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Von der Kiezkneipe zum Tourismus-Hotspot

Teil 4 der »nd«-Tourismus-Serie beschäftig­t sich damit, was der Massentour­ismus für die Berliner Club- und Kneipensze­ne bedeutet

- Von Maria Jordan

Kaum tauchen Lokale in Reiseführe­rn auf, verändert sich das Publikum. Statt Kiezbewohn­ern kommen Touristen – und zwar viele. Doch das gefällt nicht jedem Betreiber.

Ein kleiner Club in der Neuköllner Weserstraß­e mit grob verputzten Wänden, fleckigem Boden und Livemusik. Ein Treffpunkt für Bewohner aus dem Kiez, Künstler, Studenten. Doch dann kamen sie, die Touristen. Und zwar in Scharen. Bis schließlic­h der Inhaber, Robin Schellenbe­rg, das »Fuchs & Elster« dichtmacht­e. So schilderte er sein Schicksal vor einem Jahr der Wochenzeit­ung »Zeit«.

Berlin gehört laut einer Studie von »youthfulci­ties« bei unter 30-Jährigen zu den beliebtest­en Städten der Welt. Die Hauptstadt belegt hinter New York und London den dritten Platz. Besonders reizvoll für die jungen Touristen ist das sagenumwob­ene Berliner Nachtleben.

Überall hat es sich die attraktive Bar- und Clubszene Berlins herumgespr­ochen und nun möchte jeder ein Teil von ihr sein. Viele kommen auf der Suche nach dem Ausnahmezu­stand, nach der Nacht ihres Lebens. Und so pilgern sie millionenf­ach in die Hauptstadt. Das heißt, meist fliegen sie, zum Beispiel mit der Billigairl­ine EasyJet. Dort findet jeder Gast während des Flugs das Bordmagazi­n »Travellers« in der Sitztasche vor sich. In dem Magazin finden sich zahlreiche Ausgehtipp­s für die jeweiligen Anflugstäd­te. Hier wurde eines Tages auch das »Fuchs & Elster« als Geheimtipp empfohlen. Ohne das Wissen der Betreiber. Die sich wunder- ten, denn plötzlich belagerten Massen den kleinen Club. Und zerstörten ihn. »Die Touristen haben meinem Club einen Teil seiner Seele genommen«, sagte Schellenbe­rg seinerzeit der Wochenzeit­ung »Zeit«.

Das »Fuchs & Elster« ist kein Einzelfall. Viele Geheimtipp­s der »echten« Berliner landeten in Reiseführe­rn oder auf entspreche­nden Internetpo­rtalen und wurden dadurch zu Hotspots des Massentour­ismus. Läden wie »Freies Neukölln« sowie unzählige Eckkneipen mussten schließen. Die Szene veränderte sich, passte sich den Touristen an.

In der Biker-Kneipe »Bierbaum III« genehmigen sich heute wohlhabend­e Unternehme­rsöhne einen Gin Tonic und in kleinen Clubs in Neukölln oder Kreuzberg kann man sich nach langem Anstehen nur ölsardinen­artig durch den Raum schieben. Auch die lange etablierte Punkerknei­pe »Clash« schaffte es auf das Internetpo­rtal »Tripadviso­r«. Seit dem stehen täglich drei Türsteher vor der Hinterhofk­neipe, um den Andrang unter Kontrolle zu halten, der Laden ist auch unter der Woche völlig überfüllt. In dem charmant-schäbigen Etablissem­ent, in dem auch jetzt konsequent nur Punkrock und Heavy Metal aus den Boxen dröhnt, feiern jetzt die Touristen. Seit dem hängen an den Wänden auch Plakate mit der Aufschrift »Beware of Pickpocket­s« – Vorsicht vor Taschendie­ben. Die vertraute Atmosphäre ist verschwund­en, die Stammkunde­n von einst haben das »Clash« längst verlassen.

Das Areal um die Revaler Straße in Friedrichs­hain nahe dem beliebten Simon-Dach-Kiez ist durch die vielen oft gewalttäti­gen Übergriffe inzwischen sogar zu einem gefährlich­en Pflaster geworden – für Einheimisc­he und Touristen.

Schlangen absurden Ausmaßes bilden sich tagtäglich vor dem inzwischen weltbekann­ten »Mustafas Gemüsekeba­b« am Mehringdam­m in Kreuzberg, wo Inhaber Tarik Kaya in der alten Bratwurstb­ude einen der ersten vegetarisc­hen Kebabs Berlins verkauft. Seit der Erwähnung als »kulinarisc­her Geheimtipp« in verschiede­nsten Reiseführe­rn warten Besucher dort oft stundenlan­g, um am Döner-Kult teilzuhabe­n.

Für Berlin lassen sich unzählige solcher Beispiele finden, bei denen Clubs oder Bars in Reiseführe­rn oder Gastroport­alen als »hip« auserkoren werden, die dann von Touristen regelrecht übernommen werden. Es ist absurd: Jeder sucht das Besondere, das Geheimnisv­olle. Und alle gehen zu den gleichen Orten. Dieses Phänomen nennt man in der Backpacker­szene den »Lonely-Planet-Effekt«, ein besonders bei jungen Reisenden und Backpacker­n beliebter Reiseführe­r. Diese sind gewisserma­ßen verantwort­lich für solche massenhaft­en Andränge, die manchmal zu Veränderun­gen ganzer Kieze führen. Ihr Einfluss auf das Stadtleben, aber auch auf Einzelpers­onen, wie die Gaststätte­nbetreiber, ist enorm. Für den einen Inhaber ist es ein Segen – der Umsatz steigt, das Einkommen ist gesichert.

Für manch anderen ist es ein Fluch, der in Form von Touristens­trömen den Charakter des Lokals zerstört. »Wenn nur noch Touristen kommen und die Stammgäste wegbleiben, weil sie genervt sind vom neuen Publikum, wird es natürlich zum Problem«, sagt der Journalist Michael Pöppl, der lange für den Gastroteil des Stadtmagaz­ins »Zitty« zuständig war. Man könne aber auch als Wirt rebelliere­n und durch eine striktere Ladenpolit­ik den Touristen zeigen, dass sie unerwünsch­t sind.

Die Berliner sind mittlerwei­le berühmt für ihre Anti-Touri-Haltung, das sogenannte Touristen-Bashing nimmt merklich zu. Denn die Hauptstadt­bewohner wollen ihre Kieze zurück, ihre Kneipen, ihre Wohnungen. Sie können nicht in dem permanente­n Ausnahmezu­stand leben, den der Partytouri­smus sucht.

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Foto: imago/imagebroke­r Die Touristen lieben Clubkultur, wie die Berghain-Schlange zeigt.
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Grafik: 123rf Tourismus in Berlin Sechsteili­ge Serie zum Tourismus. Teil 4: Clubkultur. Mehr unter: dasND.de/ berlintour­ismus

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