Jurij Nold ist deutscher »Togus Kumalak«-Matador.
Erste Spuren dieses Spiels finden sich auf jenem Kontinent, von dem dereinst unsere Urahnen aufgebrochen waren, die Welt zu besiedeln. In der ägyptischen Wüste nahe dem Roten Meer gruben Archäologen hölzerne und steinerne Spielbretter mit symmetrisch angeordneten Vertiefungen aus: offenbar die Artefakte einer Gruppe von Spielen, die in weiten Teilen Afrikas unter dem Namen Oware beziehungsweise Awalé auch heute äußerst populär sind.
Für diese Spielefamilie hat sich der Begriff Mancala eingebürgert. Ihr Grundprinzip: Zwischen den Mulden der Bretter werden Steine, Kugeln, Samen oder Muscheln nach bestimmten Regeln umverteilt. Geschätzt 300 Versionen soll es in Afrika geben – doch nun behaupten die Anhänger einer Variante, die sich in Asien entwickelt hatte, dass in Wahrheit eigentlich sie die Mutter aller Mancala-Spiele in Ehren halten.
Togus Kumalak ist nicht allein in Kasachstan traditionelle Freizeitvergnügen, hat sich aber gerade dort längst auch als echter Profisport etabliert. Hinzu kommen Enthusiasten in den Emigrantencommunities, die fern der früheren Heimat den Reiz eines Spiels aus Kindheitstagen wiederentdecken. Einer von ihnen ist der Wahl-Schweinfurter Jurij Nold. Der diplomierte Sportlehrer kam Anfang der 90er Jahre als Spätaussiedler nach Deutschland. Er baute sich eine neue berufliche Existenz in der Fertigungsindustrie auf, gründete mit Gleichgesinnten den Fußballverein Fortuna 96 Schweinfurt, fungierte als Bittet um EM-Finanzhilfe aus Kasachstan: Jurij Nold Trainer – startete außerdem das ehrgeizige Projekt, Togus Kumalak in die Spielszene der Bundesrepublik einzuführen.
Die bisherige Bilanz des heute 65Jährigen ist beeindruckend. Die Zahl der Turniere, die er mit organisiert, wird größer und größer, die der Aktiven wächst langsam aber stetig. Und während der WM 2014 im kasachischen Almaty schaffte ein deutscher Vertreter die absolute Sensation: Der Münsteraner Aleksej Peters stieß bis in die Spitzengruppe vor, was zuvor keinem Nichteinheimischen gelungen war.
Was ihn dabei antreibt, habe eine lange, tief gehende Geschichte, erläutert Jurij Nold im nd-Gespräch. »In diesem von Generation zu Generation weitergegebenen Spiel wohnt die Seele Kasachstans. Wohin auch immer ein Kasache geht, stets begleitet ihn das Togus Kumalak.« Folgerichtig behaupteten die Kasachen, dass ihr Neun-Kieselsteine-Spiel bereits vor gut 4000 Jahren erfunden worden sei, sagt Jurij Nold.
Solch emotionaler Zugang zur Spielgeschichte ist für Nicht-Kasachen schwer. Doch Togus Kumalak sei natürlich mehr als Geschichte, schwärmt Meister Nold. Es lohnt allein deshalb, weil das Spiel der perfekte mentale Fitmacher sei. So verlange das permanente Umschichten der Spielsteine intensives Kopfrechnen. »Gerade Jugendliche können so spielend Mathe trainieren.« Außerdem fördere Togus Kumalak die Charakterstärke. »Du musst viel Geduld haben, bevor du zuschlägst.«
Warum aber soll sich ein kulturinteressierter Zocker ausgerechnet das Togus Kumalak aus Kasachstan herauspicken – und nicht zum Beispiel Oware, das im Verbund mit Awalé und nahe verwandten Ablegern wie Songo (Kamerun, Gabun, Äquatorialguinea) oder Bao La Kiswahili (Tansania, Kenia) den afrikanischen Kontinent dominiert? Er wolle ja nicht überheblich klingen, sagt Jurij Nold. Aber das Schwierigkeitsverhältnis zwischen Oware und Togus Kumalak sei etwa so wie zwischen Dame und Schach. Beispielsweise habe das Oware-Brett Mulden in einer doppelten Sechserreihe für insgesamt 48 Steine. Dagegen müssten die Gegner im Togus Kumalak zweimal neun parallel angeordnete Fächer stets im Blick behalten, und
Mit 162 Kugeln in 18 Fächern um alles oder nichts auch das verfügbare Spielmaterial ist mit 162 Kugeln deutlich größer. Selbst Topstars könnten das Ergebnis von Spielzügen im Togus Kumalak nicht immer exakt kalkulieren. »Man braucht dazu viel Intuition. Und dieses richtungsweisende Bauchgefühl verlangt ebenso intensives Training. Hast du mal einen Monat ausgesetzt, bist du komplett raus.«
Vor großen Wettkämpfen absolviert der Wahl-Schweinfurter täglich etwa zehn Partien. Oft auf einem entsprechenden Server im Internet. Nicht von ungefähr gewann er die erste Europameisterschaft, deren Gastgeber 2011 das tschechische Pardubice war. Und auch die Familie eifert ihm nach: Tochter Tatjana wurde deutsche Blitzmeisterin, Schwester Irina gilt als beste Spielerin Europas. Er selbst sei für sportlichen Ruhm inzwischen »etwas zu alt«, räumt Jurij Nold realistisch ein. »Jüngere überblicken viele Sachen dermaßen schnell, dass ich nicht mehr mithalten kann.«
Die diesjährige Europameisterschaft soll Mitte Juli in Schweinfurt stattfinden. Dafür hofft Jurij Nold auf finanzielle Unterstützung aus Kasachstan. Einen entsprechenden Brief hat er längst geschrieben. Jetzt wartet er auf eine Antwort.