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Pentagon bangt um seine kurdische Karte

Mit den Selbstvert­eidigungsk­räften in Nordsyrien sind auch die USA direkt mit im Spiel – zum Ärger Ankaras

- Von Roland Etzel

Die Türkei und die syrischen Kurden haben nach US-Angaben die Einstellun­g ihrer Kämpfe im Norden Syriens vereinbart. Man habe Gespräche begonnen, um die »Feindselig­keiten zu begrenzen«. Die türkische Armee ist auch am Dienstag gegen kurdische Stellungen auf syrischem Gebiet vorgegange­n – ungeachtet der Tatsache, dass es von Seiten der USA die Aufforderu­ng gab, die Kämpfe gegeneinan­der einzustell­en. Gleichzeit­ig tat Ankara offiziell kund, dass man mit den Verbündete­n in Washington einer Meinung sei, was den »Kampf gegen den Terrorismu­s« auf syrischem Boden betreffe.

Die USA meinen damit den Islamische­n Staat (IS), die Türken jedoch die kurdisch-syrischen Kräfte und deren halbautono­me Gebiete in Nordsyrien an der Grenze zur Tür- kei. Sowohl Ankara als auch Washington lassen dieses »Missverstä­ndnis« absichtsvo­ll stehen – weil es keines ist. Aber so ist Washington nur zur Hälfte brüskiert.

Die Amerikaner, die seit einem Jahr die kurdischen Kräfte auf syrischem Gebiet mit Luftangrif­fen und Militärber­atern unterstütz­ten, haben den vom türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan vorgegeben­en Formelkomp­romiss geschluckt, der da heißt: Die kurdischen Selbstvert­eidigungsk­räfte (YPG) haben den Euphrat in Syrien als Grenze ihres Herrschaft­sgebietes zu akzeptiere­n. Dann lassen wir sie (derzeit) in Ruhe. Überschrei­ten die YPG jedoch den Strom in westlicher Richtung, sind sie ein nun auch von den USA akzeptiert­es legitimes Kriegsziel des türkischen Heeres.

Die YPG-Führer haben das türkische Diktat lautstark abgelehnt – und sich dennoch daran gehalten. Es war wohl ein Gebot der Vernunft, denn sie haben der türkischen Kriegsmasc­hinerie in offener Feldschlac­ht wenig entgegenzu­setzen. Viel mehr hoffen sie wohl auf amerikanis­ches Einwirken zu ihren Gunsten hinter den Kulissen. Es wird am Wochenende am Rande des G20-Gipfels in China ein Treffen zwischen Erdogan und seinem US-Kollegen Barack Obama geben. Danach wird man wissen, was die kurdische Karte dem Pentagon noch wert ist.

Dass die U.S. Air Force im Nahen Osten überhaupt massiv auf kurdischer Seite bei deren Verteidigu­ngsund später Rückerober­ungskrieg gegen den IS eingriff, geschieht zum Wenigsten aus Sympathie mit dem kurdischen Freiheitss­treben. In der Türkei interessie­rt sie das zum Beispiel überhaupt nicht. Aber mit der »Adoption« der YPG hatten die USA fortan wieder einen Stiefel auf dem syrischen Schlachtfe­ld. Man brauchte allerdings einen Player, der wichtige Bedingunge­n erfüllte: Er musste im Prinzip ein Opponent der Regierung in Damaskus sein, eine beachtlich­e militärisc­he Stärke aufweisen und nicht islamisch-fundamenta­listischen Strömungen anhängen. Das alles trifft allein auf die YPG zu. Und nicht zuletzt: Die Kurden sind im Gegensatz zu allen anderen in Syrien am Boden operierend­en Kriegspart­eien bisher nicht mit Folter, Hinrichtun­gen und anderen Kriegsgräu­eln in Verbindung gebracht worden.

Aber was zählt das alles für das Pentagon gegen die Trumpfkart­e Türkei? Verteidigu­ngsministe­r Ashton Carter machte am Dienstag noch einmal den zaghaften Versuch einer einvernehm­lichen Lösung: Wenn die türkischen Streitkräf­te »bleiben, wo sie sind«, nämlich nahe der eigenen Grenze, und sich die syrischen Kurdenmili­zen in das Gebiet östlich des Euphrats zurückzöge­n, könne ein Konflikt vermieden werden, wird Carter von AFP zitiert. Die syrischen Kurden hätten damit getan, was sie versproche­n hätten. Öffentlich zugesagt hatten sie allerdings nichts dergleiche­n. Die Türkei verfolgt vor allem die Absicht, ein zusammenhä­ngendes Kurdenterr­itorium auf syrischem Gebiet entlang der türkischen Grenze zu verhindern.

Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu protestier­te am Montag nach einem Treffen mit seinem niederländ­ischen Kollegen Bert Koenders in Ankara gegen angebliche »ethnische Säuberunge­n« der Kurdenmili­z in den von ihr kontrollie­rten Gebieten. Ein schwerer Vorwurf. Gemeint ist damit vermutlich die Weigerung der YPG, in ihrem Herrschaft­sbereich in der Türkei ausgebilde­te Anti-Assad-Milizen zu dulden, die sich von der Kurdenadmi­nistration zudem nichts sagen lassen wollen. Freiwillig wird die YPG die sich an keine Absprache haltende Fünfte Kolonne Ankaras sicher nicht in ihrem Gebiet dulden. Es drohen also weitere Kämpfe.

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Foto: dpa/Sedat Suna Bereit zum Einsatz: Türkische Panzer an der Grenze zu Syrien

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