Pentagon bangt um seine kurdische Karte
Mit den Selbstverteidigungskräften in Nordsyrien sind auch die USA direkt mit im Spiel – zum Ärger Ankaras
Die Türkei und die syrischen Kurden haben nach US-Angaben die Einstellung ihrer Kämpfe im Norden Syriens vereinbart. Man habe Gespräche begonnen, um die »Feindseligkeiten zu begrenzen«. Die türkische Armee ist auch am Dienstag gegen kurdische Stellungen auf syrischem Gebiet vorgegangen – ungeachtet der Tatsache, dass es von Seiten der USA die Aufforderung gab, die Kämpfe gegeneinander einzustellen. Gleichzeitig tat Ankara offiziell kund, dass man mit den Verbündeten in Washington einer Meinung sei, was den »Kampf gegen den Terrorismus« auf syrischem Boden betreffe.
Die USA meinen damit den Islamischen Staat (IS), die Türken jedoch die kurdisch-syrischen Kräfte und deren halbautonome Gebiete in Nordsyrien an der Grenze zur Tür- kei. Sowohl Ankara als auch Washington lassen dieses »Missverständnis« absichtsvoll stehen – weil es keines ist. Aber so ist Washington nur zur Hälfte brüskiert.
Die Amerikaner, die seit einem Jahr die kurdischen Kräfte auf syrischem Gebiet mit Luftangriffen und Militärberatern unterstützten, haben den vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgegebenen Formelkompromiss geschluckt, der da heißt: Die kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG) haben den Euphrat in Syrien als Grenze ihres Herrschaftsgebietes zu akzeptieren. Dann lassen wir sie (derzeit) in Ruhe. Überschreiten die YPG jedoch den Strom in westlicher Richtung, sind sie ein nun auch von den USA akzeptiertes legitimes Kriegsziel des türkischen Heeres.
Die YPG-Führer haben das türkische Diktat lautstark abgelehnt – und sich dennoch daran gehalten. Es war wohl ein Gebot der Vernunft, denn sie haben der türkischen Kriegsmaschinerie in offener Feldschlacht wenig entgegenzusetzen. Viel mehr hoffen sie wohl auf amerikanisches Einwirken zu ihren Gunsten hinter den Kulissen. Es wird am Wochenende am Rande des G20-Gipfels in China ein Treffen zwischen Erdogan und seinem US-Kollegen Barack Obama geben. Danach wird man wissen, was die kurdische Karte dem Pentagon noch wert ist.
Dass die U.S. Air Force im Nahen Osten überhaupt massiv auf kurdischer Seite bei deren Verteidigungsund später Rückeroberungskrieg gegen den IS eingriff, geschieht zum Wenigsten aus Sympathie mit dem kurdischen Freiheitsstreben. In der Türkei interessiert sie das zum Beispiel überhaupt nicht. Aber mit der »Adoption« der YPG hatten die USA fortan wieder einen Stiefel auf dem syrischen Schlachtfeld. Man brauchte allerdings einen Player, der wichtige Bedingungen erfüllte: Er musste im Prinzip ein Opponent der Regierung in Damaskus sein, eine beachtliche militärische Stärke aufweisen und nicht islamisch-fundamentalistischen Strömungen anhängen. Das alles trifft allein auf die YPG zu. Und nicht zuletzt: Die Kurden sind im Gegensatz zu allen anderen in Syrien am Boden operierenden Kriegsparteien bisher nicht mit Folter, Hinrichtungen und anderen Kriegsgräueln in Verbindung gebracht worden.
Aber was zählt das alles für das Pentagon gegen die Trumpfkarte Türkei? Verteidigungsminister Ashton Carter machte am Dienstag noch einmal den zaghaften Versuch einer einvernehmlichen Lösung: Wenn die türkischen Streitkräfte »bleiben, wo sie sind«, nämlich nahe der eigenen Grenze, und sich die syrischen Kurdenmilizen in das Gebiet östlich des Euphrats zurückzögen, könne ein Konflikt vermieden werden, wird Carter von AFP zitiert. Die syrischen Kurden hätten damit getan, was sie versprochen hätten. Öffentlich zugesagt hatten sie allerdings nichts dergleichen. Die Türkei verfolgt vor allem die Absicht, ein zusammenhängendes Kurdenterritorium auf syrischem Gebiet entlang der türkischen Grenze zu verhindern.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu protestierte am Montag nach einem Treffen mit seinem niederländischen Kollegen Bert Koenders in Ankara gegen angebliche »ethnische Säuberungen« der Kurdenmiliz in den von ihr kontrollierten Gebieten. Ein schwerer Vorwurf. Gemeint ist damit vermutlich die Weigerung der YPG, in ihrem Herrschaftsbereich in der Türkei ausgebildete Anti-Assad-Milizen zu dulden, die sich von der Kurdenadministration zudem nichts sagen lassen wollen. Freiwillig wird die YPG die sich an keine Absprache haltende Fünfte Kolonne Ankaras sicher nicht in ihrem Gebiet dulden. Es drohen also weitere Kämpfe.