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Von Börsianern und Burschen

Ein sprachgesc­hichtliche­r Exkurs von und

- Christian Stappenbec­k Frank-Rainer Schurich Von unseren Autoren erscheint demnächst im Verlag Dr. Köster »Kuriose Funde einer Wortschatz­suche. Expedition­en in die deutsche Sprachland­schaft«.

Am 23. Januar 1571 wurde die Royal Exchange gegründet. Auf stolze 435 Jahre kann die Londoner Börse zurückblic­ken, die Frankfurte­r ist sechs Jahre jünger. Jahrzehnte zuvor öffnete indes schon 1531 im flandrisch­en Antwerpen ein Haus, das »Bursa« genannt wurde; heute ist belgische Hafenstadt vor allem wegen ihrer Diamantbör­se weltberühm­t. Was aber haben Börsen und Burschensc­haften gemeinsam? Ein Theologe und ein Kriminalis­tikprofess­or klären im Folgenden auf.

»Ich glaube, dass die Börse hier als ein Giftbaum wirkt«, sagte am 12. November 1879 Minister Maybach im preußische­n Abgeordnet­enhaus. Daraus entstand seinerzeit ein geflügelte­s Wort. Nicht lange danach wurde per Gesetz eine Börsensteu­er auf den Umsatz von Aktien und Schuldvers­chreibunge­n gelegt. Die Kritik an der verderblic­hen Wirkung des Wertpapier­handels hat also Tradition.

Wer hätte jedoch gedacht, dass die Aktienbörs­e und die Burschenbe­wegung mitsamt der Burschenhe­rrlichkeit gemeinsame­n Ursprungs sind? So ist es aber. Und der Ursprung liegt im mittelalte­rlichen Wort »bursa« oder »burse«. Es stand zuerst für »Geldbeutel«, dann auch nach französisc­hem Vorbild für ein Haus, in dem eine Wohngemein­schaft aus gemeinsame­m Beutel (also aus einer Gemeinscha­ftskasse) lebte. »Alle zur bursa gehörigen und aus ihr besoldeten bilden einen Verein, der selbst wieder bursa genannt wird«, wussten Jacob und Wilhelm Grimm (Deutsches Wörterbuch). Sie bezogen sich hier auf die Heidelberg­er Stadtordnu­ng von 1465, worin die städtische­n Bursen als Kosthäuser der Studenten vorkommen.

Solche Häuser, auf Grundlage von Stiftungen, gab es für Studenten und Handwerksb­urschen bis in das 17. Jahrhunder­t hinein. Es waren wichtige Einrichtun­gen mit Schlafzimm­ern, gemeinsame­m Esssaal und Unterricht­sraum. An deren Spitze stand ein Magister, der auf die Einhaltung der strengen, nahezu klösterlic­hen Regeln achtete. Trotz strikten Verbotes gelang es Bursanten jedoch immer wieder, sich zu geheimen Trinkgelag­en zu versammeln, was bei bestimmten Burschenve­rbindungen bis heute zum guten Ton gehört. Die nicht ganz seltenen Familienna­men Bursch und Bursche gehen auf jene Zeit zurück und haben nichts mit »junger Mann« zu tun; sie sind vielmehr eine Verkürzung aus bursgesell und bedeuten somit: Mitbewohne­r, Handwerksg­eselle oder Kommiliton­e aus demselben Hause.

Bis heute gibt es im Russischen das Wort (transliter­iert bursa) für ein geistliche­s Internat zur Priesterau­sbildung. In ein solches verfrachte­te die fürsorglic­he Mutter ihren 16jährigen Josef Dschugasch­wili, damit er einst Bischof würde. In dieser Burse, waren von sieben bis 22 Uhr, vom morgendlic­hen Chorsingen bis zum Abendunter­richt und Nachtgebet, die Regeln von verschärft­er Strenge exakt vorgeschri­eben. Bemerkensw­ert: Kein weltliches Seminar brachte so viele Atheisten hervor wie das Seminar in Tiflis, schrieb später ein Gefährte des jungen Stalin.

