Zwischen Traum und Trauma
Eintracht Frankfurt glaubt wieder an die Rettung und weckt alte Geister
Bei Eintracht Frankfurt ist der Glaube an eine Auferstehung wie einst 1999 zurück. Nun soll ein Derbysieg in Darmstadt die Hoffnung untermauern, bevor am letzten Spieltag das Abstiegsfinale ansteht.
Traditionsvereine haben ja tatsächlich hin und wieder einen immensen Vorteil. Ihre Historie ist meist gleichermaßen gespickt mit traumatischen Erinnerungen als auch traumhaften Erlebnissen, die auf Knopfdruck hervorgeholt werden können. Und so verbreiten sich im Umfeld der Frankfurter Eintracht tatsächlich in rasender Schnelle gerade jene Sequenzen, die der Verein mit seiner aufrüttelnden Kampagne namens »Auf jetzt!« zusammengestellt hat. Nämlich die Bilder aus dem Schlussspurt der Saison 1998/1999, als die Eintracht an den letzten vier Spieltagen nacheinander Werder Bremen (2:1), Borussia Dortmund (2:0), Schalke 04 (3:2) und schlussendlich den 1. FC Kaiserslautern (5:1) bezwang.
Von dieser Aufholjagd im Abstiegskampf ist vor allem der finale Übersteiger von Jan-Aage Fjörtoft in Erinnerung geblieben, das Symbol vom bis heute gewagtesten wie spektakulärsten Rettungsmanöver aus mehr als einem halben Jahrhundert Bundesligageschichte. Die Szenen wurden am Sonntagabend erst vom Trainer Niko Kovac den aktuellen Spielern bei ihrer Vorbereitung und später von der Stadionregie über den Videowürfel auch den Zuschauern gezeigt. Beim 2:1-Heimsieg gegen den FSV Mainz 05, der den Abstieg Hannovers besiegelte, haben sie offenbar gefruchtet. »Wir sind wieder voller Hoffnung, dass die Wende gelingt«, meinte nicht nur Vorstandschef Heribert Bruchhagen. Stadt und Verein scheinen nach der Auferstehung pünktlich am viertletzten Spieltag wieder optimistisch gestimmt.
Als »Endspiel der Endspiele« titulierte Änis Ben-Hatira hernach den Kraftakt gegen den niedergerungenen Nachbarn, doch der Matchwinner, der erst im Sitzen das 1:1 von Marco Russ vorbereitete (28.), dann den tückisch abgefälschten 2:1-Siegtreffer abgab (84.), hätte sich am besten noch eine Steigerungsform offen gelassen. Denn was bitte gilt dann für das anstehende Derby in Darmstadt? »Da müssen und werden wir gewinnen«, meinte Ben-Hatira selbstbewusst. Und für den letzten Spieltag am 14. Mai bei Werder Bremen versprach Russ vorsorglich schon einmal: »Da geht die Lucie ab!«
Der Ersatzkapitän kann es wie die Kollegen auf einmal kaum erwarten, alle Kritiker Lügen zu strafen, »die uns zu schnell abgeschrieben haben«, wie auch Trainer Kovac anmerkte. Der in Berlin geborene Kroate hatte vom ersten Arbeitstag an zwar in den Kampfmodus geschaltet, aber ein ungünstiger Spielplan und unglückliche Spielverläufe stellten der Rettungsmission kein gutes Zeugnis aus. Auf einmal scheint alles anders. »Der Glaube lebt, das Unmögliche zu schaffen«, sagte Kovac in fast schon pathetischem Tonfall. Und der 44- Jährige versprach: »Über den absoluten Willen kommen auch die spielerischen Fortschritte.«
Vor allem jedoch die läuferische Vorstellung der Frankfurter war so famos, dass sich der neutrale Beobachter schon fragte, wie solches Potenzial so lange brachliegen konnte. »Die Mannschaft hat gemerkt, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie mobilisiert jetzt alle Kräfte«, beobachtete der bald scheidende Boss Bruchhagen. Sein Vorstandskollege Axel Hellmann hatte einen »wichtigen Sieg für die Seele« gesehen, »das Lebenszeichen, das alle brauchten.« Er habe doch immer gesagt, »dass die letzten Spieltage nach nicht vorhersehbaren Mustern ablaufen«.
Der spitzfindige Jurist ist bei der Eintracht auch für alle Fanangelegenheiten zuständig und findet es jammerschade, auf »die phänomenale Unterstützung unserer Fans« am kommenden Sonnabend verzichten zu müssen. Nach den Vorkommnissen aus der Hinrunde bleibt der Gästeblock in Darmstadt für die Eintracht-Anhänger gesperrt. Dass sich wie kolportiert Tausende trotzdem in die nur 26 Kilometer entfernte Nachbarstadt begeben, könne er nicht verbieten, sagte Hellmann, »aber wir wollen darauf einwirken, dass unsere Fans dort keinen Unfug treiben.«
Auch unter Sicherheitsaspekten war der Sieg der Frankfurter Eintracht insofern viel wert: Das Horrorszenario, dass der Traditionsklub ausgerechnet beim benachbarten Rivalen absteigt, ist seit Sonntag Geschichte. Dagegen lebt die Hoffnung, dass es Wunder immer wieder gibt. Gerade im Fußball.