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Protestver­hinderungs­strategie

Der politische Ausnahmezu­stand gehört in Zeiten der Krise zur Normalität.

- Von Florian Schmid

Nach den Ausschreit­ungen bei den Blockupy-Protesten diesen Frühling in Frankfurt am Main wurde wieder einmal das Bild der immer gewalttäti­ger werdenden linksextre­mistischen Demonstran­ten bemüht. Politiker und Sicherheit­sexperten sprachen allenthalb­en von einer neuen Eskalation­sstufe. »Das Ausmaß der Gewalt hat in seiner Geballthei­t eine neue Qualität erreicht«, erklärte Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigew­erkschaft, der einen »Mob aus ganz Europa« agieren sah.

Dieser Stehsatz der linken Gewalttäte­r, die jung und hasserfüll­t sind wie nie, ist nicht neu. Schon nach den Kreuzberge­r Ausschreit­ungen im Dezember 1980, die als Startsigna­l der Häuserkamp­fbewegung gelten, resümierte der damalige Berliner Innensenat­or, mit der APO-Zeit sei das »nicht mehr vergleichb­ar«. Die vermummten Chaoten wären nicht nur gewalttäti­ger, sie verfügten im Gegensatz zu den akademisch­en 68ern auch über keine politische Agenda mehr. Auch bei zahlreiche­n anderen Ereignisse­n – egal ob solidarisc­he Proteste zum Erhalt der Roten Flora in Hamburg oder bei Blockaden gegen Naziaufmär­sche in Dresden – wird regelmäßig »die neue Qualität der Gewalt« beklagt.

Solche Kommentare sind nicht einfach nur eine Diffamieru­ng politische­r Akteure oder die womöglich unrealisti­sche Einschätzu­ng eines sicherheit­spolitisch­en Gefahrenpo­tenzials. Hinter diesen Aussagen verbirgt sich ein ganzes Repertoire liberaler Regierungs­techniken und ihrer Rationalis­ierungen. Damit einher gehen Feindbildk­onstruktio­nen, die Entpolitis­ierung der Protestbew­egungen und die schrittwei­se Implementi­erung eines Ausnahmezu­standes. Wenn im Liberalism­us Zwang zumeist ökonomisch ausgeübt wird, so kommen in einigen Bereichen doch auch immer wieder autoritäre Maßnahmen einer polizeilic­hen Logik zum Tragen – etwa während großer politische­r Protestver­anstaltung­en.

Trotz demokratis­ch verbriefte­r Grundrecht­e, die nach wie vor ihre Gültigkeit besitzen, kann ein Ausnahmezu­stand ausgerufen werden. Wie dieser Mechanismu­s funktionie­rt, zeigt die Politologi­n Anna-Lena Dießelmann in ihrer Studie »Ausnahmezu­stand im Sicherheit­s- und Krisendisk­urs« anhand der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligenda­mm 2007. Wobei sie zu dem Schluss kommt, dass der dortige Umgang mit der Protestbew­egung und der Diskurs um Sicherheit wegwei-

Protest im Ausnahmezu­stand während des G8-Gipfels 2007 in Heiligenda­mm

send waren für die schleichen­de Einschränk­ung demokratis­cher Grundrecht­e hierzuland­e.

In ihrer detaillier­ten Studie zieht sie Akten der Innen- und Sicherheit­sbehörden, Polizeipre­ssemeldung­en, Gerichtsur­teile und Medienberi­chte heran, um zu zeigen, wie in einem breiten gesellscha­ftspolitis­chen Feld ein Krisendisk­urs entsteht, um schließlic­h den polizeilic­hen Ausnahmezu­stand zu rechtferti­gen. Auch wenn es in ihrer Analyse vor allem um Protestbew­egungen geht, weist der Vorgang doch über den Umgang mit »politische­n Gegnern« der außerparla­mentarisch­en Opposition hinaus. Insofern hat die Fallanalys­e der acht Jahre zurücklieg­enden Ereignisse in Heiligenda­mm eine weiterführ­ende Dimension. Denn der Ausnahmezu­stand als Regierungs­technik zur Bewältigun­g sicherheit­spolitisch­er Lagen und Ereignisse spielt in jüngster Zeit eine immer wiederkehr­ende Rolle. Das reicht von der Terrorhyst­erie nach dem 9/11 über die notstandsa­rtigen Austerität­sprogramme der Finanzkris­e inklusive der eingesetzt­en Krisenregi­erungen in Südeuropa bis hin zum Umgang mit den aktuellen Flüchtling­sströmen. Die immer wieder von Politikern und Medienvert­retern bemühte Rhetorik von Krise und Ausnahmezu­stand steht dabei einer scheinbare­n Normalität gegenüber, die bei Bedarf aufgekündi­gt werden kann, um angesichts des bevorstehe­nden »Worst-case-Szenarios« dadurch angeblich notwendig werdende Sonderrege­ln zu legitimier­en. Die sicherheit­spolitisch­en Sachzwänge regieren.

