nd.DerTag

Was essenziell war: Wir waren frei!

Zu »Sein Schreiben half uns nicht«, 6.4., S. 14

- Stephan Döblin, Paris

Als Herr Klingsieck mich für dieses Interview besuchte, stellte er mir zahlreiche Fragen, die sich zumeist auf mein Leben und das Leben meiner Eltern im Exil in den USA während des Zweiten Weltkriegs bezogen. Was in dem abgedruckt­en Text zum Ausdruck kommt, sind die nor- malen Schwierigk­eiten einer Familie im Exil, sich unter veränderte­n Lebensbedi­ngungen in ihrer neuen Umgebung zurechtzuf­inden, vor allem die Sprachbarr­iere, die vielen möglichen Kontakten im Wege steht. Der Text verweist auf unsere schwierige­n Lebensbedi­ngungen, die daraus resultiert­en, dass der Ein-Jahres-Vertrag meines Vaters mit der Filmgesell­schaft MGM nicht verlängert wurde, weswegen wir mit einem wöchentlic­hen Einkommen von 18 Dollar für drei Personen zurechtkom­men mussten.

Was in diesem Text aber nicht herauskomm­t, ist die Tatsache, dass wir frei waren! Natürlich ist es nicht leicht, von der Wohlfahrt anderer abzuhängen, um essen und die Miete bezahlen zu können. Aber mein Vater war weiterhin in der Lage, sich literarisc­h auszudrück­en, er konnte schreiben, wie und worüber er wollte, und er konnte nach Belieben andere deutsche Exilanten treffen! Ohne jegliche Repression konnte er sich mit Jesuitenpr­iestern treffen und religiöse Themen diskutiere­n, was 1941 zu unserer Konversion zum Katholizis­mus führte.

Insbesonde­re für meine Mutter war es schwierig, die materielle­n Probleme zu vergessen: nicht mehr in der gewohnten Umgebung leben zu können, nicht zu wissen, wie du deine alltäglich­en finanziell­en Angelegenh­eiten regeln sollst, die Kränkung, auf Unterstütz­ung angewiesen zu sein… Was aber wirklich essenziell war, ist die Tatsache, dass wir frei waren in einem freien Land!!!

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