellenlängen wie Grün oder Ultraviolett, leidet der Geschmack. »Blaues Licht beeinflusst sekundäre Pflanzenstoffe wie Öle, Farbstoffe und Glykoside«, weiß Susanne Neugart vom LeibnizInstitut für Gemüse- und Zierpflanzenanbau Erfurt. Und es beeinflusst das Aroma. Bei Basilikum allerdings hemmt Blau das Wachstum und die Phenole, die den würzigen, leicht bitteren Geschmack erzeugen. Grünes Licht hingegen wird von Pflanzen reflektiert, denn sie können es nicht absorbieren. Doch in geringer Intensität begünstigt es die Aromen-Bildung. Von den Farblicht-Experimenten profitieren zunächst vor allem Firmen wie Philips, für die sich mit Indoor-Farming ein neuer Markt für LED-Lampen öffnet.
Neben dem Lichtspektrum spielen auch Sauerstoff- und Nährstoffge- halt, Luftfeuchtigkeit und Temperatur eine Rolle, sowie Sorte und Reifungsgrad. Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) werden im Rahmen eines Projekts zur Controlled Environment Agriculture (CEA – Landwirtschaft mit gesteuerter Umwelt) all diese Faktoren rund um die Uhr kontrolliert. Seinen Ursprung in der Raumfahrt kann das Projekt allerdings nicht verleugnen: Die Produktionskosten liegen bei stolzen 12 Euro pro Kilo Gemüse.
Stromkosten sorgen für negative Öko-Bilanz
Die positiven Klimaauswirkungen des »Vertical farming« dürften vielfach durch die CO2-Emissionen bei der Energieerzeugung für Licht und Heizung wieder zunichte gemacht werden. Einem Bericht der Energieberatung des US-Bundesstaats New York (State Energy Research and Development) zufolge werden bei konventionellem Anbau 0,7 Kilogramm Kohlendioxid pro Kilogramm Kopfsalat freigesetzt. Wird er im beheizten Gewächshaus mit LED beleuchtet, liegt der Kohlendioxid-Ausstoß bei etwa 2,4 Kilogramm. Selbst bei Verwendung von Solarstrom würde die Fläche für die Sonnenkollektoren das Dreizehnfache der Gemüsefläche beanspruchen. Beim Bau von mehr als 100 Meter hohen Gemüsetürmen fallen zusätzlich Energie und Kosten für Glas, Stahl, Bauarbeiten usw. an. Das muss das Gemüse erstmal wieder einbringen.
Für Bruce Bugbee von der Utah State University in Logan liegen die Möglichkeiten der Gemüsetürme eher in der Produktion von Sonderkulturen für Nischenmärkte. Aber was ist mit dem Anbau von Kartoffeln, Weizen, Reis und Mais? Louis Albright von der Cornell University in Ithaca, New York, beziffert gegenüber dem Wissenschaftsmagazin »New Scientist« die Stromkosten für die Menge an beleuchtetem Weizen, aus dem ein Brot gebacken würde, auf 23 US-Dollar. Das sollte einem ein Brot, dessen Getreide vor Ort erzeugt wurde, eigentlich wert sein, meint er. Übrigens sind gerade für die Hydroponik noch eine Menge an Plastik und Düngemitteln nötig: Substrate, Zusätze, pH-Regulatoren, Rohre, Leitungen, Gestänge, Gefäße, Filteranlagen, Pumpen – all das muss mit hohem Energieaufwand hergestellt werden.
Urbane Landwirtschaft ist vielfältig
Wir Deutschen verzehren pro Kopf jährlich 100 Kilogramm Salat und 96 Kilogramm Gemüse. Die heimische Gemüseproduktion deckt den Bedarf etwa zu einem Drittel, zumindest bei Möhren, Kohl, Zwiebeln, Salaten, der Rest wird importiert.
Hier liegen also noch ungenutzte Potenziale zur Selbstversorgung. So verpachtet die Initiative »Ackerhelden« in Berlin sowie in einigen anderen deutschen Städten Parzellen an Stadtbewohner. Die Gärtner übernehmen die Saatbettbereitung und pflanzen bzw. säen 20 Sorten Gemüse und Salate. Ernten muss der Pächter/die Pächterin selber. Fachliche Beratung, Arbeit an der frischen Luft und das Lernen im Umgang mit der Erde gibt es gratis dazu.
Kathrin Bohn von der britischen University of Brighton geht es nicht darum, Millionen von Menschen zu ernähren, sondern darum, tote Flächen in der Stadt für Gemüseanbau zu nutzen – nicht nur auf Balkonen, Dächern oder an Fassaden, sondern auch in Parkanlagen, neben Bahngleisen und auf Abrissflächen. »Würde man zum Beispiel in London öffentlichen Stadtraum in produktive Landflächen umwandeln, könnte man 30 Prozent des Obst- und Gemüsebedarfs der Stadtbewohner decken«, rechnet die Architektin vor. Möglichkeiten, Gemüse ökologisch, regional und saisonal auf natürlichem Boden anzubauen, gibt es viele: In der nordhessischen Kleinstadt Witzenhausen zum Beispiel gedeihen Gemüse und Salate außer im Schau- und Mehrgenerationengärten auch in Kisten, Drahttürmen, Paletten und in Kübeln in der Fußgängerzone. Filmtipp: Städte der Zukunft – Die urbane Farm http://doku.me/sta%CC%88dte-derzukunft-3-dokumentation-hd/