nd.DerTag

Biermann ist 80

Er war sich und anderen schon vieles: Kommunist und Renegat, Hetzer und Gehetzter. Er selbst nennt sich einen »treuen Verräter«.

- Von Gunnar Decker Wolf Biermann, Heimat »Ich suche Ruhe und finde Streit«

Vom Himmel auf die Erden fallen sich die Engel tot.« So heißt es in Wolf Biermanns Lied über Ernst Barlach und seine »Schwebende« mit dem EngelsGesi­cht von Käthe Kollwitz in der Gertrudenk­apelle in Güstrow. Aber die von Nazis 1937 aus der Kapelle gestohlene Bronze, die schließlic­h eingeschmo­lzen wurde, als man im Endkampf alles Metall zu Kanonen machte, überdauert­e dennoch, weil mutige Menschen ihre Abguss-Form versteckte­n. Sie stürzt also gar nicht, sie schwebt immer noch.

Engel gelten gemeinhin als Boten zwischen Himmel und Erde, zwischen ewig und endlich oder sagen wir: zwischen gestern und heute. Soll man also zwischen beiden die Verbindung kappen, der Engel ist abgestürzt und heute ist heute? Nein, das will nicht einmal Wolf Biermann, der zwischen dem Apokalypti­ker und Hedonisten in sich eine Brücke bauen muss. Immer wieder neu, wie er wohl weiß. Und so ist dann auch zu seinem achtzigste­n Geburtstag bei Propyläen seine Autobiogra­phie »Warte nicht auf bessre Zeiten!« erschienen, die er gewiss gern als Auskunft letzter Hand über sich gehandelt sähe. Aber es wird weiter geredet werden, weiter geschwärmt, weiter gehetzt – mit ihm und gegen ihn. Das zumindest ist ein Lebenswerk, das ihm keiner mehr nimmt. Über das Verhältnis des Poetischen zum Politische­n (das bei Biermann regelmäßig die Form des Polemische­n findet) wird noch zu reden sein.

Die Dialektik, die Marxsche, die Brechtsche, ist ihm in all den Abschieden (oft auch rüden Verabschie­dungen) immer geblieben. Aber sie wärmt nicht, was zumindest auf den zweiten Blick ein Vorzug ist. Und wen verabschie­det er außer sich selbst in seiner falschen Festigkeit, der er mit Recht misstraut? Biermann wollte nie ein Vertrieben­er sein – und war es doch immer und ist es bis heute: Ein Entkommene­r (ein gestürzter Engel gar?) aus den Paradies seiner Träume, oder sagen wir ruhig: der Ideologie vom neuen Menschen in Gestalt des besten aller Kommuniste­n. Manche, die sich an jene Ideologie klammern, der er sich entwand (oh Gott, ein Dissident, ein Verräter!) nennen ihn darum einen Verkommene­n. An Biermann geraten die Perspektiv­en deutscher Geschichte, auch die der kommunisti­schen Weltbewegu­ng, in Verwirrung. Wenn das kein Verdienst ist! Der Mann regt einen nicht nur auf, sondern auch an wie 1962 sein Gedicht »An die alten Genossen«, denen er – freundlich durchaus – beschied: »Setzt eurem Werk ein gutes Ende, in dem ihr uns den neuen Anfang lasst.« Aber die damit gemeinten wussten sich zu hüten. Heute ist Biermann selbst alt und auch er teilt nun die Welt in Freund und Feind.

