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Spurensuch­e im braunen Sumpf

Das Buch »Generation Hoyerswerd­a« informiert über das Netzwerk der Neonazis

- Von Andreas Fritsche Heike Kleffner und Anna Spangenber­g (Hrsg.): »Generation Hoyerswerd­a«, be.bra, 304 Seiten, 20 Euro

Hätte die NSU-Mordserie verhindert werden können? Ein Buch beantworte­t viele Fragen und wirft zugleich immer neue Fragen auf.

»Piatto berichtet zuverlässi­g und umfassend. Aufträge führt er gewissenha­ft aus. Er ist in hohem Maße lernfähig. Seine Einsatzber­eitschaft ist bemerkensw­ert.« So steht es in einem internen Vermerk des brandenbur­gischen Verfassung­sschutzes vom 2. Juli 1999 über ihren vermeintli­ch wertvollst­en Spitzel in der rechten Szene. Im Jahr 2000 wurde V-Mann »Piatto« abgeschalt­et. Bis dahin hatte er vom Verfassung­sschutz rund 50 000 Euro für seine Informatio­nen kassiert, darunter ein vager Hinweis auf den Verbleib des untergetau­chten NSU-Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Chemnitz.

Carsten Szczepansk­i alias »Piatto« begann seine Spitzeltät­igkeit spätestens 1994. Damals saß er im Gefängnis. Als gewalttäti­ge Kumpane einen Nigerianer fast zu Tode prügelten und beinahe im Scharmütze­lsee ertränkten, soll er dabeigesta­nden und sie angefeuert, vielleicht auch angestifte­t haben. Ein Skinheadma­gazin Szczepansk­is entstand aus dem Knast heraus, möglicherw­eise in der Gefängnisd­ruckerei. Als Piatto Freigang erhielt, chauffiert­e ihn der Geheimdien­stler Gordian Meyer-Plath zu Rechtsrock­konzerten und Szenetreff­s, damit er sich umhören und berichten kann.

1996 befassten sich beim Geheimdien­st in Brandenbur­g ungefähr vier Quellenfüh­rer mit rund vier Quellen. Man fühlt sich bei der Durchsicht dieser Statistik für die Jahre 1992 bis 2000 veräppelt, denn wie können Zahlen zwischen null und fünf ernsthaft geschätzt sein?

Es gibt immer noch so viele Fragen zum NSU-Komplex. Die Bundes- tagsabgeor­dnete Petra Pau (LINKE) ist »froh«, dass es in Brandenbur­g »nun endlich« auch einen NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss geben soll. Sie ist deswegen schon in Potsdam gewesen, hat die Linksfrakt­ion im Landtag besucht, Hinweise gegeben.

Einen ausgezeich­neten Überblick über die Verästelun­gen der NSU-Affäre nach Brandenbur­g, gibt der im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse präsentier­te Titel »Generation Hoyerswerd­a«. Zu den Autoren des Buches gehören namhafte Wissenscha­ftler und Journalist­en, die fundierten Kenntnisse über die Details der NSU-Affäre haben, über die Vorgeschic­hte und über neofaschis­tische Strukturen in Brandenbur­g Bescheid wissen. Wer verstehen möchte, wie der braune Sumpf in Ostdeutsch­land und speziell in Brandenbur­g nach der Wende scheinbar aus dem Nichts entstehen konnte, der sollte dieses Buch lesen – und wird beispielsw­eise erfahren, dass es Neonazis in der DDR schon früher gegeben hat und das diese in den 1980er Jahren immer mehr zu einem echten Problem geworden sind, das aber tunlichst verschwieg­en wurde. Nach der Wende haben dann solche Neofaschis­ten mit Hilfe von Alt- und Neonazis aus dem Westen orientieru­ngslos gewordene Jugendlich­e in großer Zahl an sich binden können.

Ein Kapitel zu dem Buch steuerte die Rechtsanwä­ltin Antonia von der Behrens bei. Sie vertritt im Münchner NSU-Prozess die Hinterblie­benen von Mehmet Kubaşık, der 2006 in Dortmund ermordet wurde. Von der Behrens schreibt unter der Überschrif­t »Gedächtnis­lücken und gesperrte Akten«, es gebe »konkrete Hinweise darauf«, dass Kubaşık und die anderen Opfer noch leben könnten, wenn der Verfassung­sschutz die Informatio­nen von »Piatto« an die Polizei weitergege­ben hätte.

Der Titel »Generation Hoyerswerd­a« führt in die Irre, da die Stadt Hoyerswerd­a in Sachsen liegt. Tatsächlic­h geht es um Neonazis in Brandenbur­g. Für die Generation dieser Neonazis sind die Ausschreit­ungen gegen ein Asylheim in Hoyerswerd­a 1991 ein prägendes Ereignis gewesen.

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Foto: dpa/Tobias Hase Die Angeklagte Beate Zschäpe setzt sich im Oberlandes­gericht München neben ihren Anwalt Matthias Grasel.

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