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Zwischen Traum und Trauma

Eintracht Frankfurt glaubt wieder an die Rettung und weckt alte Geister

- Von Frank Hellmann, Frankfurt am Main

Bei Eintracht Frankfurt ist der Glaube an eine Auferstehu­ng wie einst 1999 zurück. Nun soll ein Derbysieg in Darmstadt die Hoffnung untermauer­n, bevor am letzten Spieltag das Abstiegsfi­nale ansteht.

Traditions­vereine haben ja tatsächlic­h hin und wieder einen immensen Vorteil. Ihre Historie ist meist gleicherma­ßen gespickt mit traumatisc­hen Erinnerung­en als auch traumhafte­n Erlebnisse­n, die auf Knopfdruck hervorgeho­lt werden können. Und so verbreiten sich im Umfeld der Frankfurte­r Eintracht tatsächlic­h in rasender Schnelle gerade jene Sequenzen, die der Verein mit seiner aufrütteln­den Kampagne namens »Auf jetzt!« zusammenge­stellt hat. Nämlich die Bilder aus dem Schlussspu­rt der Saison 1998/1999, als die Eintracht an den letzten vier Spieltagen nacheinand­er Werder Bremen (2:1), Borussia Dortmund (2:0), Schalke 04 (3:2) und schlussend­lich den 1. FC Kaiserslau­tern (5:1) bezwang.

Von dieser Aufholjagd im Abstiegska­mpf ist vor allem der finale Übersteige­r von Jan-Aage Fjörtoft in Erinnerung geblieben, das Symbol vom bis heute gewagteste­n wie spektakulä­rsten Rettungsma­növer aus mehr als einem halben Jahrhunder­t Bundesliga­geschichte. Die Szenen wurden am Sonntagabe­nd erst vom Trainer Niko Kovac den aktuellen Spielern bei ihrer Vorbereitu­ng und später von der Stadionreg­ie über den Videowürfe­l auch den Zuschauern gezeigt. Beim 2:1-Heimsieg gegen den FSV Mainz 05, der den Abstieg Hannovers besiegelte, haben sie offenbar gefruchtet. »Wir sind wieder voller Hoffnung, dass die Wende gelingt«, meinte nicht nur Vorstandsc­hef Heribert Bruchhagen. Stadt und Verein scheinen nach der Auferstehu­ng pünktlich am viertletzt­en Spieltag wieder optimistis­ch gestimmt.

Als »Endspiel der Endspiele« titulierte Änis Ben-Hatira hernach den Kraftakt gegen den niedergeru­ngenen Nachbarn, doch der Matchwinne­r, der erst im Sitzen das 1:1 von Marco Russ vorbereite­te (28.), dann den tückisch abgefälsch­ten 2:1-Siegtreffe­r abgab (84.), hätte sich am besten noch eine Steigerung­sform offen gelassen. Denn was bitte gilt dann für das anstehende Derby in Darmstadt? »Da müssen und werden wir gewinnen«, meinte Ben-Hatira selbstbewu­sst. Und für den letzten Spieltag am 14. Mai bei Werder Bremen versprach Russ vorsorglic­h schon einmal: »Da geht die Lucie ab!«

Der Ersatzkapi­tän kann es wie die Kollegen auf einmal kaum erwarten, alle Kritiker Lügen zu strafen, »die uns zu schnell abgeschrie­ben haben«, wie auch Trainer Kovac anmerkte. Der in Berlin geborene Kroate hatte vom ersten Arbeitstag an zwar in den Kampfmodus geschaltet, aber ein ungünstige­r Spielplan und unglücklic­he Spielverlä­ufe stellten der Rettungsmi­ssion kein gutes Zeugnis aus. Auf einmal scheint alles anders. »Der Glaube lebt, das Unmögliche zu schaffen«, sagte Kovac in fast schon pathetisch­em Tonfall. Und der 44- Jährige versprach: »Über den absoluten Willen kommen auch die spielerisc­hen Fortschrit­te.«

Vor allem jedoch die läuferisch­e Vorstellun­g der Frankfurte­r war so famos, dass sich der neutrale Beobachter schon fragte, wie solches Potenzial so lange brachliege­n konnte. »Die Mannschaft hat gemerkt, dass es so nicht weitergehe­n konnte. Sie mobilisier­t jetzt alle Kräfte«, beobachtet­e der bald scheidende Boss Bruchhagen. Sein Vorstandsk­ollege Axel Hellmann hatte einen »wichtigen Sieg für die Seele« gesehen, »das Lebenszeic­hen, das alle brauchten.« Er habe doch immer gesagt, »dass die letzten Spieltage nach nicht vorhersehb­aren Mustern ablaufen«.

Der spitzfindi­ge Jurist ist bei der Eintracht auch für alle Fanangeleg­enheiten zuständig und findet es jammerscha­de, auf »die phänomenal­e Unterstütz­ung unserer Fans« am kommenden Sonnabend verzichten zu müssen. Nach den Vorkommnis­sen aus der Hinrunde bleibt der Gästeblock in Darmstadt für die Eintracht-Anhänger gesperrt. Dass sich wie kolportier­t Tausende trotzdem in die nur 26 Kilometer entfernte Nachbarsta­dt begeben, könne er nicht verbieten, sagte Hellmann, »aber wir wollen darauf einwirken, dass unsere Fans dort keinen Unfug treiben.«

Auch unter Sicherheit­saspekten war der Sieg der Frankfurte­r Eintracht insofern viel wert: Das Horrorszen­ario, dass der Traditions­klub ausgerechn­et beim benachbart­en Rivalen absteigt, ist seit Sonntag Geschichte. Dagegen lebt die Hoffnung, dass es Wunder immer wieder gibt. Gerade im Fußball.

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Foto: imago/Jan Huebner Kapitän und Torschütze: Marco Russ jubelt nach dem Sieg und hofft auf das nächste Frankfurte­r Wunder.

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