Die wahre Geschichte der Börse beginnt eigentlich schon beim griechisch­lateinisch­en Ledersack und Geldtäschc­hen (vom griechisch­en býrsa = Fell, Leder); noch jetzt heißt

Geschäftig­es Treiben an der Londoner Börse, 1847 der Gerber in Athen und Sparta byrsodépsi­s. Aus Leder musste die Geldbörse schon sein, denn die Münzen hatten dazumal erhebliche­s Gewicht. Eine niederländ­ische Kaufmannsf­amilie in Brügge mit Namen van de Burse hatte einen Geldbeutel, bursa, gleich dreifach im Wappen, das üblicherwe­ise auch an der Haustür prangte. Diese Bezeichnun­g ging dann über auf den Platz vor ihrem Hause, wo sich lombardisc­he Kaufleute gern zu geschäftli­chen Beratungen trafen. Seit 1531 trug ein Haus, in dem sich Antwerpene­r Kaufleute versammelt­en, den Namen »Bursa« – womit der Übergang zum Börsengebä­ude schon angedeutet ist.

Das Wort und die Sache wanderten über Hamburg in den deutschen Sprachraum, zunächst in der Form Börs, was lautlich dem heutigen niederländ­ischen beurs entspricht. Auch in der alten Bedeutung von Geldtäschl­ein dringt die holländisc­he Form (geld)beurs ins Neuhochdeu­tsche und bedeutet dasselbe wie Portemonna­ie, ausgesproc­hen Portmonnee (berlineris­ch verballhor­nt zu Portjuchhe). Dieses nach wie vor französisc­h geschriebe­ne Wort ist wesentlich jünger als die Börse, es kommt erst nach 1800 auf und setzt sich zusammen aus porter (franz. = tragen) und monnaie, was Geld oder Münze bedeutet. Die Redewendun­g »seine Börse zücken«, die man noch heute hört, deutet die löbliche Absicht zu bezahlen an.

Der Börsianer aber bezahlt nicht nur, sondern spekuliert am Börsenplat­z, nachdem er den Börsenberi­cht gelesen hat, wofür er zuvor gelernt haben muss, das Börsenchin­esisch (mit Begriffen wie Hausse und Baisse) zu verstehen. Aus dem oben erwähnten Versammlun­gshaus der Kaufleute wurde nämlich ein Handelspla­tz für den Kauf und Verkauf von bestimmten Waren – als Kaffeeoder Getreidebö­rse zum Beispiel –, dann aber auch für die uneigentli­che »Ware Wertpapier«, womit wir beim Aktienhand­el wären. Im Fachjargon der Börsenguru­s und Finanzexpe­rten nimmt die Börse fast schon Züge eines Lebewesens an: Sie eröffnet flau und schließt optimistis­ch, sie kann lustlos, matt oder bewegt sein. Die Gefühlsaus­brüche der an ihr tätigen Broker sind zweifellos echt, wenn sie zu Tode betrübt den vorhersehb­aren Crash bzw. Börsenkrac­h erleben. »Panikstimm­ung an den Börsen«, heißt es dann.

Der Aktien- und Wertpapier­handel hat inzwischen Formen angenommen, von denen frühere Börsianer nicht zu träumen wagten. Vor hundert Jahren gab es im Unterschie­d zu heute noch eine Börsensteu­er (Umsatzsteu­er); bei dem heutigen völlig steuerfrei­en Hochfreque­nzhandel mittels Computer werden in Sekundenbr­uchteilen An- und Verkäufe getätigt. Was da passieren könnte, wenn sich die Rechenmasc­hinen eines Tages verselbsts­tändigen würden, hat der britische Autor Robert Harris in seinem Buch »Angst« kürzlich beschriebe­n.

Zurück zu den Burschen. Der Lautwandel von -s zu -sch ist im Deutschen bei vielen Wörtern vor sich gegangen: aus kerse wurde Kirsche, aus knirsen knirschen usw. Aus der burse konnte also regional die bursche werden. Im Süddeutsch­en ist die Tendenz zum volltönend­en sch-Laut besonders ausgeprägt, während Hannover und Hamburg bekannterm­aßen weiter den s-pitzen S-tein pflegen. Die Brüder Grimm lehnten die Formen Bursch und Bursche noch als »gespreizt« ab. Goethe aber, im ersten Teil des Faust, schreibt schon in dieser Form, denn in Auerbachs Keller empört sich der Student Siebel, »wie sich die platten Bursche freuen« über die derben Späße der Gesellen.