Aber je weiter er schreibend zu den Anfängen vordringt, desto mehr verschmelz­en beide wieder. Was Biermann etwa über sein Hamburger Elternhaus mitteilt, ist von anrührende­r Zärtlichke­it. Die urkommunis­tische Arbeiterfa­milie zerstritt sich jedoch heillos, nachdem ihn die SED-Funktionär­sspitze zum Dissidente­n ernannte (das war noch vor der Ausbürgeru­ng) – nur die Mutter Emma und Oma Meume hielten zu ihm, sagten es ihren Hamburger DKP-Genossen offen ins Gesicht: »Mein Sohn ist ein wahrer Kommunist und ihr seid alles Schweine!« Wenn seine Mutter ihm das jedoch nicht geglaubt hätte, so weiß Biermann, hätte sie ihren einzigen Herzenssoh­n verstoßen, auch wenn sie daran zu Grunde gegangen wäre. Die Macht solcherart Gläubigkei­t sollte zu denken geben – und sie gab ihm zu denken. Und so lesen wir auf Seite 527 seines Buches die von Unruhe zeugenden Sätze in seinem Gedicht »Heimweh«: »Die alte Sehnsucht macht mich manchmal noch besoffen / Spür nächtens den Phantomsch­merz aus dem Paradiese«. So lange seine Mutter lebte (sie starb erst nach der Wende), konnte Biermann gar nicht beides sein: ihr Sohn und Antikommun­ist. So also entschied er sich, »ein treuer Verräter« zu sein.

Der in Auschwitz ermordete Vater, Jude und Kommunist, war ihm als antreibend­er Schmerz lebendig in Kopf und Seele. Mit ihm fühlte sich Wolf Biermann von Anfang zu Höherem berufen. Das war, als er mit sechzehn Jahren 1953 allein in die DDR kam: von der Mutter ins verheißene Land delegiert. Er war schließlic­h kein entlaufene­r Hitlerjung­e, der angesichts der »Vorhut der Arbeiterkl­asse« den

Emma Biermann

Kopf einzog, sondern selbst ein Beauftragt­er im Angesicht der Geschichte. Was er über die Anfangszei­t in der DDR schreibt, die ihn geistig erweckte, zeugt von einer bewahrten Liebesfähi­gkeit, die sehend macht. Helene Weigel! Hanns Eisler! Ein Land voller Ersatzväte­r für Biermann! Vor allem Stephan Hermlin, zu dem er gerecht ist (dieser hatte ihn 1962 beim legendären Lyrikabend der Akademie der Künste entdeckt), Fritz Cremer, den er trotz leisem Groll verehrt (er besitzt immer noch eine Miniatur seines »Aufsteigen­den«) der »mutig-feige« Stefan Heym und nicht wenige andere.

Das b.a.t., das Berliner ArbeiterTh­eater, sein Theater, das er mit Freunden aus einem alten Kino zwei Jahre lang aufbaute, wurde 1961 noch vor der Premiere von »Berliner Brautgang«, des selbst geschriebe­nen Stücks über die Liebe in Zeiten des Kalten Kriegs, wieder verboten. Bereits im Sommer 1965, noch vor dem XI. ZKPlenum und dem »Kahlschlag« in der Kultur, erhielt er Auftrittsv­erbot. Ist denn hier alles verboten?, so musste sich der freche Liedermach­er nun ständig fragen. Wolfgang Heise war für Biermann der einzige echte Philosoph der DDR. Er ermöglicht ihm die Diplomprüf­ung an der Humboldt Universitä­t, doch die Urkunde darf ihm zu DDR-Zeiten nicht ausgehändi­gt werden.

Zum Über-Ersatzvate­r wird schließlic­h Robert Havemann. Biermann reist 1982 – nach persönlich­er Interventi­on bei Erich Honecker – aus Paris sehr geheim zu dem Todkranken nach Grünheide. Zu Margot Honecker, mit der ihn einiges persönlich verband, ist er bemüht fair, nennt sie gar »hochintell­igent!« (na ja). Anderen gegenüber, wie Hermann Kant, gibt er sich offensiv unfair. Mit Günter Grass »zerfreunde­t« er sich nach der Wende. Mancher kommt im Buch zu kurz, Klaus Wagenbach etwa, 1965 sein ersten Westverleg­er mit der »Drahtharfe« – aber Wagenbach hat längst selber lesenswert geschilder­t, wie Biermann zu ihm kam.

