Von Börsianern und Burschen
Ein sprachgeschichtlicher Exkurs von und
Am 23. Januar 1571 wurde die Royal Exchange gegründet. Auf stolze 435 Jahre kann die Londoner Börse zurückblicken, die Frankfurter ist sechs Jahre jünger. Jahrzehnte zuvor öffnete indes schon 1531 im flandrischen Antwerpen ein Haus, das »Bursa« genannt wurde; heute ist belgische Hafenstadt vor allem wegen ihrer Diamantbörse weltberühmt. Was aber haben Börsen und Burschenschaften gemeinsam? Ein Theologe und ein Kriminalistikprofessor klären im Folgenden auf.
»Ich glaube, dass die Börse hier als ein Giftbaum wirkt«, sagte am 12. November 1879 Minister Maybach im preußischen Abgeordnetenhaus. Daraus entstand seinerzeit ein geflügeltes Wort. Nicht lange danach wurde per Gesetz eine Börsensteuer auf den Umsatz von Aktien und Schuldverschreibungen gelegt. Die Kritik an der verderblichen Wirkung des Wertpapierhandels hat also Tradition.
Wer hätte jedoch gedacht, dass die Aktienbörse und die Burschenbewegung mitsamt der Burschenherrlichkeit gemeinsamen Ursprungs sind? So ist es aber. Und der Ursprung liegt im mittelalterlichen Wort »bursa« oder »burse«. Es stand zuerst für »Geldbeutel«, dann auch nach französischem Vorbild für ein Haus, in dem eine Wohngemeinschaft aus gemeinsamem Beutel (also aus einer Gemeinschaftskasse) lebte. »Alle zur bursa gehörigen und aus ihr besoldeten bilden einen Verein, der selbst wieder bursa genannt wird«, wussten Jacob und Wilhelm Grimm (Deutsches Wörterbuch). Sie bezogen sich hier auf die Heidelberger Stadtordnung von 1465, worin die städtischen Bursen als Kosthäuser der Studenten vorkommen.
Solche Häuser, auf Grundlage von Stiftungen, gab es für Studenten und Handwerksburschen bis in das 17. Jahrhundert hinein. Es waren wichtige Einrichtungen mit Schlafzimmern, gemeinsamem Esssaal und Unterrichtsraum. An deren Spitze stand ein Magister, der auf die Einhaltung der strengen, nahezu klösterlichen Regeln achtete. Trotz strikten Verbotes gelang es Bursanten jedoch immer wieder, sich zu geheimen Trinkgelagen zu versammeln, was bei bestimmten Burschenverbindungen bis heute zum guten Ton gehört. Die nicht ganz seltenen Familiennamen Bursch und Bursche gehen auf jene Zeit zurück und haben nichts mit »junger Mann« zu tun; sie sind vielmehr eine Verkürzung aus bursgesell und bedeuten somit: Mitbewohner, Handwerksgeselle oder Kommilitone aus demselben Hause.
Bis heute gibt es im Russischen das Wort (transliteriert bursa) für ein geistliches Internat zur Priesterausbildung. In ein solches verfrachtete die fürsorgliche Mutter ihren 16jährigen Josef Dschugaschwili, damit er einst Bischof würde. In dieser Burse, waren von sieben bis 22 Uhr, vom morgendlichen Chorsingen bis zum Abendunterricht und Nachtgebet, die Regeln von verschärfter Strenge exakt vorgeschrieben. Bemerkenswert: Kein weltliches Seminar brachte so viele Atheisten hervor wie das Seminar in Tiflis, schrieb später ein Gefährte des jungen Stalin.
Die wahre Geschichte der Börse beginnt eigentlich schon beim griechischlateinischen Ledersack und Geldtäschchen (vom griechischen býrsa = Fell, Leder); noch jetzt heißt
Geschäftiges Treiben an der Londoner Börse, 1847 der Gerber in Athen und Sparta byrsodépsis. Aus Leder musste die Geldbörse schon sein, denn die Münzen hatten dazumal erhebliches Gewicht. Eine niederländische Kaufmannsfamilie in Brügge mit Namen van de Burse hatte einen Geldbeutel, bursa, gleich dreifach im Wappen, das üblicherweise auch an der Haustür prangte. Diese Bezeichnung ging dann über auf den Platz vor ihrem Hause, wo sich lombardische Kaufleute gern zu geschäftlichen Beratungen trafen. Seit 1531 trug ein Haus, in dem sich Antwerpener Kaufleute versammelten, den Namen »Bursa« – womit der Übergang zum Börsengebäude schon angedeutet ist.
Das Wort und die Sache wanderten über Hamburg in den deutschen Sprachraum, zunächst in der Form Börs, was lautlich dem heutigen niederländischen beurs entspricht. Auch in der alten Bedeutung von Geldtäschlein dringt die holländische Form (geld)beurs ins Neuhochdeutsche und bedeutet dasselbe wie Portemonnaie, ausgesprochen Portmonnee (berlinerisch verballhornt zu Portjuchhe). Dieses nach wie vor französisch geschriebene Wort ist wesentlich jünger als die Börse, es kommt erst nach 1800 auf und setzt sich zusammen aus porter (franz. = tragen) und monnaie, was Geld oder Münze bedeutet. Die Redewendung »seine Börse zücken«, die man noch heute hört, deutet die löbliche Absicht zu bezahlen an.
