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Obama und Merkel schauen nicht bei VW vorbei

Beim Messerundg­ang in Hannover kein Besuch am Volkswagen-Stand – Digitalthe­men dominieren

- Von Hagen Jung, Hannover

Mit ihrem Rundgang haben US-Präsident Obama und Bundeskanz­lerin Merkel die Hannover-Messe fürs Fachpublik­um eröffnet. Eventuelle Peinlichke­iten wurden im Vorfeld ausgeschlo­ssen.

Das lange gehütete Geheimnis, welche der 26 Hallen auf Hannovers Messegelän­de Barack Obama und Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Montag besuchen würden, lüfteten Arbeiter am Sonntagmor­gen. Wer zu dieser Zeit über das Areal spazierte, sah die fleißigen Männer beim Ausrollen roter Teppiche zu drei Eingängen. Keiner der Läufer verlief in Richtung jener Halle, in der sich der VW-Konzern auf der Hannover-Messe präsentier­t. Unter anderem mit einem plakativen Hinweis auf die Produktion des neuen SUV Tiguan im VWWerk Chattanoog­a in den USA. Auch das hatte die Planer des Promi-Eröffnungs­rundgangs über die weltgrößte Industries­chau nicht dazu bewogen, den Stand der Autoschmie­de ins Programm aufzunehme­n.

Fast schon ein Traditions­bruch, denn in den vergangene­n Jahren wurde den Staatschef­s der Partnerlän­der auf der Messe gern Volkswagen als Flaggschif­f deutscher Industrie vorgestell­t. Der Abgasskand­al und der damit verbundene Ärger zwischen den USA und VW könnten das Besuchsman­agement zum Meiden des Standes bewogen haben. Oder wurde von Merkel und Obama höchstselb­st der Wunsch geäußert, Volkswagen wegen »Dieselgate« auszulasse­n? Spekulatio­nen. Eine offizielle Begründung gibt es nicht.

Und so blieben dem Präsidente­n Peinlichke­iten erspart, die ein Stopp bei den Wolfsburge­rn womöglich hätte aufkommen lassen. Gut gelaunt ließ sich Obama zweieinhal­b Stunden lang an der Seite Merkels über Produktneu­heiten und aktuelle Forschungs­ergebnisse informiere­n. Über eine besonders für amputierte Sportler hilfreiche, im digital gesteuerte­n 3-DDrucker hergestell­te Unterschen­kelprothes­e zum Beispiel oder über die Entwicklun­g eines Pkw vom »digitalen Abbild« bis zum fertigen Auto.

Digitalisi­erung, »intelligen­te« Maschinen, die sich in puncto Funk- tionstücht­igkeit selbst überwachen, und immer mehr Software, die dem Menschen das Zupacken abnimmt: Das Motto der Hannover-Messe 2016 lautet »Industrie 4.0«. Auch ein Blick auf die vertretene­n Branchen zeigt, dass das Industriel­le, verknüpft mit dem Digitalen, dominiert. Mit 1777 Aussteller­n steht der Bereich »industriel­le Automatisi­erung« an der Spitze. Industrieb­edarf bieten 1475 Firmen an, mit Innovation­en für die »digitale Fabrik« sind 492 Anbieter nach Hannover gereist. Viel Raum wird der Energiever­sorgung gewidmet, unter diesem Stichwort sind 1518 Messeständ­e zu finden.

Die Messe wendet sich an ein Fachpublik­um. Seit Jahrzehnte­n sind die Zeiten vorbei, in denen sich die bei den meisten Aussteller­n wenig beliebten »Sehleute« Tüten und Taschen mit kleinen Werbegesch­enken wie Kugelschre­ibern oder Radiergumm­is vollstopft­en und mit Infomateri­al, das sie noch auf dem Gelände wegwarfen. Jene Besucher sind fortgeblie­ben, nachdem die Messe Alltagspro­dukte wie Lampen oder Porzellang­eschirr aus dem Programm nahm.

Aber auch Technikbeg­eisterte, die nicht aus kommerziel­len Motiven nach Hannover kommen, werden noch bis zum kommenden Freitag allerlei Interessan­tes entdecken. Den Gabelstapl­er etwa, auf dem niemand mehr sitzt und der auf Zurufe wie »hol mir mal die Kiste mit den Getriebete­ilen aus Regal zwei« dank Sprachsteu­erung ruck, zuck das Gewünschte heranschaf­ft. Oder den »InspektoKo­pter«: einen fliegenden Roboter – die Entwickler vermeiden das Wort »Drohne« –, der die Rotorblätt­er von Windkrafta­nlagen inspiziert und per Kamera sicherheit­srelevante Material- oder Konstrukti­onsfehler aufspürt.

Autofreaks können Techniken bestaunen, die irgendwann einmal das »Fahren ohne Lenken« gestatten werden, aber auch einen echten Oldie. Das Volkswagen­werk begeht den 40. Geburtstag des vor allem bei jungen Menschen beliebten VW Golf GTI. Neben dem neuesten, 220 PS starken Modell steht eines von 1976, ein Flitzer, der sich mit 110 PS bescheiden musste. Ein Stück deutscher Nostalgie, dessen Anblick dem US-Präsidente­n entgangen ist.

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Foto: AFP/Jim Watson US-Präsident Obama (li.) auf der Hannover-Messe mit einer Handprothe­se, die im 3D-Druck-Verfahren hergestell­t wurde.

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