Wenn Soldaten singen und Forscher pfeifen
Für die Friedensbewegung spielen Whistleblower eine wichtige Rolle
Früher mussten Friedensaktivisten oft auf einer dünnen Faktendecke agieren. Doch Whistleblower lieferten wertvolle Informationen. Diese versucht die Bewegung nun in politisches Kapital umzumünzen. Reiner Braun steht bei strömenden Regen im pfälzischen Ramstein und freut sich. »Knapp 5000 Menschen demonstrieren gegen die Datenweiterleitung zur Realisierung der US-Drohneneinsätze. Ich hatte immer gehofft, dass es so viele werden. Eine tolle Veranstaltung«, sagt er. Als Mitglied von IALANA, einer Vereinigung von Juristen gegen Krieg, hat Reiner Braun die Proteste am 11. Juni mitorganisiert.
Ramstein, nicht weit von Kaiserslautern, ist eine Militärbasis auf deutschem Boden. Hier laufen Informationen über Kriegseinsätze der US-Armee weltweit zusammen. Hier befindet sich eine Einsatzzentrale für in Europa stationierte Atomwaffen und hier befindet sich auch ein Drehkreuz für Kriegseinsätze weltweit. Das war soweit lange bekannt.
Doch erst seit Whistleblower auspackten, wurde bekannt, dass über Ramstein auch Drohen gesteuert werden, die weltweit gezielt Terroristen – und immer wieder Unschuldige – töten. »Ohne Edward Snowden und Brandon Bryant wüssten wir nichts über die Bedeutung Ramsteins für den Drohnenkrieg«, schätzt Reiner Braun. Damit mache sich Deutschland völkerrechtswidrig mitschuldig an illegalen Tötungen der US-Armee, argumentieren die Gegner dieser Operationen. Genau gegen diese Praxis protestierten sie am vergangenen Samstag mit ihrer Kampagne »Stopp Ramstein«.
Brandon Bryant war 29 Jahre alt, als er 2005 zur US Air Force ging. Gut eineinhalb Jahre später flog er seinen ersten Einsatz als Drohnenoperator über Irak. Er versuchte Zielpersonen ausfindig zu machen und tötete sie. Immer wieder trafen seine Raketen auch Zivilisten. Das belastete Brandon Bryant so schwer, dass er um Versetzung bat, schließlich seine Arbeit kündigen wollte, dann aber schon vorher zusammenbrach. »Ich wollte einen geachteten Job machen und nicht auf feige Weise Menschen jagen«, sagte er rückblickend. Noch heute ist er krank und lebt im US-Bundesstaat Montana.
1626 gezielte Tötungen habe seine Einheit insgesamt ausgeführt, steht auf seiner ehrenhaften Entlassungsurkunde von 2011. Persönlich habe er an 13 Tötungen unmittelbar mitgewirkt, sagt er.
Als durch Snowdens Enthüllungen Journalisten auf das Drohnenprogramm der USA aufmerksam wurden, entschloss er sich zu reden und gab dem »Spiegel« 2012 erstmals ein Interview. Als er begriff, welchen Wert seine Informationen für die deutsche Öffentlichkeit haben, gab er weitere Einblicke über das Drohnenprogramm an Journalisten weiter. Er offenbarte, dass über eine Relaisstation in Ramstein die Steuerbefehle der Drohnenpiloten in den USA über ein blitzschnelles Glasfasernetz an die Drohne weitergeleitet werden, andersherum werden Bilder der Drohnenkameras in Ramstein ausgewertet und verknüpft mit weiteren Informationen in die USA gesendet. Außerdem bestätigte er vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages, dass deutsche Geheimdienste Mobilfunknummern von mutmaßlichen Terroristen an die USA weitergeben und dass diese zu gezielten Tötungen genutzt werden.
»Ohne Brandon Bryant wären die Journalisten nicht weiter gekommen, weil sie nicht verstanden hätten, wie die Drohneneinsätze funktionieren«, sagte Dieter Deiseroth, ehemals Bundesverwaltungsrichter und heute im wissenschaftlichen Beirat von IALANA. Dort beschäftigt er sich mit der Rechtmäßigkeit der Vorgänge in Ramstein. Er hat dieser Tage zusammen mit Hartmut Graßl eine Dokumentation zum Whistleblower-Preis herausgegeben, der 2015 von IALANA und der Vereinigung deutscher Wis- senschaftler (VDW) gestiftet wurde. In dem 244 Seiten dicken Buch wird detailliert auf die Enthüllungen von Brandon Bryant, aber auch der anderen Preisträger und Whistleblower eingegangen. Einer von ihnen ist Prof. Gilles-Eric Séralini, der sich mit der Gefährlichkeit von Glyphosat für die Umwelt beschäftigt hat.
»Es gibt Geheimnisse, die illegal sind. Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf solche Informationen«, bekräftigt Aktivist Hermann Theisen. Er hat Soldatinnen und Soldaten in Ramstein per Flugblatt aufgefordert, interne Informationen zum USDrohnenprogramm preiszugeben. Für eine ähnliche Aktion beim Waffenproduzenten Heckler & Koch wurde er gerade vom Amtsgericht Oberndorf zu einer Strafe von 3600 Euro verurteilt.
Für die Friedensbewegung und im Kampf gegen Kriegswaffenexporte nehmen Whistleblower eine wichtige Rolle ein. »Früher wurden wir Friedensaktivisten oft als Spinner abgetan, heute bezweifelt dank Whistleblowern keiner mehr die Faktenlage zum US-Stützpunkt. Jetzt engagieren sich immer mehr Menschen auch vor Ort gegen Ramstein«, so Reiner Braun.