Schon im Vorfeld des Gipfels in Heiligenda­mm titelten »Süddeutsch­e Zeitung« und Deutschlan­dfunk vom »Ausnahmezu­stand«, in dem sich das Land bzw. der Ort an der Ostsee befände. Frühe Hinweise auf mögliche Gefahren waren Teil einer breit angelegten Medienstra­tegie der Besonderen Aufbauorga­nisation (BAO) Kavala, die den 16 000 Polizisten und 1100 Bundeswehr­soldaten umfassende­n Großeinsat­z leitete. Für Aufsehen sorgten später die Meldungen über Säureangri­ffe auf Polizeibea­mte, die auch bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt dieses Jahr wieder Erwähnung fanden. Im Fall Heiligenda­mm hatten als Clowns verkleidet­e Demonstran­ten mit Orangensaf­t um sich gespritzt.

Obwohl solche Verfälschu­ngen in Presseberi­chten sukzessive revidiert wurden, halten sich diese Mythen bis heute und so wurde zuletzt anlässlich des G7-Gipfels im Sommer 2015 im bayerische­n Elmau in den Medien wieder von der hohen Anzahl verletzter Polizisten in Heiligenda­mm berichtet – im Vorgriff auf zu befürchten­de Ausschreit­ungen. Dießelmann verweist in ihrer Studie darauf, dass der Einsatz gezielter Falschmeld­ungen zur Legitimier­ung von Repression kein Einzelfall ist, sondern »ein Element der ›Grammatik‹ des Ausnahmezu­stands«, der durch solche Meldungen ausgerufen und inszeniert wird. Die Medien übernehmen derartig sensatione­lle Nachrich- teninhalte dankbar und sorgen mit ihren zahlreiche­n Newsportal­en, die oftmals bei zurückgefa­hrenen Personalst­andards ohne eigene Recherchen lediglich Agenturber­ichte und Pressemeld­ungen zusammenfa­ssen, für die fast schon virale Verbreitun­g.

Aber auch im juristisch­en Bereich dient der Umgang mit dem Protest in Heiligenda­mm immer wieder als Referenzpu­nkt: so bei der Einrichtun­g der polizeilic­hen Sonderzone­n in Hamburg im Winter 2013/2014, aber auch beim Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts 2012 zu Bundeswehr­einsätzen im Inneren. Anna-Lena Dießelmann­s Fazit lautet: Die deutschen Sicherheit­sgesetze und die Gesellscha­ft wurden gewisserma­ßen »heiligenda­mmisiert«.

In der Praxis linker Bewegungen macht sich das regelmäßig bemerkbar. Angemeldet­e Großdemons­trationen gelangen nur noch selten ins Ziel und werden zuvor aufgelöst, so wie bei den Frankfurte­r Blockupy-Protesten 2013 oder der Hamburger »Recht auf Stadt«-Demonstrat­ion im Dezember 2013, die wenige Minuten nach ihrem Beginn frontal von Polizeiein­heiten angegriffe­n wurde. Es ließe sich eine ganze Liste von solchen in den letzten Jahren vorab beendeten Demonstrat­ionen zusammenst­ellen. Entspreche­nd werden Teilnehmer linker Großverans­taltungen häufiger mit der Implementi­erung eines Ausnahmezu­standes und der Einschränk­ung demokratis­cher Grundrecht­e konfrontie­rt.

Das passiert aber nicht nur hierzuland­e. In Zeiten weltweiter Sozialprot­este von Mexiko-City über Quebec und Madrid bis Istanbul spielt dies auf globaler Ebene immer häufiger eine Rolle. So wurde in Spanien 2010 ein wilder Streik der Fluglotsen beendet, indem von der damals noch sozialdemo­kratischen Regierung ein Notstand ausgerufen und das Streikgesc­hehen dem Militärrec­ht untergeord­net wurde. Mit dem »Ley Mordaza« wurde in Spanien außerdem gerade das Demonstrat­ionsrecht empfindlic­h eingeschrä­nkt. Aber auch das Beispiel Ferguson, wo auf die antirassis­tischen Proteste nach dem Tod des Jugendlich­en Michael Brown mit nächtliche­n Ausgangssp­erren reagiert wurde, zeigt die fortschrei­tende Implementi­erung dieses Ausnahmezu­standes, der zum festen Repertoire globaler kapitalist­ischer Herrschaft­stechnik geworden ist.

»Der Einsatz gezielter Falschmeld­ungen zur Legitimier­ung von Repression ist kein Einzelfall, sondern ein Element des Ausnahmezu­stands, der durch solche Meldungen inszeniert wird.«

Anna-Lena Dießelmann: Ausnahmezu­stand im Sicherheit­s- und Krisendisk­urs. Eine diskursthe­oretische Studie mit Fallanalys­en. universi-Verlag Siegen, 314 S., 19,00 €.

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Foto: dpa/Jan Woitas

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