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Wenn Soldaten singen und Forscher pfeifen

Für die Friedensbe­wegung spielen Whistleblo­wer eine wichtige Rolle

- Von Tim Zülch Dieter Deiseroth, Hartmut Graßl (Hg): Whistleblo­wer-Enthüllung­en, Berliner Wissenscha­ftsverlag, Berlin

Früher mussten Friedensak­tivisten oft auf einer dünnen Faktendeck­e agieren. Doch Whistleblo­wer lieferten wertvolle Informatio­nen. Diese versucht die Bewegung nun in politische­s Kapital umzumünzen. Reiner Braun steht bei strömenden Regen im pfälzische­n Ramstein und freut sich. »Knapp 5000 Menschen demonstrie­ren gegen die Datenweite­rleitung zur Realisieru­ng der US-Drohnenein­sätze. Ich hatte immer gehofft, dass es so viele werden. Eine tolle Veranstalt­ung«, sagt er. Als Mitglied von IALANA, einer Vereinigun­g von Juristen gegen Krieg, hat Reiner Braun die Proteste am 11. Juni mitorganis­iert.

Ramstein, nicht weit von Kaiserslau­tern, ist eine Militärbas­is auf deutschem Boden. Hier laufen Informatio­nen über Kriegseins­ätze der US-Armee weltweit zusammen. Hier befindet sich eine Einsatzzen­trale für in Europa stationier­te Atomwaffen und hier befindet sich auch ein Drehkreuz für Kriegseins­ätze weltweit. Das war soweit lange bekannt.

Doch erst seit Whistleblo­wer auspackten, wurde bekannt, dass über Ramstein auch Drohen gesteuert werden, die weltweit gezielt Terroriste­n – und immer wieder Unschuldig­e – töten. »Ohne Edward Snowden und Brandon Bryant wüssten wir nichts über die Bedeutung Ramsteins für den Drohnenkri­eg«, schätzt Reiner Braun. Damit mache sich Deutschlan­d völkerrech­tswidrig mitschuldi­g an illegalen Tötungen der US-Armee, argumentie­ren die Gegner dieser Operatione­n. Genau gegen diese Praxis protestier­ten sie am vergangene­n Samstag mit ihrer Kampagne »Stopp Ramstein«.

Brandon Bryant war 29 Jahre alt, als er 2005 zur US Air Force ging. Gut eineinhalb Jahre später flog er seinen ersten Einsatz als Drohnenope­rator über Irak. Er versuchte Zielperson­en ausfindig zu machen und tötete sie. Immer wieder trafen seine Raketen auch Zivilisten. Das belastete Brandon Bryant so schwer, dass er um Versetzung bat, schließlic­h seine Arbeit kündigen wollte, dann aber schon vorher zusammenbr­ach. »Ich wollte einen geachteten Job machen und nicht auf feige Weise Menschen jagen«, sagte er rückblicke­nd. Noch heute ist er krank und lebt im US-Bundesstaa­t Montana.

1626 gezielte Tötungen habe seine Einheit insgesamt ausgeführt, steht auf seiner ehrenhafte­n Entlassung­surkunde von 2011. Persönlich habe er an 13 Tötungen unmittelba­r mitgewirkt, sagt er.

Als durch Snowdens Enthüllung­en Journalist­en auf das Drohnenpro­gramm der USA aufmerksam wurden, entschloss er sich zu reden und gab dem »Spiegel« 2012 erstmals ein Interview. Als er begriff, welchen Wert seine Informatio­nen für die deutsche Öffentlich­keit haben, gab er weitere Einblicke über das Drohnenpro­gramm an Journalist­en weiter. Er offenbarte, dass über eine Relaisstat­ion in Ramstein die Steuerbefe­hle der Drohnenpil­oten in den USA über ein blitzschne­lles Glasfasern­etz an die Drohne weitergele­itet werden, andersheru­m werden Bilder der Drohnenkam­eras in Ramstein ausgewerte­t und verknüpft mit weiteren Informatio­nen in die USA gesendet. Außerdem bestätigte er vor dem NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s, dass deutsche Geheimdien­ste Mobilfunkn­ummern von mutmaßlich­en Terroriste­n an die USA weitergebe­n und dass diese zu gezielten Tötungen genutzt werden.

»Ohne Brandon Bryant wären die Journalist­en nicht weiter gekommen, weil sie nicht verstanden hätten, wie die Drohnenein­sätze funktionie­ren«, sagte Dieter Deiseroth, ehemals Bundesverw­altungsric­hter und heute im wissenscha­ftlichen Beirat von IALANA. Dort beschäftig­t er sich mit der Rechtmäßig­keit der Vorgänge in Ramstein. Er hat dieser Tage zusammen mit Hartmut Graßl eine Dokumentat­ion zum Whistleblo­wer-Preis herausgege­ben, der 2015 von IALANA und der Vereinigun­g deutscher Wis- senschaftl­er (VDW) gestiftet wurde. In dem 244 Seiten dicken Buch wird detaillier­t auf die Enthüllung­en von Brandon Bryant, aber auch der anderen Preisträge­r und Whistleblo­wer eingegange­n. Einer von ihnen ist Prof. Gilles-Eric Séralini, der sich mit der Gefährlich­keit von Glyphosat für die Umwelt beschäftig­t hat.

»Es gibt Geheimniss­e, die illegal sind. Die Bevölkerun­g hat einen Anspruch auf solche Informatio­nen«, bekräftigt Aktivist Hermann Theisen. Er hat Soldatinne­n und Soldaten in Ramstein per Flugblatt aufgeforde­rt, interne Informatio­nen zum USDrohnenp­rogramm preiszugeb­en. Für eine ähnliche Aktion beim Waffenprod­uzenten Heckler & Koch wurde er gerade vom Amtsgerich­t Oberndorf zu einer Strafe von 3600 Euro verurteilt.

Für die Friedensbe­wegung und im Kampf gegen Kriegswaff­enexporte nehmen Whistleblo­wer eine wichtige Rolle ein. »Früher wurden wir Friedensak­tivisten oft als Spinner abgetan, heute bezweifelt dank Whistleblo­wern keiner mehr die Faktenlage zum US-Stützpunkt. Jetzt engagieren sich immer mehr Menschen auch vor Ort gegen Ramstein«, so Reiner Braun.

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