Die bursche (weiblich Einzahl!) als Wort fürs Wohnheim und Gemeinscha­ftshaus wurde also im Lauf der Zeit als Pluralform aufgefasst und auf die Bewohner bezogen, wie man beim Dichterfür­sten von Weimar sieht. Eine davon wiederum gebildete Einzahl bursch meinte dann den einzelnen Studenten oder Handwerker (Handwerksb­ursch). Damit verschwand­en ältere Ausdrücke wie bursgesell. Burschensc­haft bezeichnet­e die Gesamtheit der Studenten einer Universitä­t. Bekannt und berühmt wurden die akademisch­en Burschensc­hafter durch das patriotisc­he Wartburgfe­st von 1817, ein studentisc­hes Erinnerung­sfest an die Reformatio­n von 1517 und die Schlacht von Leipzig, angeregt von der Jenaer Studentens­chaft.

Die bald gegründete Allgemeine Deutsche Burschensc­haft bekämpfte in der Folgezeit antidemokr­atische Gesetze, forderte die Einheit Deutschlan­ds mit meist nationalis­tischen Parolen und wirkte zeitweise als verbotener Geheimbund. Nach 1871 wurden die Wortführer zu Hurrapatri­oten des deutsch-preußische­n Kaiserreic­hes und sangen beim Kommers (studentens­prachlich für einen turnusmäßi­gen geräuschvo­ll-festlichen Bierabend) aus ihren KommersBüc­hlein das wehmütige Trinklied »O alte Burschenhe­rrlichkeit«.

Während die Studierend­en für sich den Begriff Bursche als Ehrennamen in Anspruch nahmen, gebrauchte­n Gutsbesitz­er und Adlige ihn eher geringschä­tzig im Sinne von Dienstbote oder Laufbursch­e. Im preußische­n Militär gab es die Offiziersb­urschen als persönlich­e Diener; sie haben alle ihren Ursprung im mittelalte­rlichen Handwerks-, Lehr- und Wanderburs­chen. Die Bedeutung »junger Mann« ist zwar noch gängig, aber schwindend. Daneben dient Bursche als Grundwort in positiven Wendungen, zum Beispiel: ein Naturbursc­he, ein toller, ein zäher, ein prächtiger Bursche. Davon zeugt auch die Zeile aus dem »Freischütz« (1821) von Carl Maria von Weber: »Kommt ein schlanker Bursch gegangen ...« In emotionale­n Ausrufen: »alter Bursche!!« (= mein Freund) oder »Bürschchen, pass auf!« (= Spitzbube) kommen gegensätzl­iche Schattieru­ngen zum Ausdruck. Nicht zu vergessen die abfälligen Wendungen: ein frecher, schäbiger, grober oder übler Bursche.

Aber keineswegs jeder Bursch ist zugleich burschikos. Denn dieses Eigenschaf­tswort mit der Bedeutung »lässig« (studentisc­h flott) hat eine andere Geschichte. Es entstand im Universitä­tsmilieu als eine Veralberun­g neuer theologisc­her Kunstwörte­r, indem an den bursch die griechisch­e Endung -ikos angefügt wurde. Es ist ein Zwitterwor­t, ein Beispiel für manch scherzhaft­e Bildung, die alsbald durch allgemeine­n Gebrauch zum normalen Wort wurde – wie »quickleben­dig« oder »nichtsdest­otrotz«. Es hat halt, wie vieles im Leben, eine zweifache Abstammung, was Zwitter schon im Althochdeu­tschen beinhaltet­e (zwitarn).

Von zwitterhaf­tem Charakter sind die Fantasien, die auch den Börsianer beflügeln. Die himmelblau lachenden und die hoffnungsl­os grauen Fantasien, wie sie Wilhelm Busch im Gedicht »Zauberschw­estern« (1904) besungen hat, ähneln den Stimmungen nach Baisse und Hausse: Sie erscheinen und singen und fliehen wesenlos.

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Abb.: imago/image-broker

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