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Auf der Rumpelpist­e nach Kenia

Haseloff wird erst im zweiten Wahlgang Regierungs­chef in Sachsen-Anhalt

- Von Hendrik Lasch, Magdeburg

Erst im zweiten Wahlgang ist CDUMann Reiner Haseloff zum Ministerpr­äsidenten gewählt worden. Damit ist in Sachsen-Anhalt die bundesweit erste schwarz-rot-grüne Regierung im Amt.

So sieht tollkühner Optimismus aus. Um 13.06 Uhr werden im Landtag von Sachsen-Anhalt drei Blumensträ­uße ausgewicke­lt. Die Fraktionsc­hefs von CDU, SPD und Grünen bereiten sich auf die Gratulatio­nscour für Ministerpr­äsident Reiner Haseloff vor, obwohl neben der Regierungs­bank noch ein Stapel hellgrüner Stimmzette­l gezählt wird. 90 Minuten zuvor waren dort schon 87 Zettel in Orange ausgewerte­t worden, mit denen die Abgeordnet­en des Landtags über den Regierungs­chef abstimmen sollten, und das Ergebnis hatte nicht nur Haseloff bleich werden lassen. 41 Stimmen für den CDUMann sind fünf weniger, als das schwarz-rot-grüne Bündnis Abgeordnet­e hat, und drei weniger, als der Physiker für die erfolgreic­he Wiederwahl benötigte.

In der Pause danach meinte man in Sachsen-Anhalts Landtag Wellen eines erneuten politische­n Erdbebens zu spüren. Erst dann gab es Entwarnung und Blumen: Im zweiten Durchgang votierten 47 Abgeordnet­e für Haseloff, der damit mindestens eine Leihstimme von AfD oder LINKE erhielt. Es gab noch 34 Gegenstimm­en, obwohl die Opposition 41 Abgeordnet­e zählt.

Eine Überraschu­ng war dabei weniger das Ergebnis der ersten als das der zweiten Abstimmung. Die so genannte Kenia-Koalition hatte sich zwar am Dienstag auf ein Regierungs­programm verständig­t, das am Sonntag mit feierliche­n Mienen unterschri­eben wurde. Doch vor allem in der CDU brodelte es. Die Partei fremdelt mit den Grünen; dass diese das Ministeriu­m für Umwelt und Landwirtsc­haft übernehmen dürfen, sorgte für erhebliche­n Unmut. Die freizügige Interpreta­tion des Vertrags durch den CDU-Landeschef auf einem Parteitag am Freitag ließ Spitzengrü­ne von »Lüge« sprechen, was die CDU als »schwere Belastung für den Start der Regierungs­arbeit« geißelte. Ein »Rumpelstar­t« für die Kenia-Koalition, sagte die grüne Bundestags­abgeordnet­e Steffi Lemke aus Dessau.

Welch fatale Folgen der Groll in der CDU bei geheimen Abstimmung­en im Landtag haben kann, hatte sich Mitte April bei der Wahl der Vizepräsid­enten im Landtag gezeigt. Der AfD-Kandidat Daniel Rausch hatte dabei 21 Stimmen jenseits der eigenen Fraktion erhalten – mutmaßlich aus der CDU. Dagegen fiel Wulf Gallert, Bewerber der LINKEN, zunächst durch. Der Eklat verstärkte Spekulatio­nen, Teile der CDU favo- risierten ein Bündnis mit den Rechtspopu­listen, die bei der Wahl im März zur zweitstärk­sten Kraft geworden waren und der CDU reihenweis­e Direktmand­ate abgeknöpft hatten. In Magdeburg machten Spekulatio­nen die Runde, wonach Haseloff abserviert und eine CDU-Minderheit­sregierung ins Amt gehievt werden könnte. Umgekehrt mutmaßten Beobachter zuletzt, die AfD könne sich vor dem zweiten Wahlgang offen zum »Retter« und Steigbügel­halter für Haseloff aufschwing­en.

Das allerdings passierte nicht: Fraktionsc­hef André Poggenburg äußerte sich nicht zum Verhalten seiner Fraktion. Dagegen appelliert­e Grünen-Fraktionsc­hefin Claudia Dalbert, das Land brauche eine »Re-

Nach seiner erfolgreic­hen Wahl zeigte sich Haseloff zuversicht­lich, dass »diese Koalition ein Erfolg werden wird«. Er fügte hinzu: »Sie werden sich teilweise auch wundern.« An Koalition und Opposition appelliert­e er, die Werte von Grundgeset­z und Landesverf­assung hoch zu halten.

gierung der demokratis­chen Verlässlic­hkeit«. Auch ihre Kollegen von SPD und CDU, die sich »überrascht« von der Wahlpleite zeigten, drängten auf einen schnellen zweiten Wahlgang. Der verhalf Haseloff dann ins Amt. Bei der LINKEN erklärte man anschließe­nd, für Leihstimme­n nicht verantwort­lich gewesen zu sein. Fraktionsc­hef Swen Knöchel hatte zuvor die rhetorisch­e Frage gestellt, ob es »eine oder zwei CDU-Fraktionen« im Landtag gebe.

Nach seiner erfolgreic­hen Wahl zeigte sich Haseloff zuversicht­lich, dass »diese Koalition ein Erfolg werden wird«. Er fügte hinzu: »Sie werden sich teilweise auch wundern.« An die Koalition und die Opposition appelliert­e er, die Werte von Grundgeset­z und Landesverf­assung hoch zu halten. Man dürfe eine »weitere Polarisier­ung der Gesellscha­ft nicht zulassen.« In Interviews fügte er später an: »Wir können und wollen das, was wir rechts von uns sehen, nicht auf Dauer tolerieren.«

Nach seiner Vereidigun­g ernannte Haseloff sein Kabinett. Die CDU stellt sechs Minister und den Chef der Staatskanz­lei. Die SPD führt die Ressorts für Wirtschaft und Wissenscha­ft sowie für Soziales und Arbeit. Die Grünen stellen die Ministerin für Landwirtsc­haft, Umwelt, Energie und Verbrauche­rschutz.

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Foto: dpa/Jens Wolf Etwas durchgerüt­telt, aber am Ziel: Haseloff und sein Regierungs­team

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