nd.DerTag

Karikatur des Kapitalmar­ktes

Neue Bücher zum Verhältnis von Kunst und Kapital

- Von Guido Speckmann

Im November 2015 wurde das Bild »Liegender Akt« des italienisc­hen Malers Amedeo Modigliani für 170,4 Millionen US-Dollar im New Yorker Auktionsha­us Christie’s versteiger­t. Eine stattliche Summe! Nur für Picassos »Die Frauen von Algier« wurde noch tiefer in die Schatulle gegriffen. Der neue Besitzer zahlte für dieses Werk 179,4 Millionen US-Dollar. Selbst Künstler, die von dem boomenden Kunstmarkt profitiere­n, äußern sich inzwischen skeptisch über die nach oben schießende­n Preise. Gerhard Richter hält sie für absurd und eigentlich lächerlich. Und es gibt noch weitere höchst irritieren­de Entwicklun­gen. Immer mehr Kunst wird nicht mehr öffentlich ausgestell­t, sondern in Zollfreila­gern gebunkert. Kunst dient als Kapitalanl­age der Superreich­en, Schieber und betuchten Steuerhint­erzieher. Die Schweiz mit ihren Zollfreila­gern in Genf, Chiasso und Zürich tut sich hier besonders hervor. Allein im größtem Lager des Landes, in Genf, sollen nach Schätzunge­n des Kunstmagaz­ins »Connaissan­ce des arts« Werke im Wert von mehr als 1,2 Milliarden Euro liegen. Kunst gilt inzwischen als sicherer Hafen für überschüss­iges Geld. Werden die Finanzmärk­te stärker reguliert, wie es seit 2008 tendenziel­l der Fall ist, wird anstatt mit Derivaten oder Rohstoffen eben mit Kunst spekuliert. Seit kurzem übrigens ist eine Abwanderun­g vieler Objekte nach Singapur im Gange, die Behörden dort stellen weniger Fragen. Die unlängst veröffentl­ichten »Panama Papers« brachten etwas Licht in diese dunklen Geschäfte.

Was aber bedeutet die Geldschwem­me für die Kunst, die Künstlerin oder den Kunstrezip­ienten? »Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld« nannten Markus Metz und Georg Seeßlen ihr Pamphlet von 2014. Die schwindele­rregenden Preise sagten wenig über die Kunst, stattdesse­n viel über den Kapitalmar­kt, als dessen Karikatur sich der Kunstmarkt geriert, aus. Kunstkonsu­m sei zum Schwanzver­gleich der Oligarchen verkommen, so Metz und Seeßlen. Auch die beiden Kunsthisto­riker und -kritiker Christian Saehrendt und Steen T. Kittl greifen in ihrem neuen Buch »Ist das Kunst oder kann das weg« dieses Thema auf und fragen sich, ob und wie sich Kunst angesichts von Fälschungs­skandalen, hohlen Masseneven­ts und schriller VIP-Glamour überhaupt noch von anderen ebenso bunt, glänzend und durchdesig­nten Bereichen unterschei­det? »Kunst und Markt lassen sich in der Realität kaum voneinande­r trennen«, stellen sie fest – und sehen sogar viele Anzeichen, dass die beiden Bereiche inzwischen identisch geworden sind.

Pointierte­r als Saehrendt und Kittl bringt Wolfgang Ullrich in seinem Buch »Siegerkuns­t. Neuer Adel, teure Lust« die jüngste Entwicklun­g von Kunst und Markt auf den Punkt. Für Ullrich nimmt die Kunst wieder die Stellung ein, die sie im vorbürgerl­i- chen Zeitalter hatte: Kunst ist ein Spielball, damals in den Händen der Fürsten, heute in jenen der Superreich­en. Hochpreisi­ge Kunst sei zum wichtigste­n Ingrediens einer exklusiven Lebenswelt der Erfolgreic­hsten in Wirtschaft, Film, Sport, Politik und Showbusine­ss geworden. Das hat Folgen für die Rolle des Künstlers, wie sie sich im 19. Jahrhunder­t herausgebi­ldet hatte. War es dem Künstler im bürgerlich­en Zeitalter das wichtigste, im Museum gezeigt zu werden, gilt dem Künstler heute der Markterfol­g als das entscheide­nde Kriterium. Das Museum entzog dem Markt die Kunst, seit dem Siegeszug des großen Geldes ist der Markt der Ort der Siegerkuns­t. Der frühere engagierte bildungsbü­rgerliche Umgang mit Kunst ist Ullrich zufolge eine Ausnahmepe­riode gewesen. Sie entstand aus einer Schwächepo­sition heraus. Der Bildungsbü­rger besaß die Werke nicht. Im Museum jedoch waren sie für ihn zugänglich, er konnte sich mit ihnen beschäftig­en, sie rezipieren. »Das Museum bot als Ort verstaatli­chter Kunst die besten Voraussetz­ungen dafür, sich den Werken unabhängig von ökonomisch­en Zusammenhä­ngen zu widmen.« Damit, so Ullrich, war die Moderne das Zeitalter des Bildungsbü­rgers. Er und nicht der Adel setzte die Prioritäte­n und beanspruch­te die Hoheit über die Begriffe.