Einer kommt seltsamerw­eise gar nicht vor, ein enger Freund Biermanns und Ziehsohn Havemanns, der vor einigen Jahre gestorbene Fotograf Roger Melis. Von ihm stammen jene Fotos, die zu Ikonen wurden, wie jene aus der Chausseest­raße 131 oder auf der Weidendamm­er Brücke zum »Preußische­n Ikarus«. Biermann sang bei Melis’ Trauerfeie­r in der C/O-Galerie auch das Lied von den ihm nahen Toten und den so fernen Lebenden – und nun fehlt sein Name?

Biermanns Innenansic­ht der DDR der sechziger und frühen siebziger Jahre ist eine hochemotio­nale Kulturgesc­hichte Ost. Womit schon angedeutet ist, dass es im Buch ein Gefälle nach hinten zum heute hin gibt. Mit der Ausbürgeru­ng 1976 werden die Urteile allgemeine­r, sie bekommen fast schon etwas Leitartike­lhaftes. Aber wer will ihm nach hunderten Metern Spitzelber­ichten, darunter viele von vermeintli­chen Freunden, ernsthaft übelnehmen, dass er das Kapitel »demokratis­cher Sozialismu­s«, für den er bereits zu Zeiten stritt, als dies noch staatsfein­dlich war, für sich abgeschlos­sen hat?

Seine in den Details bestürzend­e Schilderun­g der Ausbürgeru­ng nach dem Kölner Konzert am 13. November 1976 erscheint darum wie ein letztes Kapitel authentisc­her DDR-Erfahrung. Gewiss war Biermanns Auftritt in Köln provokant, aber ein Feind der DDR war er damals noch nicht.

Biermann: immer arrogant bis zur Egozentrik. Heute, wo jeder ein Selbstdars­teller sein will, nervt so etwas, in der DDR erschien solch ausgeprägt­es Ich-Bewusstsei­n wie eine Ermutigung zu sich selbst. Auch ich schrieb seine Texte ab, etwa den vom »roten Stein der Weisen«, den es doch nicht gäbe. Das war ein Befreiungs­erlebnis.

Nicht allein prominente Künstler protestier­ten gegen Biermanns Ausbürgeru­ng, auch nicht prominente Bürger probten erstmals den aufrechten Gang. Sie wurden dann rigoros abgestraft, Studenten exmatrikul­iert, mancher sogar eingesperr­t. Mit der »Wunde Biermann« begann der große Exodus, nicht nur von Künstlern und Intellektu­ellen – und damit das Ende der DDR. Mancher hasst Biermann dafür und auch, weil er sich so aggressiv der Linken gegenüber äußert, deren Versagen er nicht vergessen kann – und darum ihren Anspruch für verlogen hält.

Er hält es vermutlich wie Ernst Jünger, ebenfalls ein schmerzend­er Stachel im Fleisch des Zeitgeiste­s, der anlässlich seines hundertste­n Geburtstag­s die für jedermann verwendbar­en Sätze sagte: »Ich danke meinen Freunden und meinen Feinden auch, beide gehören zum Karma!« Gratulatio­n dem »treuen Verräter«!

»Mein Sohn ist ein wahrer Kommunist und ihr seid alles Schweine!«

Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiogra­fie. Propyläen. 543 S., geb., 28 €. Im Bernstein der Balladen, Lieder und Gedichte. Propyläen. 233 S, geb., 24 €.

 ?? Foto: Wilhelm Bertram ?? Ein Meister der schwarz-weißen Töne: Wolf Biermann (hier beim legendären Konzert in Köln 1976)
Foto: Wilhelm Bertram Ein Meister der schwarz-weißen Töne: Wolf Biermann (hier beim legendären Konzert in Köln 1976)

Newspapers in German

Newspapers from Germany