Alles andere als unorthodox
Konfession ist in Russland identitätsstiftend
Die Russisch-Orthodoxe Kirche vereinigt den überwiegenden Teil der orthodox Gläubigen und stellt somit die bedeutendste Religionsgemeinschaft in Russland dar. Allerdings schwanken die Zahlenangaben gewaltig. Zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich in Umfragen als orthodox gläubig. Das Meinungsforschungsinstitut VCIOM kam in einer Umfrage von 2010 zu dem Schluss, dass sich zwar 75 Prozent der Befragten als orthodox bezeichnen, aber nur knapp die Hälfte war mit den Inhalten der Bibel vertraut. Oftmals erfolgt eine positive Antwort ohne genaue Kenntnisse über die Orthodoxie. Gehen die Fragen ins Detail, fallen die Zahlen deutlich geringer aus.
Orthodoxer Glauben, Kultur und nationale Identität werden von vielen Menschen als identisch gesehen. Das Lewada-Zentrum konstatierte 2012 anhand von Ergebnissen einer Langzeitstudie, dass 60 Prozent der Orthodoxen sich nicht im strengen Sinne als religiös bezeichnen. Lediglich 40 Pro-zent glauben an die Existenz Gottes. In Russland ist der Kirchgang die Ausnahme. Am orthodoxen Weihnachtsfest Anfang Januar besuchten dieses Jahr 2,6 Millionen Menschen (von 144 Millionen Einwohnern) den Gottesdienst.
Das gering ausgeprägte Interesse am kirchlichen Leben führt die Kirchenleitung etwa auf die zu geringe Zahl an Kirchengebäuden zurück. Seit fünf Jahren existiert in Moskau ein Programm unter dem Motto »200 Gotteshäuser«. 38 laufende Bauvorhaben sind auf der Internetseite der im Jahr 2010 mit dem Segen des russischen Patriarchen Kyrill ins Leben gerufenen Stiftung angeführt, die für die Mittelakquise zuständig ist. Auch die Stadt Moskau beteiligt sich an dem Programm. 17 Kirchenbauten wurden bereits fertiggestellt.
Vielerorts riefen die Vorhaben Protest hervor, da oftmals Parks, öffentliche Plätze oder Hinterhöfe als Baugelände herhalten müssen. Laut Plan soll jeder Bewohner Moskaus eine Kirche zu Fuß erreichen können, in maximal einem Kilometer Entfernung. Vor Beginn der Bauinitiative existierten in Russlands Hauptstadt 894 Kirchen. Um den landesweiten Durchschnitt von einer Kirche pro 11 200 Personen zu erreichen, müssten weitere 591 Kirchengebäude entstehen.
2013 wurde schließlich die orthodoxe Bewegung »Vierzig mal Vierzig« ins Leben gerufen, deren Name sich auf die angeblich vor der Revolution in Moskau befindliche Anzahl an Kirchengebäuden bezieht. In den zwei Jahren ihrer Existenz wurde die Bewegung etliche Male von der Stadt Moskau und der Orthodoxen Kirche ausgezeichnet. Sie selbst spricht von 10 000 Mitgliedern, tatsächlich dürfte sich die Zahl im unteren dreistelligen Bereich bewegen.