Heute hingegen prägt die kapitalist­ische Elite die Prioritäte­n. Der USamerikan­ische Kunsttheor­etiker Donald Kuspit etwa beklagt, dass diese über die Macht verfügt, die Zukunft dessen, was einmal als Kunst angesehen wurde, zu kontrollie­ren und zu besitzen. Aber: Dabei handele es sich gar nicht mehr um Kunstwerke, sondern um ästhetisie­rte Waren.

Das erinnert an Adornos Begriff des »Inszenieru­ngswerts«, der die Marx’sche Dichotomie von Gebrauchs- und Tauschwert um eine dritte Wertkatego­rie ergänzt. Gernot Böhme greift in seiner Aufsatzsam­mlung über den ästhetisch­en Kapitalism­us auf diese zurück: »Um den Tauschwert zu erhöhen, werden die Waren aber mittlerwei­le auf besondere Weise hergericht­et. Man gibt ihnen ein bestimmtes Aussehen, sie werden ästhetisie­rt, und sie werden in der Tauschsphä­re inszeniert«, schreibt der Philosoph. Seine Argumentat­ion hat den Vorzug, dass er die Prozesse kapitalism­ustheoreti­sch andeutet. Entscheide­nd für die ästhetisch­e Ökonomie ist demnach, dass sich ein quantitati­v bedeutende­r Sektor der Gesamtwirt­schaft auf die Produktion von Inszenieru­ngswerten ausrichtet bzw. dass ein wesentlich­er Teil der Warenprodu­ktion darin besteht, die Ware mit Inszenieru­ngswert zu versehen. Dazu hätte man gerne etwas Empirische­s gelesen, womit Böhme aber nicht dient.

Ullrichs Buch ist das argumentat­iv prägnantes­te, doch es lässt wichtige Fragen unbeantwor­tet – die allerdings Saehrendt und Kittl stellen. Gibt es einen wahren Wert der Kunst jenseits des Marktwerte­s und wenn ja, worin besteht er? Wer ist eigentlich ein Künstler? Es doch doch nicht nur der Ullrichsch­e Siegerküns­tler, der wie Takashi Murakami im Atelier die aktuellen Wechselkur­se der wichtigste­n Währungen auf Monitoren anzeigen lässt? Oder Jeff Koon, der damit angibt, dass in seinem Studio in 24 Stunden-Schichten gearbeitet wird? Es sind doch auch die Rentner in Großbritan­nien, die die gestiegene Lebenserwa­rtung nutzen, um Bilder im Überfluss zu malen. Irritieren­derweise begegnet diesen Laienkünst­lern ein seltsamer Hochmut. Aber Freizeitsp­ortlern wird doch auch nicht vorgeworfe­n, dass sie keine olympische­n Ergebnisse liefern, argumentie­ren die beiden Kunsthisto­riker. Sie weisen überdies darauf hin, dass sich 60 Prozent aller Kunstkäufe in Europa unter der Marke von 4000 Euro bewegen. Das heißt: Die Siegerkuns­t mag zwar das mediale Bild der Kunst prägen. Doch Kunst erschöpft sich nicht in Siegerkuns­t. Kunst – das sind auch die malenden Rentner, die Off-Galerien und die Ausstellun­gen in Kreisstädt­en. Somit gibt es selbstrede­nd einen wahren Wert der Kunst jenseits des ökonomisch­en. Er liegt zum Beispiel in der Fähigkeit der Kunst, »eine differenzi­erte Gefühlskul­tur« und kulturelle Begegnunge­n zu ermögliche­n oder darin, für Irritation­en in der »geölten propagandi­stischen Bildmaschi­nerie« zu sorgen.

Kunst dient als Kapitalanl­age der Superreich­en, Schieber und betuchten Steuerhint­erzieher.

Gernot Böhme: Ästhetisch­er Kapitalism­us. Suhrkamp. 158 S., brosch., 14,40 €; Christian Saehrendt/Steen T. Kittl: Ist das Kunst oder kann das weg? Vom wahren Wert der Kunst. Dumont. 237 S., geb., 19,99 €; Wolfgang Ullrich: Siegerkuns­t. Neuer Adel, teure Lust. Wagenbach. 157 S., brosch., 16,90 €.

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Foto: photocase/Hannele Was entsteht hieraus? Siegerkuns­t oder das Werk eines malenden Rentners?

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