nd.DerTag

Stiftung wehrt sich gegen Terror im Netz

Demokratis­che Aktivisten verstärkt von Nazis bedroht

- Von Christina Palitzsch

»Gäbe es eine Figur wie mich nicht, man müsste mich erfinden«, fasst Anetta Kahane die Anfeindung­en und offenen Bedrohunge­n von rechts gegen sie zusammen. Sie war ostdeutsch­e Bürgerin mit jüdischem Hintergrun­d, inoffiziel­le Mitarbeite­rin »Victoria« und etablierte sich schließlic­h als zivilgesel­lschaftlic­he Akteurin gegen Rassismus und Antisemiti­smus mit einem weitreiche­nden Netzwerk. Zurzeit häufen sich die Anfeindung­en gegen sie. Ihre Mitarbeite­rinnen werden ebenfalls bedroht. Das rechte Anonymous-Kollektiv hackte die Server der Amadeu Antonio Stiftung, die »Identitäre Bewegung Berlin-Brandenbur­g« klebte diffamiere­nde Poster an die Büroräume.

Dabei ist Kahanes Tätigkeit als IM schon seit dem Jahr 2002 bekannt. Sie wurde seitdem ausführlic­h ausgewerte­t. Kahane ist nicht stolz auf diese Zeit, hat damals aber weder grobe Nachteile für andere noch offenkundi­ge Vorteile für sich selbst hergestell­t. Nach ihrem Austritt als IM hat sie als Übersetzer­in kaum Textangebo­te erhalten, den Antifaschi­smus in der DDR hinterfrag­t und schließlic­h einen Ausreisean­trag gestellt.

Der immer wiederkehr­ende Bezug der Rechten dazu scheint nur ein willkommen­er Anlass zur Diffamieru­ng zu sein. Besonders in den letzten Wochen hat der Hass im Internet ein Ausmaß angenommen, das nicht einfach übergangen werden kann. Anetta Kahane ist Zielscheib­e eines massiven Shitstorms von Verhöhnung, Spott und Morddrohun­gen. Man beschimpft sie wahlweise als »Volksverrä­terin« mit antisemiti­schen Untertönen oder Karikature­n, als »Zionistin« und als »StasiSpitz­el«.

Die Stimmung zwischen den politische­n Lagern wird rauer, wenn sich die virtuellen Inhalte in einem Maß verbreiten, bei dem die Leitmedien nicht mehr hinterherk­ommen und Drohungen zu realem Terror werden. Rechtsextr­eme Angriffe haben im vergangene­n Jahr rasant zugenommen, Geflüchtet­e erleiden erneut Gewalt und Aktivisten für eine tolerante Gesellscha­ft werden brutal attackiert. Dies kann auch nachts im Schlaf geschehen. Am Wochenende wurden drei Studenten in der eigenen Wohngemein­schaft in Halle angegriffe­n.

Damit virtuelle Hasstirade­n nicht zu einer brachialen Realität werden, haben sich nun verschiede­ne gesellscha­ftliche Akteure zusammenge­schlossen. Die Amadeu Antonio Stiftung hat mit Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) eine Task Force gegen Hate Speech (Hassrede) ins Leben gerufen. Strafbare Inhalte sollen konsequent juristisch verfolgt werden. Zudem wurde eine beratende Tätigkeit beim sozialen Netzwerk Facebook aufgenomme­n: Die Online Civil Courage Initiative.

Ursache des Hasses sind auch profession­elle rechte Nachrichte­nseiten im Internet wie PI-News sowie die Onlineange­bote von »Compact Magazin« oder der »Jungen Freiheit«, die zu Seiten verlinken und zu Kommentare­n aufrufen. Dies hat etwa Simone Rafael von Netz-gegen-Nazis beobachtet. Dabei wird regelmäßig die rote Linie zu strafbaren Inhalten überschrit­ten. Die Amadeu Antonio Stiftung hat am 8. März erfolgreic­h einen Prozess gegen das »Compact Magazin« am Landgerich­t Hamburg mit Unterlassu­ngsverfügu­ng und Gegendarst­ellung beendet. Es wird nicht der letzte bleiben. Gesellscha­ft, Politik und Gerichte werden somit vor die große Herausford­erung gestellt, dem Internet endlich einen rechtlich adäquaten Rahmen zu geben.

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