Der Börsianer aber bezahlt nicht nur, sondern spekuliert am Börsenplatz, nachdem er den Börsenbericht gelesen hat, wofür er zuvor gelernt haben muss, das Börsenchinesisch (mit Begriffen wie Hausse und Baisse) zu verstehen. Aus dem oben erwähnten Versammlungshaus der Kaufleute wurde nämlich ein Handelsplatz für den Kauf und Verkauf von bestimmten Waren – als Kaffeeoder Getreidebörse zum Beispiel –, dann aber auch für die uneigentliche »Ware Wertpapier«, womit wir beim Aktienhandel wären. Im Fachjargon der Börsengurus und Finanzexperten nimmt die Börse fast schon Züge eines Lebewesens an: Sie eröffnet flau und schließt optimistisch, sie kann lustlos, matt oder bewegt sein. Die Gefühlsausbrüche der an ihr tätigen Broker sind zweifellos echt, wenn sie zu Tode betrübt den vorhersehbaren Crash bzw. Börsenkrach erleben. »Panikstimmung an den Börsen«, heißt es dann.
Der Aktien- und Wertpapierhandel hat inzwischen Formen angenommen, von denen frühere Börsianer nicht zu träumen wagten. Vor hundert Jahren gab es im Unterschied zu heute noch eine Börsensteuer (Umsatzsteuer); bei dem heutigen völlig steuerfreien Hochfrequenzhandel mittels Computer werden in Sekundenbruchteilen An- und Verkäufe getätigt. Was da passieren könnte, wenn sich die Rechenmaschinen eines Tages verselbstständigen würden, hat der britische Autor Robert Harris in seinem Buch »Angst« kürzlich beschrieben.
Zurück zu den Burschen. Der Lautwandel von -s zu -sch ist im Deutschen bei vielen Wörtern vor sich gegangen: aus kerse wurde Kirsche, aus knirsen knirschen usw. Aus der burse konnte also regional die bursche werden. Im Süddeutschen ist die Tendenz zum volltönenden sch-Laut besonders ausgeprägt, während Hannover und Hamburg bekanntermaßen weiter den s-pitzen S-tein pflegen. Die Brüder Grimm lehnten die Formen Bursch und Bursche noch als »gespreizt« ab. Goethe aber, im ersten Teil des Faust, schreibt schon in dieser Form, denn in Auerbachs Keller empört sich der Student Siebel, »wie sich die platten Bursche freuen« über die derben Späße der Gesellen.
Die bursche (weiblich Einzahl!) als Wort fürs Wohnheim und Gemeinschaftshaus wurde also im Lauf der Zeit als Pluralform aufgefasst und auf die Bewohner bezogen, wie man beim Dichterfürsten von Weimar sieht. Eine davon wiederum gebildete Einzahl bursch meinte dann den einzelnen Studenten oder Handwerker (Handwerksbursch). Damit verschwanden ältere Ausdrücke wie bursgesell. Burschenschaft bezeichnete die Gesamtheit der Studenten einer Universität. Bekannt und berühmt wurden die akademischen Burschenschafter durch das patriotische Wartburgfest von 1817, ein studentisches Erinnerungsfest an die Reformation von 1517 und die Schlacht von Leipzig, angeregt von der Jenaer Studentenschaft.
Die bald gegründete Allgemeine Deutsche Burschenschaft bekämpfte in der Folgezeit antidemokratische Gesetze, forderte die Einheit Deutschlands mit meist nationalistischen Parolen und wirkte zeitweise als verbotener Geheimbund. Nach 1871 wurden die Wortführer zu Hurrapatrioten des deutsch-preußischen Kaiserreiches und sangen beim Kommers (studentensprachlich für einen turnusmäßigen geräuschvoll-festlichen Bierabend) aus ihren KommersBüchlein das wehmütige Trinklied »O alte Burschenherrlichkeit«.
Während die Studierenden für sich den Begriff Bursche als Ehrennamen in Anspruch nahmen, gebrauchten Gutsbesitzer und Adlige ihn eher geringschätzig im Sinne von Dienstbote oder Laufbursche. Im preußischen Militär gab es die Offiziersburschen als persönliche Diener; sie haben alle ihren Ursprung im mittelalterlichen Handwerks-, Lehr- und Wanderburschen. Die Bedeutung »junger Mann« ist zwar noch gängig, aber schwindend. Daneben dient Bursche als Grundwort in positiven Wendungen, zum Beispiel: ein Naturbursche, ein toller, ein zäher, ein prächtiger Bursche. Davon zeugt auch die Zeile aus dem »Freischütz« (1821) von Carl Maria von Weber: »Kommt ein schlanker Bursch gegangen ...« In emotionalen Ausrufen: »alter Bursche!!« (= mein Freund) oder »Bürschchen, pass auf!« (= Spitzbube) kommen gegensätzliche Schattierungen zum Ausdruck. Nicht zu vergessen die abfälligen Wendungen: ein frecher, schäbiger, grober oder übler Bursche.
Aber keineswegs jeder Bursch ist zugleich burschikos. Denn dieses Eigenschaftswort mit der Bedeutung »lässig« (studentisch flott) hat eine andere Geschichte. Es entstand im Universitätsmilieu als eine Veralberung neuer theologischer Kunstwörter, indem an den bursch die griechische Endung -ikos angefügt wurde. Es ist ein Zwitterwort, ein Beispiel für manch scherzhafte Bildung, die alsbald durch allgemeinen Gebrauch zum normalen Wort wurde – wie »quicklebendig« oder »nichtsdestotrotz«. Es hat halt, wie vieles im Leben, eine zweifache Abstammung, was Zwitter schon im Althochdeutschen beinhaltete (zwitarn).
Von zwitterhaftem Charakter sind die Fantasien, die auch den Börsianer beflügeln. Die himmelblau lachenden und die hoffnungslos grauen Fantasien, wie sie Wilhelm Busch im Gedicht »Zauberschwestern« (1904) besungen hat, ähneln den Stimmungen nach Baisse und Hausse: Sie erscheinen und singen und fliehen wesenlos.